Verfassungsschutz: "Turbulenzen" in Schwerin

Mecklenburg-Vorpommern wechselt Inlandsgeheimdienstchef aus

Gut einen Monat nach seinem denkwürdigen Auftritt im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz ist Reinhard Müller als Chef des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern abgelöst worden. Landesinnenminister Torsten Renz (CDU) versetzte den 64jährigen am Mittwoch in den einstweiligen Ruhestand.

Damit zog Renz erwartbare Konsequenzen aus den Zuständen der Behörde unter Müller, der es unter anderem nicht für nötig gehalten hatte, V-Mann-Informationen zum mutmaßlichen Haupttäter des Anschlags und möglichen Hintermännern an die Polizei weiterzuleiten. Darüber hinaus hatte Müller die "szenetypischen Straftaten", die V-Leute laut Verfassungsschutzgesetz begehen dürfen, um in bestimmten Situationen nicht aufzufallen, offenbar sehr frei interpretiert - bis hin zu Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.

Zurückgehaltene Information

Eine "Quelle" des Verfassungsschutzes im nordöstlichsten Bundesland war im Februar 2017 auch in Berlin unterwegs gewesen und hatte kurz darauf einen brisanten Hinweis aus dem islamisch-konservativen "Clanmilieu" der Hauptstadt geliefert. Das Bundeskriminalamt (BKA) ermittelte damals wegen des Lkw-Attentats auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016. Der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) "City" gehörten in der Spitze mehr als 300 BKA-Beschäftigte an. Hinzu kamen rund 400 Polizeikräfte des Landes Berlin.

Der V-Mann von Müllers Behörde hatte nach eigener Aussage mitgehört, dass der vermeintliche Einzeltäter Amri bei der Vorbereitung des Anschlags sowie seiner anschließenden Flucht nach Italien von einem "Clan" in Berlin unterstützt worden sei.

Müller fand diesen Hinweis "in sich nicht schlüssig", wie er später bei seiner Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss des Bundestags sagte - er selbst habe allerdings nicht mit der "Quelle" gesprochen. Dafür zuständige Verfassungsschutzmitarbeiter hatten die Information als glaubwürdig bewertet und nach längerer Abwägung schließlich im Jahr 2019 an andere Vorgesetzte und an Vertreter von Bundesbehörden weitergeleitet. Müller erklärte dazu, er "missbillige" dieses Vorgehen, hätte aber aus heutiger Sicht lieber selbst andere Behörden informiert, um sich den "Ärger" mit diesem Ausschuss zu ersparen.

Obskure Waffenkäufe

Freimütig plauderte er dort allerdings über Machenschaften seiner Behörde, deren Rechtswidrigkeit ihm gar nicht klar zu sein schien. Mindestens eine V-Person hatte demnach den Auftrag, auf dem Schwarzmarkt Waffen zu kaufen, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Eine Kalaschnikow, die wohl bis zu vier Jahre in den Räumlichkeiten des Verfassungsschutzes gelagert worden war, hatte sich dann als "Dekowaffe" entpuppt - also als unbrauchbar gemachte echte Schusswaffe. Laut dem erst nach Jahren eingeholten Gutachten sei sie aber "nicht rückbaubar" gewesen, versicherte Müller.

Als klassische "szenetypische Straftat" im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes gilt der Kauf einer möglicherweise schussfähigen Maschinenpistole nicht - als Beispiele nennt das Bundesamt für Verfassungsschutz das öffentliche Tragen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Verstöße gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot und die Mitgliedschaft in einer strafbaren Vereinigung.

Trotz alledem wollte Renz nicht schlecht über Müller reden, als er dessen Ablösung bekanntgab: "Herr Müller ist beim Blick auf die Zukunft nicht mein Thema", sagte Mecklenburg Vorpommerns Innenminister am Mittwoch in Schwerin vor Journalisten. "Herr Müller, dem bin ich zu Dank verpflichtet für das, was er für dieses Land geleistet hat."

Zum Nachfolger des einstweiligen Ruheständlers wurde der bisherige Kriminalbeamte Thomas Krense berufen. Auf die Frage von NDR-Reportern, ob er hier nun "richtig aufräumen" müsse, erklärte der 54jährige am Mittwoch: "Der Verfassungsschutz hat in der Vergangenheit ganz, ganz erfolgreich gearbeitet." Die Behörde sei nun aber in "Turbulenzen" geraten. Ihm selbst gehe es darum, "Vertrauen zurückzugewinnen" und Stabilität zu schaffen.