Was nützt alles Whistleblowing, wenn es auf Kosten des Whistleblowers geht?

Experte Rainer Winters über die katastrophale Lage für deutsche Hinweisgeber. Was wird sich durch das neue "Hinweisgeberschutzgesetz" ändern? Interview

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Kommt da jetzt etwas Neues? Bis 2021 muss Deutschland die EU-Vorgaben zum Schutz von Whistleblowern in nationales Recht umgesetzt haben. Was wird da auf den Weg gebracht? Um die Wirkung, die Whistleblower auslösen können, anzudeuten, genügt es, die Namen Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden zu nennen. Sie haben die Sicht auf die US-Militärpolitik und deren Hintergründe verändert. Seit Snowden wird die Überwachung anders begriffen. Alle zusammen haben das Feld des investigativen Journalismus umgepflügt.

In Deutschland hat die Sache aber einen Haken: "Deutschland liebt Whistleblower - es sei denn, sie sind Deutsche", fasst Mark Worth die Situation zusammen. Worth, Vorsitzender des European Center for Whistleblower Rights und der NGO Whistleblowing International, beurteilt die augenblickliche Lage gnadenlos

"Die Bundesrepublik hat bislang keine der deutschen Staatsbürger geschützt, Ausnahmen nicht bekannt, die Kriminalität, Korruption oder Risiken für die öffentliche Gesundheit aufgedeckt haben, geschweige denn sie geehrt oder in Bronze gegossen. Keiner der öffentlichen Whistleblower in Deutschland wurde von beruflichen Nachteilen, finanziellen Problemen oder persönlichem Ruin verschont. Anders als bei Assange, Manning und Snowden blieben ihre enormen persönlichen Opfer ungewürdigt und weitgehend unbemerkt.

Mark Worth

Er schildert mehrere Fälle von deutschen Whistleblowern und sie alle gehen nicht gut aus:

"Verglichen mit anderen Ländern Europas fanden viele der deutschen Whistleblower-Fälle deutlich weniger Beachtung in den Medien; darüber hinaus zählen sie im Vergleich zu den langwierigsten und rachsüchtigsten."

Whistleblower haben wenig juristische Unterstützung und kaum Unterstützung dort, wo es darauf ankommt. Genau das soll sich nun ändern.

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat jetzt den Entwurf für ein "Hinweisgeberschutzgesetz" fertiggestellt und zur Abstimmung an die anderen Ressorts versandt, wie die SZ kürzlich berichtete. Der Zeitung liegt der Entwurf angeblich vor. Mit dem neuen Gesetz soll "der bislang lückenhafte und unzureichende Schutz hinweisgebender Personen" ausgebaut werden, zitiert die SZ aus dem Entwurf.

Auch die SPD-Fraktion im Bundestag verabschiedete in der vergangene Woche ein Positionspapier mit den besten Absichten zum Schutz der Whistleblower in Deutschland. In dem Artikel des Whistleblower Netzwerk dazu, wird gar der Begriff von "Whistleblower-Behörden" verwendet, eine eigenartige Kombination aus deutscher Bürokratie-Lösung und einem Phänomen aus der internationalen Öffentlichkeit, dem der Gesetzgeber hinterherhinkt.

Es geht also um "Neuland". Um schwer zu durchschauende Regelungen, um Risiken gegenüber mächtigen Interessen, die gegen Hinweisgeber gerichtet sind, und um den Aufbau eines institutionalisierten Schutzes. Telepolis hat sich dazu mit Rainer Winters unterhalten. Winters ist Journalist, mit Spezialgebiet "Whistleblower", und baut zusammen mit Whistleblowing International eine neue NGO zum Schutz von Hinweisgebern auf.

Mut gegen "Wahrheitsmanagement"

Herr Winters. Was wird die neue Gesetzgebung zum Whistleblowing in Deutschland ändern? Wird da ein Weg eingeschlagen, der Transparenz fördert und auch die sogenannte "vierte Macht", den Journalismus, stärkt?

Rainer Winters: Die vierte Macht im Staate soll ja die Politik kontrollieren, was ihr auch ganz gut gelingt. Die Kontrolle der Wirtschaft ist nicht so leicht. Viele Redaktionen halten sich mit der Berichterstattung über Unternehmen zurück. Große Skandale bedeuten für Journalisten und ihre juristischen Abteilungen viel Arbeit. Wenn dabei in der Regel hohe Konzernbosse und Postenträger den Bösewicht stellen, versteht man, warum große Medienhäuser so manche gravierenden Fälle erst gar nicht mehr annehmen.

Geschäftsgeheimnisse müssen natürlich weiterhin gewahrt bleiben. Bei Verstößen aller Art sind wir aber schnell bei der Gesetzestreue, die höherwertig ist als alle Firmenloyalität. Verschwiegenheitspflichten werden aber auch in Zukunft eine Menge Mitarbeiter daran hindern, das Wort zu ergreifen. Die stark verbreitete Angst in Deutschland, den Mund aufzumachen, können wir nur lösen, wenn wir die Rechte für die Mundaufmacher stärken.

Innovative und profitable Firmen zeichnen sich ja gerade dabei aus, transparente und offene Dialoge zu fördern. Die vierte Macht hinkt da hinterher. In der letzten Zeit sehen wir häufig, wie sich große Medien als Unternehmensführer alter Tradition verstehen, nämlich die Wahrheit zu "managen". Moderne Firmen betrachten es wiederum als ihr größtes Risiko, wenn Angestellte nicht über schlechtes Verhalten sprechen. Mit dem neuen Gesetz haben wir jetzt die Chance auf einen Kulturwandel.

