Wenn Romantik Rassismus gebiert

Obergruppenführersaal mit Schwarzer Sonne in der Wewelsburg. Bild: Dirk Vorderstraße / CC-BY-2.0

Wie eine an sich positive Einstellung Hass und Hetze nähren kann

Der Herr der Ringe erlebt hin und wieder den Vorwurf, rassistische Schablonen zu nutzen. Oberflächlich betrachtet scheint dies nicht unbegründet zu sein: Da sind die entrückt-überlegenen Elben und die Menschen mit "edlen" und "weniger edlen Blutlinien" auf der einen, die Orks und die sozusagen mit Fantasy-Genetik herangezüchteten Uruk-Hai auf der anderen Seite. Letztere sind durch und durch böse, zerstörerisch und bestienartig.

Begegnet wird diesem Vorwurf neben der zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Einordnung des Werkes unter anderem damit, dass die "Guten" ihre Welt nur dadurch retten können, dass sie sich zu einer quasi "multiethnischen" Gruppe zusammenschließen: Der Gemeinschaft des Ringes. Und dass in Gestalt des Hobbits Frodo nicht zuletzt ausgerechnet derjenige, der am wenigsten mit Hierarchien, edlem Betragen und Blutlinien in Verbindung gebracht wird, eben aus diesem Grunde als einziger den Akt der Errettung vollziehen kann, die Zerstörung des Ringes nämlich.

Lange vor der Entstehung des literarischen Bestsellers feierte schon einmal ein Ring Furore, aber im Gegensatz zum Herrn der Ringe erwies dieses Stück sich als Magnet für rassistisches Gedankengut.

Ein Blockbuster des 19. Jahrhunderts begeisterte Nationalisten und Völkische

Die Begeisterung für fantastische Geschichten mit historischem Hintergrund ist an sich kein neues Phänomen. Die Sage des Odysseus zählt zum klassischen Bildungskanon, und auch die Erzählungen der großen Religionen können auf eine langanhaltende Popularität zurückblicken. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nahm die sehnsüchtige Rückbesinnung in Gestalt des "Neo-" Fahrt auf, darunter Neoromanik, Neogotik und Neorenaissance.

In den romantischen Traumbildern vom efeuumflorten Helden und lichterfüllten Königinnen, im floralen Jugendstil, in der betonkernigen Burgarchitektur von Alltagsgebäuden lag gewiss zuvorderst die Sehnsucht nach einer guten, den weltlichen Nöten entrückten Welt, die Geborgenheit versprach. Von dem Potential solch romantischer Darstellungen zeugt, dass diese Stilrichtungen auch heute noch eine starke Faszination auszuüben vermögen und männliche, zunehmend auch weibliche Ritter und Magier eine enorme Anziehungskraft entfalten. Filmserien, Fantasierollenspiele und Serienaufrufe belegen dies.

Die Oper kam dem romantisch veranlagten Zeitgeist wohl am wirkmächtigsten entgegen. Wohl am bekanntesten ist Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner, der alle Elemente einer Erzählung des "High Fantasy" enthält: Drachen, Zwerge, Ritter, Magie (Ring und Schatz inklusive), darüber hinaus die Aura des märchenhaften Traumlandes, das je nach Bühnenbild zeitgenössische Gestalt annehmen konnte und dies heute noch regelmäßig tut. Dieses Traumland war an sich ebenfalls nicht neu, aber hier wurde es für das Publikum unmittelbar mit Augen und Ohren wahrnehmbar.

Im 19. Jahrhundert, als das Radio erst erfunden werden musste und wo an Fernsehen noch nicht zu denken war, muss die Bombastik der Oper die Gäste zutiefst bewegt haben. Die Filmmusik zeigt auch heute noch die emotionale Wirkmächtigkeit einer geschickten musikalischen Untermalung: An sich seichte Filmszenen erhalten dadurch eine enorme Durchschlagskraft, sei es auf machtvolle, sei es auf romantische oder auf tragische Weise.

Nicht nur die emotionale Kraft - und zweifellos ein handwerklich meisterhaftes und komplexes Skript - verhalf dem Ring zu gewaltiger Popularität. Über den Archetyp eines idealen "Ritterhelden" konnte das Publikum seine Träume in der Oper ausstaffieren: Buchstäblich leuchtend präsentiert sich Siegfried, der furchtlos den Drachen besiegt und als Lohn für seine Mühen unverwundbar wird, bis Verrat ihn zu Fall bringt. Der Ring ist hierin an sich nicht einzigartig, ist aber eine der einflussreichsten Opern seiner Zeit, weswegen er hier im Fokus steht.

In der Wagner'schen Interpretation wird Siegfried zur Identifikationsfigur für den Sinnsuchenden in einer immer komplexer werdenden, bedrohlich wirkenden Welt, bot Glanz in der Kaiserzeit, in der Existenzangst um sich griff. Die Freiheit von weltlichen Nöten wie Hunger, Kälte und Krankheit ist vor hundert Jahren ein weitaus größerer Wunschtraum gewesen als für den Durchschnittsbürger heutzutage. Nur der Wunsch nach Gemeinschaft ist es heute vielleicht noch mehr, da soziale Interaktion zunehmend durch das Milchglas der Digitalgeräte geschieht und ein rücksichtsloser Kapitalismus die Solidarität in der Gesellschaft gefährdet. Aber wo es früher vielleicht mehr Gemeinschaft und eine klarere Hierarchie gegeben haben mag, spielten seinerzeit auch starke Ängste hinein: Ängste, nicht dazuzugehören, Angst vor Machtlosigkeit, vor dem Fremdgesteuertsein, vor einer ungewissen Zukunft angesichts schwer greifbarer Bedrohungen im Lichte der zunehmenden Technisierung, wachsender Mobilität und Globalisierung. Tröstend war da die Welt der romantischen Verklärung.

Natürlicherweise: Ist Romantik denn nicht Schönheit und Wärme, Licht und Leben? Ein durch und durch romantisch veranlagter Mensch mag durch sein Sozialverhalten für Irritationen in seinem Umfeld sorgen, aber erträumt er, erträumt sie sich nicht nur Harmonie? Wie kann nun ausgerechnet dies dem Hass und der Ausgrenzung Vorschub leisten?