Wenn NSU, Prepper und Amri auf einmal im selben Stück spielen

Im Untersuchungsausschuss von Mecklenburg-Vorpommern zum Mordfall Turgut verkörpert der Ex-Innenminister Zusammenhänge verschiedener Tatkomplexe, die bis in die Gegenwart reichen

Landtag Schwerin: So schnell kann sich das Politkarussell drehen. Bis vor wenigen Wochen war der CDU-Abgeordnete Torsten Renz noch - stellvertretendes - Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss, der das Handeln von Landeskriminalamt (LKA) und Landesverfassungsschutzamt (LfV) überprüfen soll. Jetzt ist er Innenminister und damit oberster Dienstherr von LKA und LfV. Und als solcher hat er nun auch die Aussagegenehmigungen von Zeugen aus diesen Behörden zu verantworten.

Seinen Vorgänger, Parteikollege Lorenz Caffier, der erst vor wenigen Wochen nach 14 Jahren im Amt zurückgetreten und jetzt als Zeuge vor den Ausschuss geladen war, betraf das allerdings nicht: Dessen Aussagegenehmigung kam von der Ministerpräsidentin.

Der Politiker Caffier ist so etwas wie die Verkörperung des Zusammenhangs mehrerer Tatkomplexe. Zurückgetreten ist er im November 2020, weil bekannt wurde, dass er bei einem dubiosen Waffenhändler privat ebenfalls eine Waffe gekauft hatte.

Dieser Waffenhändler hatte zusammen mit dem Landeskriminalamt (LKA) von Mecklenburg-Vorpommern (M-V) und unter der Schirmherrschaft des Innenministers Caffier sogar jährlich internationale Schießwettbewerbe und Waffenmessen durchgeführt.

Verbindungslinien von der Prepperszene zum NSU-Komplex

Dann kam heraus, dass er Teil der bewaffneten Prepperszene ist, in der auch Polizisten konspirativ mitspielen. Einer der führenden Köpfe der Prepper war Mitglied eines Sondereinsatzkommandos (SEK) des Landes.

Von der Prepperszene wiederum führen Verbindungslinien zum NSU-Komplex. Da sind Polizeibeamte, die privat einen Schießwettbewerb veranstalten, den sie despektierlich nach dem Namen eines NSU-Mordopfers benennen. Und da ist die Partnerorganisation "Uniter", die unter anderem von einem Verfassungsschützer aus Baden-Württemberg mitgegründet wurde, der zuvor Elitepolizist und Kollege des zehnten NSU-Opfers Michèle Kiesewetter gewesen war.

Und als ob das noch nicht genüge, spielt auch der Anschlagskomplex vom Breitscheidplatz in Berlin in den Handlungsbereich des M-V-Innenministers hinein. Dessen Verfassungsschutz (VS) hatte Informationen zum mutmaßlichen Mittäter Anis Amri für sich behalten und nicht an die Ermittlungsinstanzen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt weitergegeben.

Bei seiner Befragung im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestags Ende November 2020 hinterließ VS-Chef Reinhard Müller einen verheerenden Eindruck. Dabei hatte er in der Causa Amri ganz im Interesse des Ministeriums gehandelt.

Nach Caffiers Rücktritt war auch Müllers Zeit abgelaufen. Caffier-Nachfolger Renz entließ ihn schließlich im Januar 2021.

Soweit der politische Rahmen, in dem der NSU-Untersuchungsausschuss in Schwerin nach Erkenntnissen sucht zu dem Rostocker Mordfall, der nun 17 Jahre zurückliegt. Es war der fünfte von insgesamt zehn Morden. Und doch ist der Ausschuss bei seiner jüngsten Sitzung letzten Freitag erneut fündig geworden und auf weitere Puzzlestücke der unendlichen NSU-Geschichte gestoßen.

Zunächst: Das erste schriftliche Zeugnis über die Existenz des "NSU" (Nationalsozialistischer Untergrund) findet sich aus dem Jahr 2002 in einem Neonazi-Blatt namens "Der Weiße Wolf", das zu diesem Zeitpunkt in Mecklenburg-Vorpommern herausgegeben wurde. Darin bedankt sich die Redaktion beim "NSU" mit den Worten, es habe "Früchte getragen".

