Videoaktivismus: Instrument für Menschenrechte und Emanzipation

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Widersprüche zur gängigen Erzählung, dass vor allem Rechte von sozialen Medien profitieren

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Heute wird im Zusammenhang mit den sozialen Medien fast nur noch davon gesprochen, dass die rechten und irrationalen Gruppen dort mittlerweile hegemonial wären, ja sogar ein "Digitaler Faschismus" aus dem Netz die bürgerliche Demokratie bedroht, so die These der beiden Sozialwissenschaftler Maik Fielitzsch und Holger Marcks. Oft wird beklagt, dass vor 20 Jahren das Internet ein Versprechen von mehr Emanzipation und Demokratie bedeutet habe. Doch dieses Versprechen sei einer großen Enttäuschung gewichen.

Dieses Lamento liest man in linken und liberalen Kreisen öfter. Doch stimmt dieser pessimistische Befund überhaupt? In einem kleinen Buch, das unter dem Titel "Bewegungsbilder" im Verlag Bertz und Fischer erschienen ist, zeichnen Britta Hartmann, Jens Eder und Chis Tedjasukmana ein viel differenzierteres Bild.

Die drei Autoren sind Medienwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Film. Eder lehrt an der Universität Potsdam, Hartmann und Tedjasukmana lehren an der Bonner Universität. Das Trio verschließt keineswegs die Augen vor dem rechten Agieren im Internet. Darauf gehen sie in den Schlussbemerkungen ein, der schon in der Überschrift "Videoaktivismus im Kampf um demokratische Vielfalt" an den linksliberalen Narrativen anknüpft. Von Klassenkampf im Videoaktivismus liest man bei ihnen nur im historischen Teil. Dabei gibt es beispielsweis auf der Plattform labournet.tv sehr viele aktuelle Beispiele dafür.

Es ist ein Archiv des Videoaktivismus im Arbeiterkampf geworden. Doch das kleine Buch ist wegen der vorherigen Kapitel empfehlenswert, in denen an vielen Beispielen aufgezeigt wird, dass längst nicht nur Rechte sehr aktiv in den sozialen Netzwerken sind.

Videos im Social Web haben sich zu mächtigen Mitteln der politischen Auseinandersetzung um Menschenrechte, Migration, Umweltzerstörung oder Kriegsverbrechen entwickelt. Von Kampagnenvideos über Zeugenvideos zu Videoblogs und Mashups - aktivistische Webvideos verbreiten sich in digitalen Netzwerken und bringen affektive Öffentlichkeiten hervor. Doch mit dem Aufstieg von Lügen, Propaganda und Hetze im Social Web entbrennt zugleich ein globaler "Krieg der Bilder".

Aus der Einleitung von Bewegungsbilder

Eine kleine Linkauswahl dieses nichtrechten Videoaktivismus findet sich am Ende des Buches: Verwiesen wird beispielsweise auf den Werkzeugkasten für Videoaktivismus und eine Plattform über Organizingstrategien im Medienaktivismus. Wer sich für das Thema Zeugenvideos interessiert, kann sich über blog.witness.org informieren. Dabei handelt es sich um Berichte über Menschenrechtsverletzungen, beispielsweise in Syrien.

Bekannt ist die Langzeitdokumentation For Sama. Natürlich gibt es dann immer wieder Debatten über die Authentizität der Quellen. Doch solche Videos sind auch eine wichtige Waffe im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen. Im Buch werden auch Beispiele der Black-Lives-Matter-Bewegung und ihrer Vorläufer in den USA erwähnt. So hat bereits 2014 das Video "Der Fall Eric Garner" über den von Polizisten verursachten Tod eines Afroamerikaners in den USA zu einer antirassistischen Mobilisierung geführt.

Wie sich ein emanzipatorisches von einem rechten Video unterscheidet

Als Beispiel für ein offen rassistisches Video wird in dem Buch "With Open Gates" angeführt, das aus einer Aneinanderreihung von propagandistischen Bildern, teilweise mit offenen Fälschungen besteht. Es ist also das Beispiel eines Propagandawerks, das nur die rechte Fangemeinde überzeugen dürfte. Das Autorentrio ist selbstkritisch genug, um zu erwähnen, dass auch zu emanzipativen Zwecken mit Mitteln der Propaganda und manchmal der Überwältigung gearbeitet wird.

Besonders kritisch sind diese Methoden, wenn sie von Nichtregierungsorganisationen zum Zwecke des Spendensammelns natürlich für einen "guten Zweck" angewendet werden. Als Negativbeispiel wird die Videokampagne Kony 2012 angeführt, in der es um den an sich lobenswerten Kampf gegen eine Terrorbande in Afrika ging, die Kindersoldaten rekrutiert.

Allerdings entzündete sich die Kritik an der simplifizierenden Darstellung der Verhältnisse in Afrika. Die Kritiker verweisen darauf, dass der Einsatz einiger prominenter Liberaler nicht zu Lösung von Problemen beiträgt, die struktureller Natur sind. Auch mit den Mitteln der moralischen Vereinnahmung arbeiten Videos wie "Most Shocking Second a Day", in dem in wenigen Minuten ein Mädchen aus dem britischen Mittelstand sich in auf den syrischen Beattle Fields wiederfindet.

Wie schon die US-Künstlerin Martha Rosler in ihren Bildern den Vietnamkrieg in den 1970er Jahre in die Bungalows der US-Mittelschicht brachte, wird in dem Video der syrische Bürgerkrieg nach London gebracht. Obwohl auch hier mit Mitteln der Manipulation gearbeitet wird, wird aber auch der Unterschied zu rechten Propagandavideos deutlich.

Während es bei Letzterem um Ausgrenzung und die Verteidigung der Festung Europa geht, wird in "Most Shocking second a Day" das universelle Menschenrecht aufgerufen. Warum soll mich das Leid eines Menschen nicht betreffen, nur wenn er in Damaskus statt in London wohnt?

Was natürlich bei den größten Teilen des im Buch besprochenen Videoaktivismus nicht erwähnt wird, sind die strukturellen Ursachen von menschlichen Leid. Da müsste auch über Kapitalismus und ein (post)kolonialistisches Weltsystem gesprochen werden, das dafür sorgt, dass Elend und Ausbeutung im Weltmaßstab ungleich verteilt sind.

Linker Videoaktivismus kommt nur am Rande vor

Nur am Rande kommt in dem Buch der linke Videoaktivismus der 1990er Jahre vor, der genau diese Strukturen angesprochen hat. Videokollektive wie aka Kraak filmten auch von den Brennpunkten der globalisierungskritischen Kämpfe, beispielsweise in Genua. Das war auch die Geburtsstunde der linken Onlineplattformen Indymedia, die im Buch erwähnt wird.

Dort werden auch zahlreiche Videos aus sozialen Kämpfen aus aller Welt hochgeladen, die durchaus auch in den größeren Medien vorkommen, aber oft ohne Quellenangaben. Für manche ist es der Einstieg in eine Videoarbeit der NGOs.

Das Buch ist deshalb wichtig, weil sie die linke Selbstgeißelung und Lust an der Niederlage konterkariert, die auch darin besteht, immer nur über angeblich so erfolgreiche rechte Internetstrategien zu reden und zu vergessen, dass es weiterhin einen sehr erfolgreichen linken und emanzipativen Videoaktivismus gibt.