Gleichwohl muss das neue Gesetz ermöglichen, dass Whistleblower an die Öffentlichkeit gehen und gleichzeitig anonym bleiben. Im Interesse aller glaube ich also, dass Transparenz und Journalismus gewinnen werden, aber zu einem anderen Zeitpunkt. Medien sollten erst berichten, wenn Whistleblower geschützt sind. Was dem Sensationsjournalismus dabei abträglich ist, birgt große Vorteile für alle Beteiligten außer den Nutznießern der Sensation.

Von der Journalistin, die den von Margrit Herbst aufgedeckten BSE-Skandal groß rausbrachte, weiß ich, dass der Fall nicht nur Margrit Herbst, sondern auch sie persönlich ausgemergelt hat. Jahre später lesen wir dann im Stern: Was ist eigentlich aus Margrit Herbst geworden?

"Deutschland muss jetzt den kulturellen Spagat hinbekommen"

Wie steht es um die Lobby für Whistleblowing? Haben sich da die Verhältnisse in den letzten Jahren zugunsten von mehr Transparenz verändert?

Rainer Winters: Auf jeden Fall. Die Whistleblower-Bewegung ist weltweit zum Mainstream geworden. Sei es bei der APEC oder auf Ebene der Vereinten Nationen. Die EU zeigt sich seit Jahren außerordentlich offen für Vorschläge, gerade auch im Werdungsprozess zur Whistleblowerschutzrichtlinie.

Viele Aktivisten hatten hier direkten Zugang zu Beamten der EU. Die Vorarbeit lief natürlich seit Jahren und findet Ausdruck in Werken wie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption oder dem Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarates.

Die Lobby ist gut und wird immer überzeugender, auch gegen erheblichen Widerstand von Wirtschaft und CDU/CSU. Deutschland muss jetzt den kulturellen Spagat hinbekommen, Whistleblowing als etwas Nützliches für die Gesellschaft zu begreifen und dass Whistleblowing nichts Gefährliches ist. Nach dem Prinzip: Helfen - nicht hauen.

Was wir außerdem brauchen, sind mehr externe Anlaufstellen, die Whistleblower fundiert beraten. Das Whistleblower-Netzwerk oder Transparency International zum Beispiel machen sehr gute Lobbyarbeit, unterstützen aber meines Wissens nach konkret keinen einzigen Whistleblower. Insofern ist die Lobby für das Whistleblowing stärker als für den Menschen, den Whistleblowern an sich.

"Ohne Schutzgesetz sind Whistleblower in Deutschland auch in Zukunft komplett verloren"

Ist das SPD-Positionspapier ein wichtiges Signal oder mehr oder weniger Lippenbekenntnis? Wie ernst wird die Sache genommen?

Rainer Winters: Das SPD-Papier ist zunächst einmal erfreulich. Die EU-Richtlinie versteht sich ja nur als absolutes Minimum. Besser als das Positionspapier kann man es kaum verdeutlichen: Der Abgas- und Wirecard-Skandal bedeuten Tausende Euros Verlust für sehr viele Menschen in Deutschland.

Also liegt es doch im Interesse des Gemeinwohls, dass das neue Gesetz auch für Deutschland gilt. Ohne eigenständiges Whistleblowerschutzgesetz sind Whistleblower in Deutschland auch in Zukunft komplett verloren. Die Rechtsunsicherheit eines Kapitelgesetzes, in dem etwa fünfzig Gesetze abzuändern wären, würde nichts am jetzigen Status Quo ändern: Eine tiefgreifende Rechtsunsicherheit, was de facto einer Abwesenheit von Schutz entspricht.

Die Fallstricke von Artikel 22 scheinen mir noch nicht erfasst: Selbst wenn eine nach dieser Vorschrift zulässige Klage abgewiesen oder für unbegründet befunden würde, könnte ein Whistleblower über Jahre hinweg mit kostspieligen Gerichtsverfahren beschäftigt, für Jahre gebunden sein oder sogar durch solche Kosten in den Ruin getrieben werden.

Um die Kosten eines solchen Verfahrens zu vermeiden, wären Whistleblower wahrscheinlich zusätzlich gezwungen, unzulässige Vergleichsvereinbarungen zu akzeptieren, und riskieren außerdem, dass ihre Reputation über Jahre hinweg öffentlich angegriffen wird, während sich die Gerichtsverfahren hinziehen. Daher müssen wir diesen Artikel eng auslegen und zusätzliche Schutzmaßnahmen schaffen, um diese mögliche unbeabsichtigten Folgen von Artikel 22 auszugleichen.

Auch in anderen Teilen bleibt das Papier unscharf. Was ist für die SPD ein "erheblicher" Missstand? Bei der Bundestagsdebatte am 15. Mai dieses Jahres hörten wir, wie groß auch unter Genossen die Interpretationsbreite ist, wenn es um den Status eines Whistleblowers geht. Ob der Behördenmitarbeiter Stephan Kohn nun ein Whistleblower war oder nicht, sei einmal dahingestellt. Er jedenfalls empfand sich als ein solcher.

Die Reaktionen der Debattenredner? Helge Lindh (SPD) brachte eine Menge belastende Stichworte wie Dienstrecht, Disziplinarrecht, Treuepflicht, Verschwörungstheorie, Fake News, Pseudofakten, Mutmaßungen, Behauptungen, Nichtschlüssigkeit. Auch andere Redner wollten dem Behördenmitarbeiter den Status aberkennen. Die Vorwürfe seien belanglos, absurd, nicht geeignet usw. Christine Aschenberg-Dugnus von der FDP meinte gar, er hätte nur nach Anweisung handeln dürfen. Die Debatte war ein mahnendes Beispiel für Whistleblower.

Auch vermisse ich eine SPD-Position für den Fall, wenn sich Whistleblower direkt an die Öffentlichkeit wenden wollen.