Der BfV-Informant im Täterumfeld und das heimliche Wissen eines Berliner Staatssekretärs

Tatort im Nebel: Hardenbergstraße am Morgen nach dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz (19. Dezember 2016); die Straße führt direkt zum Weihnachtsmarkt. Foto: Alandeus/CC BY-SA 4.0

Am Tag, als der Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Anschlag vom Breitscheidplatz seine Zeugenbefragungen abschließt, erfährt er Neues über eine Quelle des Verfassungsschutzes

"Ich bin ratlos. Was ist in dem LKW eigentlich passiert? Welche Hypothese hat das BKA denn?" Wenn eine solche Frage vier Jahre nach dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz von einem Mitglied des Untersuchungsausschusses im Bundestag formuliert wird, im Januar 2021, kann das nur eines heißen: Die Aufklärung des Attentats ist ungenügend, sie muss weitergehen.

Nicht am Ende der Wahrheit angekommen

Der Ausschuss, der seit knapp drei Jahren arbeitet, ist zwar am Ende der Zeugenvernehmungen angekommen, aber nicht am Ende der Wahrheit. Er will sich jetzt an seinen Bericht machen, selbst wenn, was verschiedene Fraktionen offenlassen wollen, in den kommenden Wochen doch noch der ein oder andere Zeuge geladen werden sollte. Im Sommer beendet der Bundestag seine Geschäfte und Neuwahlen stehen an.

Nicht nur zum Tatgeschehen auf dem Breitscheidplatz bestehen weiterhin fundamentale Unklarheiten, auch zur Vorgeschichte, zur Nachgeschichte oder zum Täterumfeld etwa.

Nicht überraschend also, wenn auch noch am letzten Tag der Zeugenbefragungen Neues herauskommt. Zum Beispiel über den Informanten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in der radikalen Fussilet-Moschee in Berlin - sowie, wer seit wann davon wusste und es für sich behalten hat. Das liegt sogar mehr als fünf Jahre zurück und reicht weit in die Zeit vor dem Anschlag vom 19. Dezember 2016.

Die Moschee in der Perleberger Straße, jener nominelle Terroristentreffpunkt, liegt kurioserweise direkt gegenüber einem großen Polizeirevier, das wiederum zur anliegenden Direktion 3 der Berliner Polizei gehört. Sucht sich, wer konspirativ vorgehen will, einen solchen Standort aus?

Der Tunesier Anis Amri, einer der mutmaßlichen Mittäter, ging dort, wie etliche andere gewaltbereite Islamisten, seit 2015 ein und aus. Die Moschee hatte einen überschaubaren Mitgliederkreis. Darunter befanden sich mindestens drei menschliche Quellen von Sicherheitsbehörden. Eine von ihnen war das BfV in Köln.

Die Öffentlichkeit und der parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestags erfuhren im Mai 2018 durch einen Presseartikel davon. Die Existenz des BfV-Spitzels wurde bis jetzt mit einem großen Tabu belegt. Die Abgeordneten konnten weder die Quelle selber noch den Quellenführer dazu befragen. Sie klagten dagegen beim Bundesverfassungsgericht.

Der V-Mann des BfV

Jetzt, am 26. Januar 2021, erfährt man also: Der V-Mann des BfV wurde mindestens seit 2015 dort eingesetzt. Zu Protokoll gab das der Zeuge Torsten Akmann (SPD), Staatssekretär beim Berliner Innensenator, im Amt ist er seit Dezember 2016. Gefragt, seit wann er davon wisse, antwortete Akmann: Seit zwei Tagen. Um Erläuterung gebeten, ergänzte er, vorher habe er in der Presse dazu gelesen, aber seit zwei Tagen wisse er "positiv", dass es diese BfV-Quelle gab.

Bei der Vorbereitung auf seinen Zeugenauftritt sollen dem Staatssekretär Mitarbeiter ein Dokument über eben diese Quelle präsentiert haben. Das Besondere: Es stammt aus dem Jahr 2015. Damals erhielt der Innensenat eine Information zur Fussilet-Moschee, weil deren Verbotsverfahren vorbereitet wurde. Die Information kam vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), das sie vom Bundesamt bekommen haben musste.

Wir halten fest: Bereits Ende 2015 wussten in Berlin sowohl der Verfassungsschutz als auch der Innensenator (damals Frank Henkel, CDU) sowie dessen Staatssekretär (damals Bernd Krömer, CDU) von dem Vorgang. Die Quelle wurde spätestens 2015 in dem Moscheeverein platziert, vielleicht sogar früher.

