Silvester ohne Feuerwerk?

Auswirkungen von Feuerwerk auf Umwelt und Gesellschaft

Trotz Verkaufsverbot dürfen Privatpersonen in vielen Bundesländern Raketen abfeuern. Dabei würde nicht nur das Gesundheitswesen von einem Feuerwerksverbot profitieren.

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Das Abfeuern von Feuerwerksraketen bleibt in privaten Haushalten in nahezu allen Bundesländern erlaubt, mit Ausnahme von Hamburg, wo es mit Bußgeldern geahndet wird. Normalerweise darf man Raketen, die man noch vom Vorjahr übrig hat, vor der eigenen Tür abfeuern. Das ist wohl auch ein Grund dafür, warum sich Menschen, die an der französischen Grenze wohnen, im Nachbarland mit Pyrotechnik eindecken - sogar mit Feuerwerkskörpern, die in Deutschland gar nicht zugelassen sind. Nur in Augsburg klagt ein Rechtsanwalt gegen das durch die Stadt erlassene Feuerwerksverbot auf Privatgrund.

Die pyrotechnische Industrie, die nach eigenen Angaben 95 Prozent ihres Jahresumsatzes im Dezember erwirtschaftet, wird in diesem Jahr wohl deutlich weniger Umsatz machen. Im Zweifel drohe die Insolvenz eines gesamten Wirtschaftszweiges, klagt Thomas Schreiber, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der pyrotechnischen Industrie (VPI). Er fordert staatliche Hilfsgelder, um die 3.000 Einzelexistenzen in der Branche zu sichern.

Dabei kommt das Verbot nach allen vorangegangenen Lockdown-Entscheidungen nicht wirklich überraschend. Zahlreiche andere Unternehmen haben Verluste zu beklagen. Warum sollte ausgerechnet eine Industrie, die Feuerwerkskörper herstellt, von Einbußen verschont bleiben? Wenn etwas nicht systemrelevant ist, dann sind es doch Raketen, die aus purem Vergnügen in den Nachthimmel geschossen werden. Zumindest Krankenhäuser, Unfallchirurgen, Hand- und Augenfachärzte dürften froh sein, wenn sie zum Jahresende keine zusätzlichen Schwerverletzte behandeln müssen.

Freuen können sich diejenigen, die schon immer gegen die Feuerwerke gewettert haben - wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Erstmals werde der irre Brauch der Bundesregierung gestoppt, zum Jahreswechsel Sprengstoff in die Hände von Betrunkenen zu geben, erklärt Jürgen Resch. Der DUH-Geschäftsführer sieht darin eine Chance, neue Silvesterbräuche zu entwickeln, die weder Mensch, Tier noch Umwelt schädigen.

Jedes Jahr werden zur Neujahrsnacht Millionen Euro in die Luft geschossen. Am Tag darauf sind die Straßen komplett zugemüllt. Nach Angaben der DUH fallen allein in Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt/Main an Silvester jeweils rund 200 Tonnen Abfall aus Feuerwerkskörpern an. Die Umweltorganisation fordert die Kommunen auf, großflächige Verbotszonen einzurichten. Dabei dürfe auch kein illegal beschafftes oder gelagertes Feuerwerk zum Einsatz kommen.

Wohin mit dem Sprengstoff aus China?

Auch in den Niederlanden, wo jedes Jahr 70 Millionen Euro in die Luft geschossen werden, wurde der Verkauf von Feuerwerkskörpern in diesem Jahr verboten. Nun bleiben die holländischen Händler auf ihren Vorräten sitzen. Jasper Groeneveld aus der Provinz Gelderland zum Beispiel kann 68 Bunker mit 50 Tonnen Feuerwerk befüllen. Alle sind inzwischen randvoll. Er erwartet noch 80 Container mit Raketen aus China, die bestellt wurden, bevor das Feuerwerksverbot in Kraft trat.

So wie ihm geht es jetzt auch anderen Importeuren: Niemand weiß, wohin mit den Tonnen an chinesischen Feuerwerkskörpern. Zwar kündigte die Regierung Entschädigungen in Höhe von 40 Millionen Euro für die Branche an. Doch darin sind auch die Kosten für die Lagerung enthalten.

