U-Ausschuss zu Berliner Terroranschlag darf V-Mann-Führer nicht befragen

Dieser Vierzigtonner war das Tatwerkzeug. Viele Fragen sind offen. Bild: Emilio Esbardo / CC BY-SA 4.0

Bundesverfassungsgericht weist Klage von Oppositionsfraktionen ab. Ein Richter sieht jedoch laut Sondervotum "erhöhtes Kontrollbedürfnis"

Perücken und Pseudonyme reichen im Zweifel nicht aus: Der Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer (CSU) darf sich weigern, dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz die Verfassungsschutzbeamten zu nennen, die persönlich befasst waren mit der V-Person in der Moschee, die der mutmaßliche Haupttäter Anis Amri regelmäßig besucht hatte.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe veröffentlichte an diesem Mittwoch einen Beschluss, mit dem eine entsprechende Klage der drei Oppositionsfraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie ihrer Obleute in dem Ausschuss abgewiesen wurde.

"Eine Grenze des Beweiserhebungsrechts des Untersuchungsausschusses bildet das Wohl des Bundes oder eines Landes (Staatswohl), das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden kann", begründete der Zweite Senat des Gerichts die Entscheidung. Es gehe sowohl um die "Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste als Belang des Staatswohls" als auch um "die Grundrechte der betroffenen V-Personen".

Allerdings hatten die Kläger nicht einmal die Klarnamen der besagten V-Mann-Führer Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) verlangt - üblicherweise treten Geheimdienstzeugen mit Ausnahme der Behördenleiter in Untersuchungsausschüssen unter Arbeitsnamen und teilweise auch kostümiert auf. Damit haben sich die Abgeordneten längst abgefunden. In seinem Beweisbeschluss hatte der Ausschuss aber Wert darauf gelegt, die Beamten, die unmittelbar mit der V-Person zu tun hatten, selbst als Zeugen zu befragen - unter welchen Namen auch immer. Das Ministerium hatte aber selbst dies abgelehnt und stattdessen nur den Beschaffungsleiter der Abteilung "Islamismus und Islamistischer Terrorismus" und später dessen Referatsleiter "VM-Führung nord- und ostdeutsche Bundesländer" benannt.

Abweichende Meinung

Das höchste deutsche Gericht - beziehungsweise die Mehrheit seines Zweiten Senats - befand dies als ausreichend. Der Beschluss war allerdings nicht einstimmig: Die abweichende Meinung des Richters Peter Müller wurde als Sondervotum festgehalten. "Der Einsatz von V-Personen, die selbst dem Umfeld der beobachteten verfassungsfeindlichen Bestrebung angehören, stellt sich als ambivalentes Element nachrichtendienstlicher Tätigkeit dar", erklärte Müller. "Insoweit besteht ein erhöhtes Kontrollbedürfnis, dem wegen des Fehlens ausreichender gerichtlicher und exekutiver Kontrollmöglichkeiten nur auf parlamentarischer Ebene Rechnung getragen werden kann."

Die Obfrau der Fraktion Die Linke im Untersuchungsausschuss, Martina Renner, sieht dafür vorerst wenig Chancen: "Ich glaube nicht an die derzeitige Möglichkeit der Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament", erklärte sie am Mittwoch nach Bekanntwerden des Gerichtsbeschlusses. Hinsichtlich der offenen Fragen - wie nah etwa eine V-Person des BfV am späteren Attentäter "dran" war, welche Informationen die Behörde auf diesem Weg sammeln konnte und wie sie weiter damit umging - wäre die Bundesregierung aus Renners Sicht "dem Parlament und der Öffentlichkeit und vor allem den Opfern Antworten schuldig gewesen". Das ergebe sich auch aus dem Sondervotum des Richters Müller.

"Bei der Aufklärung des schlimmsten islamistischen Anschlags in Deutschland werden wir jetzt nicht klären können, warum das Bundesamt für Verfassungsschutz trotz einer Quelle in der Fussilet-Moschee angeblich keinerlei Informationen über die islamistischen Umtriebe und Anschlagsplanungen des Anis Amri erlangen konnte", unterstrich die Obfrau der Grünen, Irene Mihalic.

Im Zuge des Lkw-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz waren am Abend des 19. Dezember 2016 insgesamt zwölf Menschen getötet worden. Der Speditionsfahrer des gekaperten Vierzigtonners war mit der Waffe erschossen worden, die Amri bei sich trug, als er selbst vier Tage später im italienischen Sesto San Giovanni von der Polizei erschossen wurde. Elf weitere Menschen waren durch die Fahrzeugattacke gestorben. Ermittelt wurde zunächst auch gegen Amris Freund Bilel Ben Ammar, der aber bereits Anfang Februar 2017 nach Tunesien abgeschoben wurde - noch bevor die Auswertung seines Mobiltelefons mit verdächtigen Bilddateien von Zufahrtswegen zum Breitscheidplatz abgeschlossen war.

Mehrere BfV-Zeugen versuchten später vor dem Ausschuss zu relativieren, dass das Amt in den Monaten vor dem Anschlag eine Quelle in Amris "Umfeld" geführt habe, trotzdem schon bekannt war, dass es eine in der Berliner Fussilet-Moschee geführt hatte. Die Moschee war klein und überschaubar; Amri hatte dort sogar gelegentlich übernachtet. Aber diverse BfV-Zeugen, die - soweit bekannt - nicht selbst mit der V-Person gesprochen hatten, wollten den Begriff "Umfeld" enger fassen, um den damaligen BfV-Chef Hans-Georg Maaßen nicht lügen zu strafen, nachdem dieser kategorisch behauptet hatte: "Im Umfeld von Anis Amri hatten wir keine V-Personen."