"Zero Covid": Null Vertrauen in die Adressaten

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Aufruf für "solidarischen Shutdown" wird auch von links kritisiert: Im Prinzip seien viele der Forderungen richtig, im jetzigen Kräfteverhältnis würden aber die problematischen umgesetzt

Es sind nicht nur die neoliberalen "üblichen Verdächtigen": Die Initiative "Zero Covid", die im Kampf gegen das Coronavirus einen europaweiten "solidarischen Shutdown" inklusive Aussetzung der Arbeitspflicht für einen Großteil der Berufstätigen fordert, wird zunehmend auch von links kritisiert.

Vor allem gibt es starke Zweifel an der kurzfristigen Durchsetzbarkeit des sozialen Teils. Befürchtet wird, dass die Adressaten des Aufrufs - letztendlich allesamt Entscheidungsträger bürgerlicher Staaten - im aktuellen Kräfteverhältnis nur den repressiven Teil umsetzen und das "umfassende Rettungspaket für alle" ein frommer Wunsch bleibt. Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, die sich sonst für offene oder möglichst durchlässige Grenzen aussprechen, werden darauf aufmerksam gemacht, dass es erst einmal mehr Abschottung, strikte Reise- und Migrationskontrolle bedeuten würde, ihre aktuellen Forderungen zu erfüllen.

Hinzu kommen Zweifel an der Machbarkeit einer medizinischen Ausrottung des Virus durch Kontaktreduzierung und Lockdown-Maßnahmen, wie sie in dem Aufruf letztendlich verlangt wird.

Verwerfungen befürchtet

Der wissenschaftliche Beirat des Netzwerks Attac erscheint diesbezüglich gespalten - während der Politologe und Verkehrsexperte Winfried Wolf zu den Erstunterzeichnern zählt, hat der Sozialwissenschaftler Alex Demirović Anfang der Woche den Debattenbeitrag "Warum die Forderung nach einem harten Shutdown falsch ist" veröffentlicht. "Es gab in Vorbereitung des Aufrufs eine Reihe spannender Diskussionen in der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder im wissenschaftlichen Beirat von Attac", schreibt Demirović auf der Internetseite der Zeitschrift Analyse & Kritik.

Er sehe mit Sorge, "zu welchen Verwerfungen die unterschiedlichen Einschätzungen der Pandemie auch innerhalb der Linken führen können" und habe den Aufruf nicht unterschrieben, obwohl darin richtige Zusammenhänge hergestellt und richtige Forderungen aufgestellt würden. Ein europaweiter Lockdown sei "nicht realistisch", so Demirović. "Denn die Entscheidung müsste auf der Ebene der EU fallen und dann durch einzelstaatliche Entscheidungen umgesetzt werden. Ein solcher Prozess ist langwierig und angesichts der politisch sehr unterschiedlichen Regierungen eher unwahrscheinlich."

Für den Bundestagsabgeordneten Harald Weinberg (Die Linke), ist diese Frage noch offen. Wie Linksparteichefin Katja Kipping bewertet auch Weinberg als Fraktionssprecher für Krankenhauspolitik und Prävention die Initiative "Zero Covid" positiv. "Vor allem deshalb, weil sie das Infektionsrisiko am Arbeitsplatz und den Weg von und zur Arbeit in den Mittelpunkt stellt", so Weinberg gegenüber Telepolis. "Ein wenig unklar" bleibe aber, "wer denn der politische Akteur sein soll, der die Forderungen umsetzt". Sinnvoll erscheine da nur die europäische Ebene - dort könne allerdings niemand alleine entscheiden.

Eine Hoffnung trotz Kritik

Mit "#Zero Covid - eine solidarische Kritik" ist die Stellungnahme der "Sozialistischen Organisation Solidarität" (SOL) überschrieben - deren Mitglieder sind zum Teil auch in der Linkspartei-Strömung Antikapitalistische Linke und in Gewerkschaften aktiv. "Wir teilen viele der Forderungen, die von der Kampagne vertreten werden und hoffen, dass sie einen Beitrag dazu leistet, die Debatte um die völlig unzureichende und verfehlte Corona-Politik der Bundes- und Länderregierungen in die richtige Richtung zu lenken", heißt es in dem Statement.

"Das Virus vollständig auszumerzen erscheint uns unrealistisch, vor allem aber sind wir der Meinung, dass der Kampf gegen die Pandemie nicht mit Scheuklappen geführt werden sollte, sondern die gesellschaftlichen Folgen, insbesondere die ökonomischen und psychosozialen Folgen für die Arbeiter*innenklasse, die Jugend und sozial Benachteiligte mit bedacht werden müssen", fasst SOL-Bundessprecher Sascha Staničić die Kritik zusammen. Die Initiative scheine "nicht wahrzunehmen oder bewusst zu ignorieren, welche hohe Belastung der Lockdown jetzt schon für große Teile der Bevölkerung bedeutet" und wie groß der Unmut über willkürliche und unsinnige Maßnahmen sei. "Aber Forderungen nach Lohnfortzahlung im Falle von Betriebsschließungen durch einen Shutdown, nach Lohnerhöhungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, nach Rücknahme der Privatisierungen und Schließungen von Krankenhäusern und der Abschaffung des Fallpauschalensystems in denselben sind völlig richtig", so Staničić.

Den "Zero Covid"-Aufruf hatten sowohl medizinische Fachkräfte als auch Kulturschaffende unterschrieben, die von den einseitigen Lockdown-Maßnahmen bisher überproportional betroffen waren und seit Monaten nicht vor Live-Publikum auftreten können. Unterdessen waren Vorgesetzte in Bürobetrieben bisher nicht verpflichtet, ihren Mitarbeitern Heimarbeit zu erlauben, wo immer dies möglich ist. Erst im Zuge der Bund-Länder-Beratungen am Dienstagnachmittag zeichnete sich ab, dass es hierzu nun doch verbindliche Vorgaben geben soll.

Bis dahin hatte die "Zero Covid"-Petition auf der deutschsprachigen Plattform der Kampagnenorganisaton Campact bereits gut 70.000 Unterstützerinnen und Unterstützer.