Mit dem hochexplosiven Material wollen die Holländer nicht auf einem Pulverfass sitzenbleiben. Zu gut ist vielen die Katastrophe von Enschede vor 20 Jahren in Erinnerung, als eine Feuerwerksfabrik in die Luft flog und die halbe Stadt zerstörte.

Fieberhaft wird nun nach sicheren Lagermöglichkeiten gesucht. Weil auch die Bunker der Bundeswehr keine Lagerkapazitäten mehr bieten, sehen Sprengstoffexperten nur eine Lösung: Die Knaller und Raketen unter Aufsicht von Experten einfach abzufackeln. Das wäre allerdings die schmutzigste aller Lösungen, wäre doch die Luft tagelang mit giftigen Rauchwolken angefüllt.

Tiere leiden am meisten unter Knallerei

Haustieren am Silvesterabend ein geschütztes Zuhause zu bieten, ist gar nicht so einfach. Nicht nur der enorme Geräuschpegel, auch der beißende Geruch von Feuerwerkskörpern löst bei vielen Tieren einen Fluchtinstinkt aus.

Während Kühe und Pferde auf der Weide durch Zäune rennen, verkriechen sich Katzen und Hunde unterm Sofa. Teilweise müssen die Tiere ruhiggestellt werden, weil sie durch den Lärm der Raketen und die hellen Blitze in Panik versetzt werden. Und wo sie können, laufen sie weg. So wurden nach Angaben von Tasso e.V. an Silvester 2018 und am Neujahrstag 2019 mehr als 630 Tiere vermisst. An den beiden letzten Tagen vor Jahreswechsel wurden 416 Hunde von ihren Familien getrennt.

Vor allem Straßenkatzen sind dem Stress und Lärm schutzlos ausgeliefert, denn sie haben kein sicheres Zuhause. Ähnlich geht es Wildtieren, die in der Natur ständig um ihr Überleben kämpfen. An Silvester werden sie nicht nur aus ihrer Winterruhe gerissen. Indem sie panisch flüchten, verbrauchen sie besonders viel Energie, mit lebensbedrohlichen Folgen. Dabei müssen die Tiere gerade im Winter mit ihren begrenzten Energie- und Nahrungsreserven haushalten.

Wildtiere, die in der Nähe von Städten und ländlichen Gemeinden leben, flüchten vor dem Lärm und laufen nicht selten blindlings über die Straße. Laut Deutschem Jagdverband wurden 2018/2019 mehr als 233.000 Wildtiere angefahren.

Vor allem für Wildvögel wird der Himmel an Silvester zum Inferno. Geblendet von hellen Leuchtraketen und Rauchschwaden fliegen sie unter Schock und hohem Energieaufwand teilweise bis zu 1.000 Meter hoch. In Nähe einer Explosionsstelle erleiden sie ein Explosions- oder Knalltrauma. Werden Trommelfell oder Innenohr verletzt, führt dies zur Flugunfähigkeit oder gar zum Tod.

In den Niederlanden beobachteten Wissenschaftler in den Silvesternächten 2008 und 2010 mittels Wetterradar die Flucht aufgeschreckter Vögel, deren Nachtruhe um Mitternacht jäh beendet wurde. Innerhalb weniger Minuten flogen tausende Vögel in ungewöhnliche Höhen auf: Bis zu 500 Metern Höhe wurden 666 Gänse, 2000 Enten und mehr als 9000 Kleinvögel gezählt. Erst nach einer Dreiviertelstunde hatten sich die Tiere beruhigt. In der ungwöhnlichen Flughöhen hatten sie nicht nur zu viel Energie verbraucht, dadurch fehlte es ihnen auch an Schlaf und Zeit zum Ausruhen und Fressen. Ihre Gesamtkondition insgesamt hatte sich verschlechtert.

Auch werden an Silvester immer wieder Brände verursacht. In guter Erinnerung ist das Affenhaus in Krefeld, das an Silvester 2019/2020 durch Himmelslaternen in Brand gesetzt wurde.

