Venezuela: Kein Anschluss unter dieser Nummer

Staatsminister Berger im Videochat mit Guaidó. Bild: @MiguelBergerAA

Oppositionspolitiker Guaidó versucht Joe Biden zu erreichen, der geht aber nicht ans Telefon. Ein deutliches Signal – auch für das Auswärtige Amt in Berlin

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Mit dem nahenden Amtsantritt des gewählten US-Präsidenten Joe Biden scheinen die Tage des selbsternannten "Interimspräsidenten" Juan Guaidó in Venezuela gezählt. Der Oppositionspolitiker hatte sich im Januar 2019 überraschend zum Gegenpräsidenten ausgerufen, offenbar in enger Absprache mit der US-Regierung von Donald Trump (Putschversuch in Venezuela).

Meist rechtsgerichtete Führungen in Lateinamerika und Nato-Staaten waren der US-Linie damals gefolgt, so auch die Bundesregierung. Doch während das SPD-geführte Auswärtige Amt an der Venezuela-Politik Trumps festhält, plant Biden einen grundsätzlichen Strategiewechsel. Im Grunde ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Bundesregierung der veränderten US-Vorgabe erneut folgen und von Guaidó ablassen muss.

Seit Wochen schon gibt es Anzeichen dafür, dass Biden mit der aggressiven Linie der Trump-Regierung gegenüber Lateinamerika brechen wird. Bereits während der Regierungszeit von Barack Obama hatte er sich als Vize-Präsident vehement für wirtschaftliche Hilfen für Zentralamerika eingesetzt, um die Zahl der Arbeitsmigranten zu reduzieren.

Nicht nur dieser Ansatz, für den er damals im Kongress 750 Millionen Euro aushandelte, steht in direktem Widerspruch zu der repressiven Anti-Migranten-Politik der Trump-Regierung, die nach wie vor 545 Kinder ihren Eltern entrissen hat.

Absehbar ist vor allem eine Abkehr von der aggressiven Regime-Change-Politik gegenüber Venezuela, Kuba und Nicaragua, die der später als Trumps Sicherheitsberater geschasste John Bolton einst als "Troika der Tyrannei" tituliert hatte.

Konkrete Auswirkungen hat das vor allem auf die Venezuela-Politik. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet nun unter Berufung auf drei Personen aus dem Umfeld Bidens, Guaidó habe seit Ende November mehrfach erfolglos versucht, den designierten US-Präsidenten telefonisch zu erreichen. Keine guten Aussichten für den Oppositionspolitiker, der auch im eigenen Lager an Unterstützung verliert und dessen Legitimation weiter schwindet. Keine guten Aussichten auch für die Bundesregierung die sich von der Trump-Regierung in eine Sackgasse hat führen lassen.

Ende der Sanktionen gegen Venezuela

Der Wandel in der Lateinamerika-Politik der USA ist natürlich kein grundsätzlicher, sondern strategisch ausgerichtet. Auch eine Biden-Regierung wird versuchen, die wirtschaftlichen Interessen der USA im "Hinterhof" zu wahren und die politischen Gegebenheiten zu gestalten. So beschränkt sich der Politikwandel zunächst auf Willensbekundungen. Die USA seien zu lange als ein "Tyrann betrachtet worden, der kleineren Ländern die Politik diktiert", so Bidens durchaus realistische Einschätzung in seiner Politiker-Biografie "Promise me, Dad".

Der designierte US-Präsident sei "grundsätzlich davon überzeugt, dass die Vereinigten Staaten in gegenseitigem Respekt und mit einem Gefühl der gemeinsamen Verantwortung handeln sollten", sagte auch Jake Sullivan, ein hochrangiger außenpolitischer Berater des designierten US-Präsidenten.

Nach Angaben von Bloomberg ist das Biden-Team in Venezuela zu einem neuen Deal bereit: Die harschen Sanktionen gegen das südamerikanische Land könnten zurückgenommen werden, wenn die Maduro-Führung "freie und faire" Neuwahlen ansetzt.

Das Team des gewählten Präsidenten wird die bestehenden Sanktionen überprüfen, um zu entscheiden, wo die Beschränkungen mit Hilfe internationaler Verbündeter erweitert werden sollen und welche Maßnahmen aufgehoben werden könnten, wenn Maduro sich in Richtung des demokratischen Ziels bewegt. Zu erwarten ist, dass Maduros ausländische Unterstützer, einschließlich Russland, China und Iran, eine Rolle spielen werden, ebenso wie Kuba, das daran interessiert ist, die Beziehungen zu den USA zu verbessern.

Bloomberg

Zugleich will die Biden-Regierung die neue Strategie international koordinieren. Damit wären auch die gut 50 Regierungen in Zugzwang, die bislang der Trump-Linie gefolgt sind. Nach Angaben von Biden-Vertrauten werden die USA künftig von den wirtschaftlich verheerenden Sektorsanktionen ablassen und gezielt einzelne venezolanische Funktionäre mit Strafmaßnahmen belegen.

Eine gute Nachricht für Venezuela

Für die Menschen in dem südamerikanischen Land ist das eine gute Nachricht. Nach Angaben des in Caracas ansässigen Wirtschaftsforschungsunternehmens Ecoanalitica wird die Leistung der ohnehin daniederliegenden venezolanischen Wirtschaft bis Ende 2020 schließlich erneut um ein Drittel einbrechen.

Schon ältere Berechnung des Washingtoner Center for Economic and Policy Research (CEPR) hatten darauf hingewiesen, dass in Venezuela von 2017 bis 2019 rund 40.000 Menschen an den Folgen von US-Sanktionen ihr Leben verloren haben könnten (US-Regierung greift Lebensmittelversorgung in Venezuela an).

"Noch härter und zerstörerischer als die umfassenden Wirtschaftssanktionen vom August 2017 waren die Strafmaßnahmen, die auf Regierungsanweisung seit dem 28. Januar 2019 verhängt wurden", schrieb das CEPR. Diese Sanktionen hätten der Gesundheit der venezolanischen Bevölkerung schweren Schaden zugefügt. Damals hatte die Trump-Regierung quasi eine totale Blockade gegen den venezolanischen Außenhandel verhängt, vor allem gegen die wichtige Erdölindustrie.

Es wäre schon ein Erfolg, wenn diese – übrigens auch völkerrechtswidrige – Politik beendet wird. Für Guaidó und seine machtlose Interimsregierung wird dann wohl kein Platz mehr sein. Nachdem er die letzte Parlamentswahl boykottiert hat, läuft sein Mandat am 4. Februar ohnehin aus. Dass die von ihm kontrollierte Nationalversammlung ihr Mandat unlängst eigenmächtig per Beschluss verlängert hat, wird an der Lage auch nichts mehr ändern.

So oder so: Nicht nur der selbsternannte "Interimspräsident" Venezuelas, sondern auch seine Unterstützer wie der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Miguel Berger, werden sich demnächst wohl neue Gesprächspartner suchen müssen.