"In Washington herrscht ein Klima der Angst"

Kritische Sicht auf das Geschehen in Washington: Ex-CIA-Mann Robert Baer. Bild: Hossam el-Hamalawy, CC BY 2.0

Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer über die Stimmung in Washington, das Scheitern des "War on terror" und die neue Regierung unter Joe Biden

Die Bücher des ehemaligen CIA-Agenten Robert Baer sorgen in den USA regelmäßig für großes Aufsehen. Baers Werke "See No Evil" und "Sleeping with the Devil" lieferten die Vorlage für den 2005 fertiggestellten Film Syriana mit George Clooney in der Hauptrolle.

Herr Baer, was war Ihr erster Gedanke, als Sie die Bilder von dem Sturm auf das Kapitol gesehen haben?

Robert Baer: Mein erster Gedanke war: Das letzte Mal, als ich so etwas Schlimmes sah, war das im Irak.

"Vor Superlativen soll man sich hüten, denn sie nutzen sich zu schnell ab", sagte einmal der deutsche Journalist Hajo Friedrichs, damals nach dem Fall der Mauer in Berlin. Da Sie als CIA-Agent einst im Irak operierten, mit dem Auftrag, Saddam Hussein zu liquidieren: Ist Ihr Vergleich nicht übertrieben?

Robert Baer: Nein, Sie fragten mich ja nach meinen ersten Gedanken und da kamen mir die Bilder von den US-Soldaten in Bagdad in den Sinn, die sich im Präsidentenpalast fotografierten, mit den Füßen auf dem Schreibtisch Saddam Husseins und Ähnliches.

Das klingt so, als hätten Sie eine historische Revanche beobachtet. Das, was die USA in den letzten Jahrzehnten in alle Welt trugen, kehrt jetzt zurück?

Robert Baer: Zumindest ist es doch erstaunlich, dass rund 20 Jahre nach dem Beginn des sogenannten "War on terror", der von Washington mit dem Ziel begonnen wurde, den Terror weltweit zu beseitigen, in diesem Zusammenhang sprach man ja vom islamistischen Terror, ein Mob aus US-Bürgern in der Lage dazu war, das zu erreichen, was keiner fremden Macht bisher gelungen ist, keinen Islamisten, Nazis, Kommunisten: Ein Symbol der amerikanischen Demokratie, der Macht der USA, zu erobern, wenn auch nur für kurze Zeit.

Der Feind kam also nicht von außen, also dorthin, wohin die Augen der CIA und des Pentagon gerichtet waren, sondern aus dem Herzen der eigenen Nation.

Dieses Kriegsziel, der "War on terror", ist nicht nur global gescheitert. Nein, in den USA sind wir jetzt mit einem Inlandsterrorismus konfrontiert, dessen Höhepunkt noch lange nicht überschritten ist.

Viele Beobachter der Ereignisse von Washington stellen sich die Frage, weshalb es den Angreifern überhaupt gelingen konnte, so leicht in das Kapitol einzudringen, besonders wenn man die Sicherheitsvorkehrungen kennt, die ansonsten in den USA für Regierungsgebäude bestehen, vor allem in der Hauptstadt und nach dem 11. September 2001?

Robert Baer: Das liegt daran, dass wir hier in den USA mit dem Problem konfrontiert sind, dass unsere Sicherheitskräfte zum Teil infiltriert wurden von Anhängern des Gedankengutes derjenigen Menschen die das Kapitol stürmten, also mit dem Gedankengut von QAnon und ähnlichen Verschwörungstheorien und rechtsextremistischen Ideologien, dieser gesamten Melange, welche in naher Zukunft das Fundament des Inlandsterrorismus bilden wird.

Abgeordnete fürchten sich vor Rückkehr nach Washington

Wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis?

Robert Baer: Ich habe mich in den vergangenen Tagen intensiv mit Mitarbeitern des Militärs, der Geheimdienste und Sicherheitskräften unterhalten und beraten. Alle meine Gesprächspartner kamen zu dem gleichen Ergebnis. Ich kann Ihnen auch so viel verraten: Viele Kongressabgeordnete fürchten sich momentan davor, nach Washington D.C. zurückzukehren. In Washington herrscht ein Klima der Angst. Man fürchtet sich vor den Aktionen eines "weißen IS" wie man es inzwischen auszudrücken pflegt, also einer terroristischen Bedrohung, die überall zuschlagen kann.

Sie befürchten also eine weitere Radikalisierung, gar eine anwachsende terroristische Bedrohung in den USA, aus dem Land selbst heraus?

Robert Baer: Absolut. Schauen Sie, das Phänomen des Inlandsterrorismus ist für die USA ja nichts Neues, es wurde in den letzten Jahrzehnten, gerade nach 9/11 verdrängt, eben durch die Gefahr des Dschihadismus.

"Die Zahl der Opfer sollte so hoch sein, dass die (US-)Bundesregierung sie niemals vergessen würde. Es war dieselbe Taktik, die auch die amerikanische Regierung in bewaffneten internationalen Konflikten einsetzte, wenn sie eine Botschaft an Tyrannen und Despoten schicken wollte." Diese Zeilen schrieb Timothy McVeigh, jener Mann, der 1995 in Oklahoma-City ein Regierungsgebäude in die Luft sprengte, wobei 168 Menschen ums Leben kamen, kurz vor seiner Tat. Neu ist aber, dass die ideologischen Wurzeln dieses Gedankenguts seit dem Amtsantritt von Donald Trump von höchster Stelle verbreitet wurden, wie das Phänomen QAnon verdeutlicht.

Trump selbst ist Teil dieser Fieber-Phantasien, die während seiner Amtszeit aus seinem direkten Umfeld verbreitet wurden. Deshalb gehe ich davon aus, dass dieses Pamphlet von Mc Veigh bald wieder zu einer beklemmenden Realität in den USA werden könnte. Jetzt, in diesem Moment, warnt das FBI bereits vor drohenden Gewalttaten in vielen Bundesstaaten zur Amtseinführung von Joe Biden.

Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe, dass es so weit kommen konnte, dass so viele Menschen sich in irrationalen Gedankenwelten verlieren und radikalisieren?

Robert Baer: Dahinter steht ein ganzen Ursachengeflecht, angefangen mit der ökonomischen Ungleichheit, dem Durchmarsch des Global-Kapitalismus, dem Niedergang unseres Bildungssystems, das wirklich lausig ist, von den Elite-Universitäten einmal abgesehen. Das alles wird flankiert von dem ständigen Credo von unserer "großartigen Nation", in der jeder den Aufstieg schaffen kann, was nicht den Tatsachen entspricht. Hinzu kommen außenpolitische Fehlentwicklungen: der von Anfang völlig falsch konzipierte "War on terror" sowie der Aufstieg der digitalen Medien, welche simple Lösungen und Erklärungsansätze bieten. In einer hochkomplexen Welt überfordert das viele Menschen.

Auch die Ignoranz und Arroganz der politischen und medialen Klasse?

Robert Baer:Natürlich, das kommt hinzu. Das liberale Establishment hatte doch überhaupt keine Kenntnis mehr über die Stimmung in weiten Teilen des Landes, jenseits der Küsten. Hillary Clinton hat das mit dem Begriff der Fly-over-States verdeutlicht, also Staaten, die man überfliegt.

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