Weder Nord Stream 2 noch US-Fracking-Gas zukunftsfähig

Fossiler Kapitalismus: Ex-US-Präsident Donald Trump beim Besuch eines LNG-Terminals in Hackberry. Bild: Official White House Photo / Shealah Craighead

Deutschland will fossile Gasprojekte durchsetzen, obwohl die Finanzierung dafür schwieriger wird und innovationsfeindliche Abhängigkeiten drohen

Die Worte von Werner Hoyer waren unmissverständlich: "Um es milde auszudrücken, Gas ist vorbei", sagte der Präsident von der Europäischen Investitionsbank (EIB) Ende Januar auf einer Pressekonferenz.

Hoyers Aussage hat Gewicht, denn Aufgabe der EIB ist es, die Umsetzung von EU-Zielen zu fördern, indem sie unter anderem die Finanzierung für Investitionsvorhaben bereitstellt. Noch fördert die EIB den Bau von Gaskraftwerken wie auf der griechischen Insel Kreta, doch bis zum Ende dieses Jahres will sie ihre finanzielle Unterstützung für fossile Brennstoffe beenden. Die neuen EIB-Förderregeln sehen vor, dass pro erzeugter Kilowattstunde Strom nicht mehr als 250 Gramm CO2 anfallen dürfen.

Zwölf bis 14 Milliarden Euro hat die Bank zwischen 2014 und 2019 jedes Jahr in den Energiesektor gesteckt. Für Gasprojekte ist dieses Geld ab 2022 nicht mehr verfügbar. Die Finanzierung solcher Projekte wird damit innerhalb der EU schwieriger.

"Das markiert eine eindeutige Abkehr von der Vergangenheit. Aber ohne den Ausstieg aus der ungebremsten Nutzung fossiler Brennstoffe werden wir die Klimaziele nicht erreichen können", so Hoyer.

Deutschland plant trotzdem noch weitere fossile Gasprojekte zu bauen. Mit Nord Stream 2 soll eine 1.200 Kilometer lange Pipeline zwischen Russland und Deutschland in Betrieb genommen werden. Sie ist zwar größtenteils fertiggestellt, aber in deutschen Gewässern fehlt noch ein Teilstück. Nach ihrer Fertigstellung könnte sie mit einem Transportvolumen von etwa 55 Milliarden Kubikmeter etwa die Hälfte des deutschen Erdgasbedarfs decken. Der russische Gazprom-Konzern rechnet damit, dass die Pipeline 50 bis 70 Jahre betrieben werden könnte.

Damit steht sie aus Sicht von Umweltschützern den Klimazielen in Deutschland entgegen. Trotzdem hält die Politik an dem milliardenschweren Projekt fest - auch weil die deutschen Unternehmen Wintershall DEA und Uniper mit je einer Milliarde Euro beteiligt sind.

"Die Behörden setzen alles in Bewegung, um die Pipeline doch irgendwie fertig zu bauen - selbst Klima- oder Umweltschutzfragen werden einfach beiseite gewischt", sagt Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe. Die Umweltorganisation hatte voriges Jahr gegen die Pipeline geklagt, weil die Methan-Emissionen aus Förderung, Transport und Verarbeitung von Erdgas aus Sicht der DUH bei der Genehmigung unterschätzt wurden. Eigentlich fordert die Umwelthilfe, dass der Bau für die Dauer des Verfahrens ausgesetzt werden soll, doch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat seine Zustimmung gegeben, dass Nord Stream 2 weiter gebaut werden kann.

Dabei hätte die Fertigstellung von Nord Stream 2 und weiterer fossiler Infrastrukturen wie der geplanten LNG-Terminals weitreichende Folgen für das Erreichen der Klimaziele. "Wenn wir all die größeren Planungen größerer Erdgasprojekte aufsummieren, dann werden wir die Importkapazitäten für Erdgas beinahe verdoppeln", sagt Zerger weiter.

Zur Zeit liegt der Erdgasbedarf bei etwa 90 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Die Hälfte davon kommt aus Russland. Auch Norwegen und die Niederlande exportieren Erdgas nach Deutschland. Nur ein geringer Teil wird hierzulande - vor allem in Niedersachsen - gefördert.

Keine Brückentechnologie

Meint es Deutschland mit seinen Klimazielen ernst, dann müssten die Erdgasimporte schnell sinken. Erdgas besteht zu einem Großteil aus Methan, das zwar schneller abgebaut wird als CO2, aber kurzfristig mehr zur globalen Erwärmung beiträgt und mit Blick auf die "Kipppunkte" des globalen Klimasystems sehr schnell gefährlich werden kann. So steht zu befürchten, dass hohe Methanemissionen kurzfristig einen zusätzlichen Temperaturanstieg mit unumkehrbaren Folgen auslösen. Und eben deshalb ist Erdgas für Wissenschaftler keine Alternative zur Kohle und keine Brückentechnologie auf dem Weg in eine fossilfreie Zukunft.

In der vergangenen Woche hat die Initiative "Scientists for Future" ein sechsseitiges Diskussionspapier zum Ausbau von Erdgas-Infrastrukturen vorgelegt. Demnach gibt es keine Deckungslücke in der deutschen oder europäischen Erdgasversorgung. Klimaschutzszenarien gehen von einem sinkenden Erdgasbedarf aus, sodass es bereits jetzt keine energiepolitische oder energiewirtschaftliche Notwendigkeit für den Neubau von Erdgas-Infrastrukturen gebe.

