Europa ist am Blackout vorbeigeschrammt

Archivbild "Blackout in Cuenca, Ecuador, 2009". Foto: Jen/CC BY-SA 3.0

Am 8. Januar stand Europa aus verschiedenen Gründen knapp davor. Die Lage in Frankreich, wo vor einem baldigen Blackout gewarnt wird, spitzt sich weiter zu

Es war nun fast soweit: Europa stand am 8. Januar vor einem Blackout, für den es verschiedene Gründe gab. Die machen deutlich, wie anfällig der europäische Stromnetzverbund ist. Nachdem in deutschen Medien zunächst kaum über den Beinahe-Blackout berichtet wurde, ganz anders in Österreich, gab es dann im Laufe der vergangenen Woche doch noch Berichte darüber.

So titelte der Focus am vergangenen Donnerstag: "63 Minuten 'Inselbetrieb': Europa schrammte am Freitag knapp am Blackout vorbei". Berichtet wird von einer "Störung in Südosteuropa", in deren Verlauf "mehrere Länder von der Stromversorgung" abgetrennt werden mussten. In Deutschland sei das "weitgehend unbemerkt" geblieben, "auch weil die Vorkehrungen funktioniert haben".

Ähnliche Berichte lassen sich einige finden und stets wird auf Osteuropa abgestellt. "Strommangel in Rumänien löst einen dramatischen Absturz der Netzfrequenz aus", wird berichtet und wohlfeil in bestimmten Beiträgen auch auf den "Ausbau erneuerbarer Energien" verwiesen, "die extrem wetterabhängig sind", womit "die Risiken für die Zukunft" verstärkt würden.

Der Abfall der Netzfrequenz habe sich schnell in Rumänien orten lassen, wo von einer Sekunde auf die andere erheblich weniger Strom erzeugt wurde, als im Netz benötigt wurde, wird berichtet. Was das alles aber mit erneuerbaren Energien zu tun hatte, wird nicht erklärt. Berichtet wurde aber, dass kurzerhand die Operateure Südosteuropas vom gemeinsamen Netz der Union für die Koordinierung des Transports von Elektrizität (UCTE) getrennt wurden, die dann im Inselbetrieb funktionierten.

Über die Ursachen wird noch immer spekuliert. Der eigentliche Grund ist offensichtlich noch nicht gefunden. Das Handelsblatt schrieb zum Beispiel am vergangenen Freitag, dass "die Ursache" für die Vorgänge bisher nicht geklärt sei. Auch andere Berichte sind deutlich vorsichtig: "Vermutlich war ein Stromausfall in Rumänien der Auslöser."

Der Standard in Österreich hatte von einer "möglicherweise heiß gelaufenen Leitung in Rumänien" geschrieben. Also ist bisher eigentlich nur eines klar: Nichts genaues weiß man nicht und der Zusammenhang mit erneuerbaren Energien ist vage und hypothetisch. Klar ist, dass die Einschläge näherkommen.

Frankreich und das Netz

Eine Sache ist aber auffällig, die allerdings praktisch nicht in einen Zusammenhang mit den Vorgängen gebracht wird: Der Beinahe-Blackout in Europa ereignete sich ausgerechnet an dem Tag, an dem auch der Netzbetreiber in Frankreich angesichts der relativ niedrigen Temperaturen die Bevölkerung mal wieder zum Stromsparen aufgefordert hatte, damit es nicht zum Blackout im Land kommt. Denn der ist mit erheblichen Gefahren für die europäische Netzstabilität verbunden.

Telepolis hatte allerdings die Vorgänge in Frankreich zum Thema gemacht. Ohnehin ist es für Telepolis-Leser keine Neuigkeit, dass praktisch jeden Winter das Atomstromland vor dem Blackout steht und deshalb am europäischen Tropf hängt, wenn es etwas kälter wird. Denn dann lässt die Bevölkerung in Massen die Heizungen auf Hochtouren laufen und in knapp 40 Prozent der Wohnungen, die oft schlecht isoliert sind, wird noch immer mit Strom geheizt.