Erhöhtes Krankheitsrisiko durch Feinstaub

Glaubt man den Berechnungen des Umweltbundesamtes entstehen jährlich 2.050 Tonnen Feinstaub durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern. Rund 75 Prozent davon werden zum Jahreswechsel verursacht.

Dabei entstehen Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid sowie giftige und für die Atemwege reizende Stoffe. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt einen Tagesmittelgrenzwert bis 50 µg PM10/m3 an nicht mehr als drei Tagen im Jahr sowie einen Jahresgrenzwert von 20 µg/m3. Besonders gravierend ist die Belastung am Neujahrstag, die dann vielerorts bei Stundenwerten von über 1000 µg/m3 liegt.

Feinstaub hat massive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Zum Einen nimmt die Größe der Feinstaubpartikel zum Jahreswechsel zu. Zum andern ist die Luft im Winter besonders trocken, was verstärkt zu Reizungen, Asthmaanfällen und Atemwegsinfektionen führt. Besonders betroffen sind Menschen mit Atemwegserkrankungen, aber auch Schwangere und Kinder.

Geowissenschaftler der Uni Halle hatten kürzlich den Zusammenhang von Stickoxidbelastungen und steigenden Todesraten durch Covid-19 in bestimmten Regionen in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland untersucht. Nach Auswertung der Satellitendaten verglichen sie die Umweltfaktoren mit der Anzahl der Sterbefälle. Ergebnis: Dort wo die Stickoxidwerte erhöht waren, gab es besonders viele Covid-19-Sterbefälle.

Auch in einer im Oktober 2020 veröffentlichten Studie des Max-Planck-Institutes wird ein klarer Zusammenhang zwischen dem Feinstaub in der Luft und erhöhtem Sterberisiko im Falle einer Covid-19-Infektion nachgewiesen. "Wenn Menschen verschmutzte Luft einatmen, wandern die sehr kleinen Feinstaubpartikel von der Lunge ins Blut und in die Blutgefäße", weiß Prof. Dr. Thomas Münzel vom Universitätsklinikum Mainz.

Dort verursachen sie Entzündungen und oxidativen Stress, der das Gleichgewicht zwischen freien Radikalen und Oxidationsmitteln stört, die normalerweise Zellschäden reparieren. Dies wiederum schädigt die innere Arterienschicht und führt zu einer Verengung und Versteifung der Arterien. Das Corona-Virus, das über die Lunge in den Körper gelangt, verursacht ähnliche Schäden an den Blutgefäßen.

Kommen Luftverschmutzung und Covid-19-Infektion zusammen, addieren sich die negativen Effekte besonders bei Herz und Blutgefäßen. Dies führt zu einer größeren Anfälligkeit gegenüber Covid-19. So können Luftverschmutzung und Infektionen in Kombination mit dem Virus Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall auslösen. Ist die Lunge durch Luftverschmutzung vorgeschädigt, kann das Virus leichter in sie eindringen.

Emissionen senken - Grenzwerte verschärfen

15 Prozent der weltweiten Todesfälle durch Covid-19 könnten durch Luftverschmutzung mitverursacht sein, schätzen Wissenschaftler. Allein in Deutschland soll dieser Anteil bei 26 Prozent liegen. Doch gegen schlechte Luftqualität kann man sich nicht impfen lassen. Hier hilft nur, die Emissionen zu verringern.

Bund, Länder und die Kommunen sind daher aufgefordert, über Erneuerbare Energien die Luftqualität zu verbessern und die öffentliche Gesundheit zu fördern. Vor diesem Hintergrund fordert die DUH‚ für 2021 verschärfte Grenzwerte bei Feinstaub, verschärfte Partikelanzahlmessungen in der Abgasuntersuchung von Autos mit Verbrennungsmotor sowie Emissionsminderungen bei Industrieanlagen und in der Energiegewinnung.

Die notwendige Technik sei längst vorhanden, glaubt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Zur praktischen Umsetzung fehle bisher einfach nur der politische Wille.