"Banken würden einen Großteil dieser Projekte - wie die Pipeline Nord Stream 2 aber auch Flüssiggasterminals und Gaskraftwerke - schlichtweg nicht mehr finanzieren", sagt die Volkswirtin Manuela Troschke vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, die an der Ausarbeitung des Papiers beteiligt war. Aus der Sicht der Ökonomin wäre es jetzt an der Zeit, dass sich der Gesetzgeber aus solchen Projekten zurückzieht, denn durch den Bau drohen "Lock-in-Effekte", sprich Abhängigkeiten von Anbietern, welche die überfällige Transformation hin zu mehr erneuerbaren Energien verhindern.

Neben Nord Stream 2 will Deutschland sogenannte Importterminals für Flüssiggas (LNG) bauen. Durch Kälte verflüssigtes Erdgas soll dann per Schiff nach Deutschland kommen. Vor allem die USA wollen ihr Fracking-Gas nach Deutschland exportieren.

Auslastung gering

Lange waren mit Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Stade drei Standorte für die LNG-Terminals im Gespräch. 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas könnten so zusätzlich jedes Jahr nach Deutschland importiert werden, würden die Pläne umgesetzt. Ob es die Kapazitäten braucht, ist fraglich. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung waren LNG-Terminals europaweit von 2012 bis 2019 nur zu einem Viertel ausgelastet. Neue Importterminals braucht es da eigentlich nicht - auch wenn die Auslastungsrate zuletzt gestiegen ist.

Das hat auch der Energiekonzern Uniper erkannt. Im vergangenen November hat Uniper seine bisherigen Planungen überraschend gestoppt, weil zu wenige Unternehmen Interesse an verflüssigtem Erdgas bekundet hatten. Das Terminal war eigentlich für den Umschlag von zehn Milliarden Kubikmetern Gas jährlich konzipiert, könnte aber noch mit geringen Kapazitäten gebaut werden.

Anders entschieden hat sich dagegen die Betreibergesellschaft des geplanten LNG-Terminals in Stade. Statt bis zu vier Milliarden Kubikmeter verflüssigtem Erdgas soll nun jährlich die dreifache Menge importiert werden.

Der Schritt dürfte Andreas Kuhlmann von der Deutschen Energieagentur (Dena) gefallen. Der Dena-Chef sieht den Energieträger Erdgas diskreditiert und ist unlängst für Gas in die Bresche gesprungen: Die Versorgung mit "gas- und flüssigförmigen Energieträgern und Rohstoffen" sei ein wesentlicher Bestandteil "unseres Wohlstands", erklärte Kuhlmann. "Die dazugehörigen Infrastrukturen werden auch bei dem Übergang zu einer auf Wasserstoff und grünen Gasen basierenden klimaneutralen Energieversorgung noch einen wichtigen Beitrag leisten können und müssen", gab er sich überzeugt.

Was Kuhlmann nicht sagt: Erdgasnetze sind zwar grundsätzlich dafür geeignet, auch Wasserstoff zu transportieren, aber zuvor müssen sie erst einmal ertüchtigt werden. "Zusätzliche Infrastruktur für Erdgas steht dem Klimaschutz im Weg und ist nicht mehr zeitgemäß", sagt Julia Verlinden, Bundestagsabgeordnete von Bündnis/Die Grünen. Der Bau von Pipelines, Terminals und Kraftwerken, die ausschließlich auf fossiles Erdgas setzen, verzögere den Umstieg auf Erneuerbare Energien und berge enorme finanzielle Risiken.

Verlinden und ihre Fraktionskollegen haben eine Analyse zum klimagerechten Umbau des Gassektors in Auftrag gegeben, bei der verschiedene Studien gegenübergestellt wurden. Der Gasbedarf in Deutschland wird deutlich sinken. Demnach soll sich der Primärenergieverbrauch von Gas bis 2030 um 30 bis 40 Prozent, bis 2050 um 70 bis 80 Prozent reduzieren.

Doch noch ist der Bedarf an Erdgas in Deutschland hoch. Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft lag er 2020 bei 962 Milliarden Kilowattstunden. Besonders viel Gas wird für das Beheizen von Gebäuden sowie in der Industrie verbraucht.

Nach Analyse der Grünen werden Gebäude in Zukunft aber größtenteils ohne Gas beheizt, denn es ist effizienter, Strom direkt zu nutzen. Deshalb sollen Wärmepumpen, Solarthermie, Biomasse sowie Nah- und Fernwärme auf Basis von Abwärme und erneuerbaren Energien zum Einsatz kommen.

Denkbar sei der Einsatz von Gas künftig noch bei hohen Temperaturen in der Industrie, im Schwerlastverkehr und als Back-up fürs Stromsystem. "In einer 100 Prozent erneuerbaren Energiewelt werden erneuerbare Gase wie Wasserstoff aus Ökostrom und Biomethan ein relevante Rolle spielen, aber der Bedarf wird deutlich niedriger sein als der für fossiles Erdgas heute", sagt Verlinden. Neue Gasinfrastrukturen - vor allem für fossiles Gas - braucht es aus Sicht der Politikerin deshalb nicht mehr.