Da der Atomkraftwerkspark in Frankreich altersschwach ist, die beiden Uraltmeiler in Fessenheim im vergangenen Jahr abgeschaltet werden mussten, hat sich die Lage weiter zugespitzt, da der Ausbau von erneuerbaren Energien nicht schnell vorankommt. Frankreich hat mit Fessenheim erneut 1.800 Megawatt verloren.

Ersatz gibt es nicht, da eine Inbetriebnahme des Ersatzreaktors in Flamanville weiterhin nicht in Sicht ist. Der neue "European Pressurized Reactor" (EPR) sollte eigentlich schon seit acht Jahren Strom liefern. Da nach Angaben des staatlichen Stromkonzerns Electricité de France (EDF) derzeit nur 44 der 56 Atommeiler in Betrieb sind, ist die Lage ernst.

Auch dem Autor dieser Zeilen war es zunächst entgangen, dass die Lage in Frankreich am 8. Januar schon so eng war, dass Industrie-Großverbraucher in Frankreich (aber auch in Italien) vom Netz abgetrennt werden mussten, um das Stromdefizit auszugleichen. Darauf hatten aufmerksame Leser hingewiesen.

So wurde der Verbrauch in Frankreich um 1.300 Megawatt und in Italien um 1.000 Megawatt gesenkt, um das Netz wieder zu stabilisieren. Es hat 63 Minuten gedauert, um das europäische Netz wieder so zu stabilisieren, um auch die davon abgetrennten Länder in Osteuropa wieder zu synchronisieren.

Die Wahrscheinlichkeit eines größeren Blackouts

Die österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) sprach von der schwersten Störung im europäischen Stromnetz seit mehr als 14 Jahren. Und die GfKV geht davon aus, dass ein "Blackout - also der großflächige Ausfall von Strom und Infrastruktur" in den "nächsten fünf Jahren sehr wahrscheinlich" ist.

GfKV-Präsident Herbert Saurugg sieht auch eine zunehmende Gefahr eines "europaweiten Strom- und Infrastrukturausfalls" mit der "Fortdauer der Ausnahmesituation" im Rahmen der Covid-Maßnahmen, wegen der absehbaren wirtschaftlichen Folgen und der "sinkenden Stromnachfrage". Einen solchen Blackout bezeichnet Saurugg als "Supergau", der "unsere Gesellschaft, die auf ein derartiges Szenario nur unzureichend vorbereitet ist, binnen weniger Tage an die Grenzen der Belastbarkeit bringen" werde.

Und die Lage ist weiter sehr ernst, zumal in Frankreich demnächst weitere Atommeiler für Wartungsarbeiten abgeschaltet werden. Experten gehen sogar schon davon aus, dass es bald sehr eng im Nachbarland werden kann, sogar noch bevor die Kapazität der Atomkraftwerke am 13. Februar von derzeit 51-52 Gigawatt (GW) auf etwa 48 GW absinken wird. Es würde sogar schon kritisch, wenn Europa Ende Januar erneut eine Kältewelle erleben würde.

Montelnews zitiert einen Stromhändler, der davon ausgeht, dass es in Frankreich dann "mit Sicherheit" lokale Ausfälle geben werde. Derzeit sei das Netz nicht für Temperaturen ausgelegt, die 3 oder 4 Grad unter den normalen saisonalen liegen. "Wir sind nicht gewappnet", erklärt der Experte und spricht von einem Defizit von 5 bis 6 GW. Verwiesen wird im Artikel auch auf Wetterprognosen, die davon ausgehen, dass die Temperaturen "sehr wahrscheinlich" am Freitag ungefähr fünf Grad Celsius unter dem Durchschnitt liegen sollen.

