Bundesregierung muss Kritik an Atomwaffenverbotsvertrag revidieren

Abkommen widerspricht nicht dem Kontrollregime der IAEO. Deutschland lehnt Vertrag dennoch ab und besteht auf Stationierung von Nato-Nuklearwaffen

Als Deutschland im April 2019 und im Juli vergangenen Jahres jeweils für einen Monat den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates innehatte, warb Außenminister Heiko Maas (SPD) vor allem für die Abschaffung von Atomwaffen. Die Bundesregierung wolle "den Stillstand in der nuklearen Abrüstung überwinden", hieß es damals aus dem Berliner Außenamt.

Als dann aber im Januar dieses Jahres der größte Schritt seit Jahrzehnten hin zu einer atomwaffenfreien Welt gemacht wurde, indem mit dem Beitritt des 51. Mitgliedsstaats der UNO der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) in Kraft trat, war Deutschland nicht dabei und Heiko Maas schwieg ("Konkrete Abrüstungsverpflichtungen").

Der Grund ist einfach: Würde die SPD-Unions-Regierung den AVV unterzeichnen, müsste sie den Abzug von US-Atombomben anordnen, die auf dem rheinland-pfälzischen Fliegerhost Büchel für den Einsatz durch die Nato vorgehalten werden (80 Mal Hiroshima in der Eifel).

Das bestätigte Regierungssprecher Steffen Seibert im Oktober vergangenen Jahres freimütig. Man könne nicht ignorieren, dass nukleare Waffen von einigen Staaten weiterhin als Mittel der militärischen Auseinandersetzung betrachtet werden: "Solange das so ist (…), besteht aus unserer Sicht die Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung vor." Dies leiste die Nato.

So offen wollen Vertreter der Bundesregierung ihre Ablehnung des AVV, der entgegen dem älteren Nichtverbreitungsvertrag (NVV) auf eine gänzlich atomwaffenfreie Welt abzielt, nicht immer begründen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärte die Bundesregierung, der AVV unterlaufe "die Bemühungen der Staatengemeinschaft um Abschluss und Inkraftsetzung ausstehender Zusatzprotokolle und um Universalisierung des heute maßgeblichen Verifikationsstandards".

Keine Schwächung der Rüstungskontrolle durch Verbotsvertrag

Wie genau diese behauptete Unterminierung eines Zusatzprotokolls der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) zum NVV mit aussehen soll – das blieb ein Rätsel. Und tatsächlich musste die Bundesregierung diese wiederholt vorgebrachte Argumentation nun auf eine parlamentarische Frage der Linken-Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, hin revidieren. In der Antwort heißt es, "dass für Vertragsstaaten des AVV, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AVV bereits ein Zusatzprotokoll mit der IAEO abgeschlossen hatten, dieses auch weiterhin gilt".

Das betreffende Zusatzprotokoll hatte die IAEO 1997 in Reaktion auf verdeckte Nuklearaktivitäten im Irak verabschiedet. Es verlangt von den Vertragsstaaten zusätzliche völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen, um etwa unangemeldete Kontrollen durch IAEO-Inspekteure zu ermöglichen.

Zerstörungsradien bei der Explosion einer SS-25 in deutschen Hauptstädten (16 Bilder)

Voraussichtliche Zerstörung beim Einschlag einer russischen SS-25 mit 800 Kilotonnen in Kiel. Bild: Screenshot Nukemap. Eine ausführliche Legende zu den Zerstörungsradien finden Sie hier.

Der Atomwaffenverbotsvertrag, den im Juli 2017 bei der UNO 122 Mitgliedsstaaten verabschiedet hatten, schwächt dieses Rüstungskontrollregime also nicht. Dies hatten unlängst auch die Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Bundestags in einem Gutachten für die Abgeordnete Dagdelen bekräftigt: Beide Abkommen – AVV und NVV – stünden "weniger in einem rechtlichen Konkurrenz-, als in einem Komplementärverhältnis zueinander", urteilten die Rechtsexperten des Parlaments, und stellten klar: "Rechtlich gesehen liegen die Verifikationsbestimmungen des AVV auf dem Niveau des NVV und fallen jedenfalls nicht dahinter zurück."

Trotzdem vermittelte die Bundesregierung immer wieder den Eindruck, der AVV würde hinter dem Verifikationsstandard des NVV zurückfallen, da vermeintlich lediglich das Sicherungsniveau "Comprehensive Safeguards Agreement" (CSA) nicht aber das IAEO-Zusatzprotokoll festgeschrieben würde. Damit würde der AVV dazu beitragen, einen niedrigeren Verifikationsstandard zu etablieren.

Damit diese offensichtlich zurechtgebogene Argumentation aufgeht, verschwieg die Bundesregierung allerdings, dass der "erweiterte Verifikationsstandard" aus CSA und Zusatzprotokoll der IAEO auch im NVV-Vertragstext nicht verankert ist. Das Zusatzprotokoll der IAEO wurde erst im Rahmen der 50-jährigen Vertragspraxis des NVV in das Regelwerk aufgenommen und wird bislang noch nicht von allen NVV-Mitgliedstaaten erfüllt.

Fest steht also: Deutschland würde durch einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag den älteren Nichtverbreitungsvertrag keineswegs schwächen. Alle Zusatzprotokolle der IAEO sind rechtsverbindlich und können durch einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag nicht einfach aufgegeben werden.

Dagdelen: "Schauermärchen nicht aufrechtzuerhalten"

Auch an anderer Stelle ist die Kritik der Bundesregierung am AVV nicht haltbar. Sie behauptet, der AVV enthalte keine Ermutigung oder völkerrechtliche Verpflichtung, ein Zusatzprotokoll mit der IAEO abzuschließen. Artikel 3 Absatz 1 des AVV stelle "lediglich" fest, "dass zusätzliche Übereinkünfte von diesen Vertragsstaaten in der Zukunft abgeschlossen werden können".

Als Argument für den Nichtverbreitungsvertrag schlägt diese Darstellung fehl. Denn auch im Vertragstext des NVV ist keine Ermutigung oder völkerrechtliche Verpflichtung zu genaueren Kontrollen durch die IAEO enthalten. Deshalb bleibt der Bundesregierung auch nichts anderes übrig als in ihrer Antwort darauf zu verweisen, dass sie "zum Beispiel durch ihre Beteiligung an gezielten gemeinsamen Demarchenaktionen" im Vorfeld der 10. NVV-Überprüfungskonferenz für eine "Universalisierung des Zusatzprotokolls der IAEO" eintritt.

Angesichts dieser Erkenntnisse könne die Bundesregierung "ihre Schauermärchen über angeblich schlechtere Kontrollstandards des Atomwaffenverbotsvertrags nicht aufrechterhalten", sagte Dagdelen, gegenüber Telepolis. Die abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion ist sich sicher: "Die Ausflüchte der Bundesregierung zum Boykott des historischen Atomwaffenverbotsvertrages sind nichts als billige Täuschungsmanöver, um an der Politik der nuklearen Teilhabe in der Nato und der weiteren Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland festhalten zu können."

Daher bestehe ihre Fraktion – "wie der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung" – auf den Beitritt zu dem historischen Abrüstungsvertrag und dem Abzug der US-Atombomben aus Deutschland.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.