Kohlevertrag: Groko verhöhnt die Jugend

Archivbild: Ende Gelände-Protest 2019 beim Braunkohlekraftwerk Neurath. Foto: Manuellopez.ch/ CC BY-SA 4.0

Bundestag beschließt Vertrag mit LEAG und RWE. Milliardengeschenke jetzt doppelt abgesichert. Abschied von Paris auch

Am gestrigen Mittwochabend hat der Bundestag - etwas früher als von uns angekündigt - mit den Stimmen der Regierungskoalition dem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Braunkohlekonzernen - im Wesentlichen: RWE und EPH/LEAG - über den Ausstieg aus der Kohleverstromung zugestimmt.

Linkspartei, Grüne und FDP votierten mit Nein, die AfD schimpfte zwar über die den Konzerne zugedachten Milliardengeschenke für die sie absurder Weise die Energiewende verantwortlich machte, konnte sich aber nicht zu einer klaren Ablehnung durchringen. Sie beließ es bei einer Enthaltung.

Derweil hatten Union und SPD wenig Interesse an einer Diskussion. Die Oppositionsparteien hatten den Vertrag zunächst in den Fachausschüssen beraten wollen, doch die Koalition meinte, eine kurze Bundestagsdebatte müsse reichen. Ein Antrag der Linkspartei auf Verweisung an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie wurde von der Regierungsmehrheit abgelehnt.

Mit dem Vertrag bekommen die Braunkohlekonzerne - vorausgesetzt die EU-Kommission kassiert die Konstruktion nicht noch in einem bereits angestrengten beihilferechtlichen Verfahren - nun nicht nur zusätzliche Sicherheit für den Weiterbetrieb ihrer Anlagen. Ihnen werden auch die bereits im vergangenen Sommer mit dem Kohleausstiegsgesetz zugesagten Zahlungen (2,6 Milliarden Euro für RWE und 1,75 Milliarden für die LEAG) vergewissert.

Anwohner gehen leer aus

Diese gelten als Entschädigung für alle Anlagen, die bis 2029 stillgelegt werden müssen, Anlagen, die meist längst abgeschrieben sind und die in den letzten Jahren wegen des Überangebots an Strom auf dem deutschen Markt und der endlich greifenden Bepreisung der CO2-Emissionen nicht mehr profitabel zu betreiben waren. Anlagen, die die LEAG seinerzeit von Vattenfall geschenkt bekommen hatte.

In der Bundestagsdebatte war zwar viel vom sozial verträglichen Wandel und der Absicherung der in den Kraftwerken und Tagebauen arbeitenden rund 20.000 Beschäftigten die Rede, doch das Geld geht an die Konzerne ohne jede Auflage, auch nur einen Teil davon an die Arbeiter und Angestellten weiterzureichen.

Und die Anwohner gehen ohnehin leer aus. Außer dem Lärm und Schmutz der Tagebaue und der Zerstörung weiterer Dörfer bleibt ihnen nichts. Jedes dritte Kind in den Dörfern rund um den Tagebau Garzweiler im Rheinland, so eine Aktivistin am Mittwoch auf Twitter, sei von Kinderarmut betroffen.

Aber immerhin haben wir es jetzt schwarz auf weiß, dass die Berliner Koalition wirklich keinerlei Interesse an effektivem Klimaschutz hat. Der Vertrag enthält unter anderem einen sogenannten Ausstiegspfad, das heißt eine Tabelle mit den konkreten Abschaltdaten für die einzelnen Kraftwerke.

Die Aufstellung spricht Bände. Demnach will man tatsächlich sieben der größten Anlagen, drei von RWE und vier von LEAG, bis 2038 weiterlaufen lassen. Zusammen haben sie eine Leistung von 5.941 Megawatt oder beachtliche 28,5 Prozent der Anfang 2021 noch aktiven Braunkohle-Kapazitäten.

Diese sollen dann Ende 2038 nach dieser Planung mit einem Schlag abgeschaltet werden. Die Regierungsparteien halten das, wie ihre Redner am Mittwoch im Bundestag mehrfach betonten, für einen geordneten Übergang.

Adieu Paris

Allein diese Anlagen würden bis 2038, wenn sie mit lediglich 50 Prozent Auslastung arbeiten – für ein Braunkohlekraftwerk eher wenig – noch rund 540 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Das wären fast ein Sechstel der Gesamtmenge an Treibhausgasen (rund 3,3 Milliarden Tonnen CO2), die Deutschland bei wohlwollendster Betrachtung noch zusteht, wenn die globale Erwärmung – wie im Pariser Klimavertrag verabredet – auf "möglichst 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau" begrenzt werden soll.

Dieses Budget haben wir allerdings auch nur dann, wenn man meint, dass eine Zwei-Drittel-Chance das Ziel zu erreichen, genug Sicherheit bietet. Da aber sehr viel auf dem Spiel steht - die Unbewohnbarkeit ganzer Länder, gravierende Engpässe in der Welternährung, zunehmend ausufernde Zerstörungen durch extreme Wetterereignisse, weltweiter Zusammenbruch der Fischereiwirtschaft und mehr - könnte man auch argumentieren, dass die Menge der Treibhausgase noch stärker beschränkt werden muss.

Jedenfalls macht der Beschluss vom Mittwochabend in aller Deutlichkeit klar, das die große Koalition der jungen Generation den Stinkefinger zeigen will. Da nämlich nicht davon auszugehen ist, dass ab 2024 oder 25 sämtliche anderen Kohle- und Gaskraftwerke stillgelegt und Verbrennungsmotoren sowie Ölzentralheizumgen verboten werden, heißt der Vertrag mit der Braunkohleindustrie nichts anderes, als dass man sich klammheimlich vom Pariser Vertrag verabschiedet.

SPD und Unionsparteien sind nicht gewillt, die notwendigen Klimaschutz-Maßnahmen zu ergreifen. Ein rascher Umstieg auf Sonne, Wind & Co. wäre - der Ausbau von Speicherkapazitäten, Sektorenkoppelung und mehr organisierte Flexibilität beim Verbrauch vorausgesetzt - möglich und zudem eine enorme Jobmaschine, doch das Renditeinteresse der Anleger von LEAG und RWE geht vor. Zu diesen gehört - aber das nur am Rande - auch Blackrock, der ehemalige Arbeitgeber des in der CDU so beliebten Friedrich Merz, der deren nächster Vorsitzender werden könnte.