Die Furcht vor einem Kälteeinbruch

Noch enger wird es im Atomstromland, das noch immer gut 70% seines Stroms über Atomkraftwerke produziert, dann ab dem 13. Februar. Sollte es zu einem Kälteeinbruch ab dem 20. Februar kommen, wenn die Atomstromproduktion sogar noch unter die Marke von 40 GW sinkt, dann ist ein Blackout in Frankreich programmiert. Schon im Winter 2020 wurde ein Spitzenverbrauch von 90-95 GW registriert. Der Verbrauch erreichte im Februar 2012 während einer Kältewelle, die 13 Tage andauerte, sogar ein Allzeithoch von 102 GW.

Fällt ein Kälteeinbruch nun mit einer weitgehenden Windstille zusammen, dann ist kaum damit zu rechnen, dass auch Importe aus den Nachbarländern das französische Netz noch abfangen können. Eine Abtrennung von großen Industriebetrieben, mit der die Regierung das Netz im Notfall wie am 8. Januar stabilisieren will, ist kaum in der Lage, das Defizit aufzufangen. Denn darüber können nur etwa 2 GW abgetrennt werden.

Experten verweisen auch darauf, dass die derzeitigen Corona-Maßnahmen das Netz längst stabilisieren, da sie zu einem Rückgang des Stromverbrauchs im Bereich von 3 bis 4 Prozent führen würden. Das hat sicher dabei geholfen, am 8. Januar den Blackout in Frankreich zu verhindern.

Aber auch damit wird die Lücke nicht geschlossen, die durch den zusätzlichen Ausfall von Atomstromkapazität ab dem 13. Februar entsteht. Und sinkt die Produktion ab dem 20. Februar unter die Marke von 40 GW muss bei einem Kälteeinbruch mit der Abtrennung ganzer Gebiete vom Stromnetz gerechnet werden, was auch die Regierung schon angesprochen hat.

Klar ist auch, dass in Frankreich massiv Reservekapazität fehlt, die derzeit aus Nachbarländern zur Verfügung gestellt wird. Es ist zwar löblich, dass Frankreich im kommenden Jahr aus der Kohle aussteigen und die letzten vier Kraftwerke abschalten will, die tragen aber ohnehin nur zu zwei Prozent zur Stromerzeugung bei.

Wenn die Renaissance der AKWs nicht gelingt

Damit würde die Stromlücke natürlich noch größer und einige Beobachter gehen längst davon aus, dass die Laufzeit von Uraltmeilern damit notwendigerweise verlängert werden muss, wie es mehrfach in Fessenheim zu beobachten war. Die beiden Reaktoren am Oberrhein liefen deutlich länger als 40 Jahre. Allerdings hatte Emmanuel Macron angekündigt, dass bis 2035 der Anteil von Atomkraftwerken an der Stromerzeugung auf 50 Prozent gesenkt werden soll und insgesamt 14 Reaktoren abgeschaltet würden.

Die große Frage ist aber, wie Frankreich seinen Strombedarf decken will? Die Renaissance der Atomkraft über den EPR will einfach nicht gelingen. Das sieht man nicht nur in Flamanville, sondern auch in Finnland. Die Bauarbeiten am Atommeiler Olkiluoto-3 sollten eigentlich schon vor 12 Jahren abgeschlossen sein. Auch beim einst französischen Konsortium von Areva und Siemens zum Festpreis von drei Milliarden Euro angebotenen Meiler, sind die Kosten derweil auf über 12 Milliarden explodiert.

Siemens hatte sich frühzeitig aus dem Konsortium zurückgezogen, Areva haben die Projekte in die Pleite getrieben. Das Unternehmen musste zerschlagen werden, die Altlasten wurden der ohnehin hoch verschuldeten EDF aufgebürdet, also wurden Kosten von einem Staatsbetrieb in den nächsten verschoben.

Der Steuerzahler wird es richten und so hält Frankreich krampfhaft an der Dinosaurier-Technologie fest und will in den nächsten 15 Jahren sechs EPR-Reaktoren bauen. Allerdings muss man kein Rechenkünstler sein, um festzustellen, dass auch damit die Stromlücke nicht geschlossen werden kann, die zusehends größer wird. Und dass das gelingt, muss zudem angesichts der Erfahrungen mit dem EPR bezweifelt werden.