Im Gegensatz zum LfV war das Landeskriminalamt (LKA) nicht eingeweiht worden. Das soll erst im Februar 2017 nach dem Anschlag geschehen sein. Ein leitender BfV-Vertreter traf sich mit dem Islamismus-Verantwortlichen des LKA und offenbarte, dass das Kölner Amt in der Berliner Moschee eine Quelle führte.

Das berichtete jener LKA-Mann Axel B. im Februar 2019 als Zeuge dem U-Ausschuss im Bundestag.

Die Information wurde als "streng geheim" eingestuft. Der LKA-Mann widersprach und informierte die Amtsleitung. Für das LKA war die Information über die BfV-Quelle auch deshalb nicht unwichtig, weil es selbst eine eigene V-Person im Umfeld der Moschee hatte.

Zurück zum Staatssekretär Akmann und seiner Zeugenvernehmung im Januar 2021. Er selbst will es also erst vier Jahre später von der fraglichen Quelle erfahren haben. Nach dem Anschlag, Anfang 2017, will er den LKA-Chef Christian Steiof nach möglichen Quellen im Umfeld des angeblichen Attentäters Amri gefragt haben. Der habe gesagt: Fragen Sie mal das BfV!

Ende März 2017 kam es zu einem Treffen von Berlins Innensenator Andreas Geisel und seinem Staatssekretär Akmann mit BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen, eine Art Kennenlernbesuch. Am Ende sprachen sich Akmann und Maaßen noch alleine. Beide kennen sich aus dem Bundesinnenministerium (BMI). Akmann war insgesamt neun Jahre dort tätig, zuletzt in den Bereichen Spionageabwehr und Geheimschutz sowie auch beschäftigt mit dem Thema NSU, dazwischen war er sieben Jahre im Bundeskanzleramt. Maaßen war im BMI einmal Akmanns Vorgesetzter.

Es wird schillernd

Und nun wird es schillernd. Bei ihrem Zusammentreffen im März 2017 sprachen Akmann und Maaßen auch über das Thema "nachrichtendienstliche Quelle in der Fussilet-Moschee und den Kontext mit Amri", so Akmann.

Aber: Er habe dabei nicht nach der BfV-Quelle gefragt, sondern nur, ob sich das BfV die Quelle möglicherweise mit dem LfV Berlin geteilt habe, es also eine gemeinsame Quelle gewesen sei. Dazu muss der Berliner Staatssekretär aber nicht den Präsidenten des BfV bemühen, das kann er von seinem eigenen Amt erfahren.

Warum also diese Umständlichkeit? Will Akmann verschweigen, dass der BfV-Präsident die Existenz der Quelle möglicherweise bestritten hat? Soll vielleicht die Version Maaßens abgesichert werden, das BfV habe keine Quelle im Umfeld von Amri gehabt? - wobei er in einem Kunstgriff die Fussilet-Moschee nicht zu Amris Umfeld zählt.

Oder will Akmann etwa verheimlichen, dass er selbst schon ab März 2017 von eben dieser Quelle wusste? Denn dann könnte er nicht mehr behaupten, erst vier Jahre später, "positiv" darüber informiert worden zu sein.

Nach dem Treffen Akmann - Maaßen dauerte es über ein Jahr, bis die Existenz der Quelle durchsickerte, im Mai 2018.

Akmann war am 27. November 2020 als Zeuge in den Amri-Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses geladen. Auch da wurde ihm die Frage gestellt, seit wann er von der BfV-Quelle in der Moschee gewusst habe. Seine Antwort damals: Dazu äußere er sich nur in nicht-öffentlicher Sitzung.

Warum? Dass er von der Quelle "offiziell" nichts wusste, hätte er auch öffentlich sagen können. Allerdings hätte die Öffentlichkeit dann gehört, dass er sich bis zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht über diesen V-Mann des BfV erkundigt hatte. Überhaupt: Im Lichte des Zeugenauftritts von Januar 2021 wirft jener vom November 2020 mehr als nur eine Fragwürdigkeit auf.

Und als wäre die Geschichte nicht schon toll genug, erklärte Akmann jetzt im Bundestag so ganz nebenbei: Der Innensenator sei einmal durch den Verfassungsschutzchef von Berlin, Bernd Palenda, über die BfV-Quelle in der Fussilet-Moschee informiert worden. Wann das war, erfuhr man nicht. Er sei bei diesem Gespräch nicht dabei gewesen, so Akmann. Palenda leitete bis zum November 2018 das LfV in Berlin.