Corona-Impfdesaster: Es liegt nicht nur am Mangel

Grafik: TP

Bürger, Ärzte und Pflegeheimleiter klagen über Bürokratie, schlechte Organisation und mangelnde Hygiene

Dem christdemokratischen EU-Abgeordneten Peter Liese zufolge hat die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bei der EVP-Fraktion durchblicken lassen, dass Johnson & Johnson im Februar als vierte Firma einen Antrag auf Zulassung eines Sars-CoV-2-Impfstoffs stellen wollen. Bei diesem JNJ-78436735 genannten Serum soll - anders als bei den bereits zugelassenen Konkurrenzprodukten von BioNTech und Moderna - eine einzige Impfdosis ausreichen, damit ein Geimpfter geschützt ist.

Darüber hinaus soll es viel weniger leicht verderben und für 8,50 US-Dollar pro Dosis zu haben sein. Moderna verlangt für eine Dosis 18 Dollar, BioNTech 14,75. Das Vakzin der Firma AstraZeneca, die am Montag einen Zulassungsantrag gestellt hat, wäre mit einem Preis von voraussichtlich unter drei Dollar pro Dosis zwar noch günstiger, wirkt aber auch weniger gut.

Drei Wochen nach dem Start sind etwa ein Prozent der Bevölkerung geimpft

Bislang wurde in Deutschland etwa ein Prozent der Bevölkerung geimpft. In Israel ist es schon fast ein Viertel. Auch andere kleine Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain stehen in der weltweiten Impfstatistik teilweise viel erfolgreicher da, was das vorher von der Politik vorgebrachte Argument, eine größere Einheit wie die EU könne die Impfstoffbeschaffung besser bewältigen, etwas infrage stellt.

Berichten von Impfwilligen nach liegt es aber nicht nur am Mangel an Impfstoff, dass Deutschland so viel schlechter dasteht, sondern auch an der Bürokratie. Senioren, die nicht in einem Altersheim leben, müssen sich dazu entweder online oder bei einer Telefonhotline anmelden. Bei diesen Hotlines versuchen es derzeit auch viele Impfwillige, die mit der - vorsichtig formuliert - häufig überraschend komplexen Online-Anmeldung nicht zurechtkommen, weshalb man dort einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) nach nur schwer durchkommt.

Zuständigkeitsstreit der Ritterorden

Gelingt die Anmeldung mit Hilfe von Kindern oder anderen Verwandten doch, können Impfwillige immer noch an der Bürokratie scheitern: So erging es einem 81-Jährigen aus Siegertsbrunn bei München, den seine Schwiegertochter zusammen mit ihrem in Neubiberg bei München lebenden Vater für eine Impfung beim Malteser Hilfsdienst in Haar angemeldet hatte. Dort wollte man aber von einer vorher telefonisch gegebenen Zusage nichts wissen und wies den hochbetagten Mann mit dem Hinweis ab, für ihn seien die Johanniter in Oberhaching zuständig - und deshalb sei er jetzt daran schuld, dass Impfstoff verschwendet werde.

Dabei hatte der 81-Jährige noch Glück, dass ihn seine Schwiegertochter zur Impfung fuhr. Andere ältere Menschen sind auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen, um in oft viele Kilometer weit entfernte Impfzentren zu kommen. Den will Angela Merkel nach dem 25. Januar Medienberichten zufolge aber stark einschränken oder ganz stilllegen (vgl. Was kommt nach hart, scharf, schärfer, vertieft, noch härter?).

Berliner Impfärztin verbringt den größten Teil ihrer Arbeitszeit mit Warten

In Niedersachsen ließ man derweilen zwar ARD, ZDF und Deutschlandradio auf die Einwohnermeldedaten zugreifen, aber nicht die mit der Information von Sars-CoV-2-Gefährdeten beauftragten Stellen. Die mussten sich auf Daten von DHL verlassen, in denen das Alter angeblich teilweise anhand der Vornamen geschätzt ist.

Aus dem Berliner Impfzentrum Arena in Treptow berichtete die Oberärztin Friederike Danne dem Tagespiegel nach eigenen Angaben "gelinde gesagt entsetzt", dass dort "alles super ineffektiv abläuft". Statt der 5.000 Hochrisikogruppenangehörigen, die dort theoretisch täglich versorgt werden könnten, impfe man nur etwa 500 - und den größten Teil ihrer Arbeitszeit verbringe sie Warten. Die Gesundheitsverwaltung des Berliner Senats korrigierte Dannes Angaben nur leicht auf 600.

Ansteckendes Impfteam?

Wer in einem Senioren- oder Pflegeheim wohnt, der braucht sich um Anmeldung und Anfahrt nicht zu kümmern, weil diese Einrichtungen von "mobilen Impfteams" aufgesucht werden. Fabian Franke, der Geschäftsführer eines solchen Heims im bayerischen Lichtenfels, äußerte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk den Verdacht, dass so ein Besuch mehreren Bewohnern seiner Einrichtung eher geschadet als genützt haben könnte, weil die ungetesteten Mitarbeiter des Impfzentrums angeblich Hygienevorschriften nicht einhielten. Kurz nach dem Besuch fielen dann Sars-CoV-2-Tests bei 13 Bewohnern und zwölf Mitarbeiter positiv aus.

Das Landratsamt Lichtenfels bestreitet zwar nicht, dass das Impfteam ungetestet war, hält Frankes Verdacht aber für falsch und "das Risiko einer Virusübertragung bei einer Impfung" für "äußerst gering, da es sich um einen sehr kurzen Kontakt handele und die impfenden Personen während der Durchführung persönliche Schutzausrüstung tragen". Außerdem würden sich "die Mitarbeiter […] täglich auf mögliche Corona-Symptome überprüfen [und] bei einschlägigen Krankheitszeichen isolieren". Eine Ansteckung ohne Symptome wird damit jedoch nicht ausgeschlossen.

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