"Der Weiße Wolf"

Der Verfassungsschutz von M-V will das entsprechende Heft Nr. 18 allerdings nicht in seinem Besitz gehabt haben. Dagegen hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sich die fragliche Ausgabe besorgt, und die soll dessen Auffassung nach auch in Schwerin vorgelegen haben. Von Relevanz ist das deshalb, weil die Schweriner durch einen Spitzel bereits Monate vorher, im April 2002, erfahren hatten, dass bei den Herausgebern des "Weißen Wolfs" eine Spende von 2.500 Euro eingegangen war. Man hätte auf Seiten der Nachrichtendienste also eins und eins zusammenzählen können: Geld - Dank - NSU.

Doch ausgerechnet zum entsprechenden Heft will der Dienst in Schwerin dann "keinen Zugang" gehabt haben, wie eine VS-Beamtin jetzt im Untersuchungsausschuss erklärte.

Der damalige Herausgeber des "Weißen Wolfs", der NPD-Mann David Petereit, will weder gewusst haben, wer sich hinter "NSU" verbirgt, noch will er zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Kontakt gehabt haben.

Die Information der Quelle im Jahr 2002 über die Geldspende war jedenfalls so bedeutend, dass sie beim Schweriner LfV als sogenannte Deckblatt-Meldung festgehalten wurde. Und also solche muss sie auch das BfV in Köln erreicht haben.

Das wiederum ist nun deshalb relevant, weil es ein Jahr später, im August 2003, zum ersten bekannten mündlichen Zeugnis über den NSU kam. Der Verfassungsschutz von Baden-Württemberg wurde durch einen Hinweisgeber, der einmal V-Mann der Behörde war, auf eine rechtsterroristische Gruppierung in Ostdeutschland namens "NSU" mit mindestens fünf Mitgliedern, von denen eines "Mundlos" hieß, aufmerksam gemacht. Der VS-Beamte stellte die Namen ins gemeinsame Informationssystem des Verfassungsschutzverbundes "Nadis" ein.

Damit konnten BfV, wie alle Verfassungsschutzämter, noch mehr als eins und eins zusammenzählen und einen Zusammenhang zum Kürzel "NSU" erschließen. Vorausgesetzt, man wollte es. Doch genau daran gibt es Zweifel.

Denn heute wissen wir, dass das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe bereits vom Tag seines Abtauchens im Januar 1998 an, von mehreren V-Leuten der verschiedensten Sicherheitsbehörden umgeben war - in Jena, in Chemnitz, in Zwickau. Lässt man einmal unberücksichtigt, dass das Trio selber im Verdacht steht, Kontakt zu staatlichen Stellen gehabt zu haben.

Der Verfassungsschutz

In Mecklenburg-Vorpommern erhielt der Verfassungsschutz bereits in den Jahren 1996, 1998 und 1999 mehrfach Informationen aus Thüringen über das Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe. Das kam jetzt im Untersuchungsausschuss durch die Vernehmung von zwei Zeuginnen des Amtes heraus.

Ende November 1996 war die Information übermittelt worden, dass Böhnhardt und Mundlos wenige Tage zuvor im thüringischen Apolda an einem rechtsradikalen Konzert teilgenommen haben. Anfang Dezember 1998 erreichte den Schweriner VS die Meldung von einem Prozess vor dem Amtsgericht Rudolstadt gegen Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes.

Darunter Böhnhardt und Zschäpe, die nicht erschienen, weil sie zu diesem Zeitpunkt seit fast einem Jahr in der Illegalität lebten. Ihr Rechtsanwalt war Hans Günter Eisenecker, der NPD-Landesvorsitzende von Meck-Pomm. Und 1999 erhielt das Schweriner Amt den vorläufigen VS-Bericht zum Abtauchen der drei.

Dass Eisenecker bereits 1998 in Kontakt zu dem untergetauchten Trio stand, sei ein "neuer Aspekt", erklärte Ausschussmitglied Peter Ritter (Linkspartei). Bisher ging man davon aus, dass der Kontakt erst 1999 begann. Das mache ihn "sprachlos", weil dadurch schon früher eine direkte Verbindung vom "NSU" nach Mecklenburg-Vorpommern bestanden habe. Ritter erwähnte auch einen V-Mann des BfV im Umfeld Eiseneckers für diesen Zeitraum.

Einen dritten VS-Zeugen schickte der Ausschuss wieder nach Hause, als sich herausstellte, wie der NDR aus Ausschusskreisen erfuhr, dass der Geheimdienstmann zur Vorbereitung Akten studieren konnte, die die Abgeordneten selber gar nicht vorliegen haben. Im U-Ausschuss wird wiederholt reklamiert, dass die Akten nur schleppend geliefert werden, zu einem Großteil noch fehlen oder großflächig geschwärzt seien.

