"Lieber Heiko" traf "lieben Mevlüt"

Bild Heiko Maas: Connectedmorgenbriefing / CC-BY-SA-4.0; Bild Mevlüt Çavuşoğlu: Saeima / CC-BY-SA-2.0

Türkeibesuch: Außenminister Maas setzt auf "Neuanfang" in Beziehungen zu Ankara. Inhaftierte Oppositionspolitiker nicht der Rede wert. Scharfe Kritik von Linken und Grünen

Nein, die "coronakonforme" Begrüßung durch Ellenbogenkontakt reichte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu am Montag in Ankara nicht - auf einem AP-Foto berührt Maas mit der Hand den Oberarm des islamisch-konservativen AKP-Politikers, was in Pandemiezeiten schon fast als Kuscheln gedeutet werden kann. Mit "Lieber Heiko" und "Lieber Mevlüt" sprachen sie sich nach Agenturberichten an.

Nach der Entschärfung des Streits um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer setzt Maas auf einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen EU und Türkei. "Jetzt geht es darum, aus den schwierigen Diskussionen des letzten Jahres herauszukommen", sagte der deutsche Außenminister am Montag nach dem Treffen mit seinem Amtskollegen. "Ich würde mir sehr, sehr wünschen, dass die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei besser werden, vertieft werden, alle Möglichkeiten und Potenziale genutzt werden." Man wolle die Beziehungen zur Türkei "nachhaltig in eine konstruktive nach vorne gerichtete Entwicklung bringen." Das habe nun mit einem "sehr freundschaftlichen und konstruktiven Gespräch" begonnen.

"Zweierlei Maß"

Die Inhaftierung von Oppositionspolitikern und Medienschaffenden in dem Nato-Partnerstaat kritisierte Maas öffentlich nicht. Dafür hatte er sich kurz vor seinem Türkeibesuch noch sehr engagiert für die Freilassung des "Kreml-Kritikers" Alexej Nawalny in Russland gezeigt.

Die Obfrau der Bundestagsfraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dağdelen, warf Maas am Abend nach dem Treffen mit Çavuşoğlu vor, mit zweierlei Maß zu messen, wenn es um politische Gefangene gehe. "Bei seinem Besuch in der Türkei hat der deutsche Chefdiplomat jedenfalls jedes kritische Wort über die Inhaftierung zehntausender politischer Gefangener durch das Erdogan-Regime vermissen lassen", erklärte Dağdelen.

Maas habe sich mit seinem Amtskollegen "lieber in freundlichem Small Talk über den Transfer des Profifußballers und Erdogan-Freundes Mesut Özil" ausgetauscht, als beispielsweise "öffentlich und mit Nachdruck" die sofortige Freilassung von Selahattin Demirtaş zu verlangen. Der ehemalige Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) ist seit 2016 in der Türkei inhaftiert - "unter absurden Terrorvorwürfen", wie Dağdelen betont.

Als Grund für seine Inhaftierung diente eine Jahre zuvor gehaltene Rede von Demirtaş auf einem Kongress der Partei des Friedens und der Demokratie (BDP), der nach Meinung der türkischen Strafverfolgungsbehörden der "Spaltung der Einheit und territorialen Integrität des Staates und die Änderung der Verfassung" gedient hatte. Somit waren die Äußerungen des späteren HDP-Chefs zum türkisch-kurdischen Konflikt dort als "Terrorpropaganda" gewertet worden.

Am Donnerstag wird zudem der Prozess gegen die Kölnerin Gönül Örs wegen Terrorvorwürfen in Istanbul fortgesetzt. Maas sagte laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur (dpa), er äußere sich nicht zu Einzelpersonen, habe solche Fälle aber mit Çavuşoğlu besprochen.

Kritik auch von Grünen

Kritik an der Charmeoffensive kam in Deutschland auch aus den Reihen der Grünen: "Eine verbesserte Beziehung zur EU kann es nur geben, wenn sich die Menschenrechtslage in der Türkei radikal zum Positiven verändert", sagte die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth der dpa. Nicht nur im Gasstreit müsse der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan "sich bewegen", twitterte der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Grünen-Chef Cem Özdemir und sprach sich klar dagegen aus, mit "einer Türkei, deren Gefängnisse voll von politischen Häftlingen sind", gemeinsame Sache zu machen.

Linken-Politikerin Dağdelen hält darüber hinaus das Auftreten der Bundesregierung als "Friedensstifter" im Konflikt der Türkei mit Griechenland und Zypern um die Erdgasressourcen für unglaubwürdig, solange sie nicht "die Aufrüstung der türkischen Kriegsmaschinerie beendet". Die am 25. Januar beginnenden Verhandlungen über den Gebietskonflikt im Mittelmeer sollten "durch ein Waffenmoratorium konstruktiv begleitet werden", so Dagdelen. "Dies wäre ein erster notwendiger Schritt zu einem vollständigen Stopp der Rüstungsexporte an Erdogan, der anhaltend Völkerrecht bricht."