Außerdem haben in der Vergangenheit auch Aktenlöschungen stattgefunden - und zwar mindestens von 2014 bis 2017, als die politische und juristische Aufklärung der Mordserie in vollem Gange war.

Der frühere Innenminister bestätigte das und begründete es mit "abgelaufenen Löschfristen". Es habe aber nur Polizeiakten betroffen und nicht Verfassungsschutzakten, so Caffier. Um welche Akten genau es sich handelte und ob schon direkt nach der Entdeckung des NSU am 4. November 2011 im LKA Akten vernichtet wurden, will man im Ministerium aber nicht sagen können. Darüber gebe es keine Aufstellung. Und Caffiers Erklärung dazu: Das sei zwischen den Abteilungsleitern behandelt worden, er wisse dazu nichts.

Mordfall Mehmet Turgut

Der Mord an Mehmet Turgut am 25. Februar 2004 fiel in die Amtszeit seines Vorgängers Gottfried Timm, der bereits als Zeuge im Ausschuss aussagte. Ab 2006 war aber Caffier für den Umgang mit dem Mord und ab 2011 für den Umgang mit dem NSU politisch verantwortlich. Im Ausschuss erklärte er jetzt, die Bekämpfung des Rechtsextremismus sei in seiner Amtszeit für ihn ein besonderer Schwerpunkt gewesen, die Thematik NSU berühre ihn umso mehr.

Im April 2017 legte das Innenministerium einen Bericht zum NSU vor. Der Landtag hatte damals im Rahmen des Innenausschusses gerade einen NSU-Unterausschusses eingerichtet. Der wurde ein Jahr später durch einen kompetenteren ordentlichen Untersuchungsausschuss ersetzt.

Der Tenor dieses M-V-NSU-Berichtes deckt sich mit anderen ähnlichen offiziellen Erklärungen in der gesamten Bundesrepublik: Es sei kein Zusammenhang zwischen den Morden und einer "politischen Motivation" der Täter erkennbar gewesen; es habe keine Erkenntnisse gegeben, warum das Mordopfer ausgewählt wurde; personelle oder organisatorische Verflechtungen des NSU-Trios nach Mecklenburg haben nicht festgestellt werden können.

Caffier bewegte sich bei seinem Zeugenauftritt im Wesentlichen entlang dieses Berichts. Er nahm die Ermittler gegen den Vorwurf in Schutz, die Ermittlungen im Mordfall Turgut seien rassistisch motiviert gewesen. Man habe in alle Richtungen ermittelt, aber auch bei den V-Leuten seien keine Hinweise auf die Täter angefallen.

Wenn aber trotz 300.000 Euro Belohnung keiner etwas wusste, obwohl es doch gerade in der V-Mann-Szene "vor allem um Geld" gehe, könne das nur bedeuten, dass das Trio weitgehend abgeschottet agierte. Und schließlich seien ja nicht nur die Ermittler, sondern auch die Presse von den wirklichen Tätern weit entfernt gewesen.

Im Zuge der Ermittlungen hatte das LfV eine Drogenspur verfolgt, die sich dann als falsch herausstellte. Dass der Geheimdienst diese Spur der Rostocker Mordkommission und dann auch dem Bundeskriminalamt offensiv unterbreitete, wirft bis heute Fragen auf. Lag der Dienst nur falsch oder legte er bewusst eine falsche Fährte?

Dieser Vorgang wird nun aktuell im Zusammenhang mit der unterbliebenen Informationsweitergabe im Fall Amri von Seiten des LfV wie des Innenministeriums zur Selbstentlastung vorgebracht. Wie schon Ex-LfV-Chef Müller im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestags, erklärte nun auch Ex-Innenminister Caffier im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags, es würden bei beiden Fällen gegenteilige Maßstäbe angelegt werden.

Was im Fall Turgut bemängelt wurde, würde im Fall Amri verlangt werden - die ungeprüfte Weitergabe von Informationen. Der NSU-Skandal und der Fall Turgut werden benutzt, um das Verhalten im Fall Amri zu rechtfertigen.

Damit stellen die Institutionen selber einen Zusammenhang zwischen den Terrorkomplexen her. Player darin sind nicht nur Neonazis, Waffenhändler und Islamisten, sondern eben auch LKA-Beamte, V-Leute und ein Innenminister.