Katalonien rückt weiter nach links

Barcelona: Lange Schlangen an Wahllokalen, obwohl Beteiligung deutlich zurückging. Foto: Ralf Streck

Der rechte spanische Nationalismus stürzt ab und die Unabhängigkeitsbewegung bringt erstmals bei Parlamentswahlen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung hinter sich

Es gab am Wahlsonntag in Katalonien keine Überraschung. Es war abzusehen, dass die Parteien der Unabhängigkeitsbewegung erstmals auch bei katalanischen Parlamentswahlen die Marke von 50 Prozent überschreiten würden. Allein die Parteien, die schon bisher im katalanischen Parlament vertreten waren und die Eigenständigkeit wollen, konnten nun fast 51 % der Wähler hinter sich vereinen. In 837 von 947 Gemeinden kommt die Bewegung klar über die Marke von 50 %.

Damit hat die Bewegung ein großes Ziel erreicht, auch wenn sie zuletzt sehr zerstritten war. Unaufhaltsam wird die Zahl derer, die Unabhängigkeitsparteien wählen, von Wahlen zu Wahlen größer. So hatten diese Wahlen auch einen Hauch des Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017, mit dem die Region von Spanien unabhängig werden wollte. Dafür sorgte schon das miese regnerische Wetter. Erneut mussten Wähler, mit Regenschirmen ausgestattet, in Schlangen vor Wahllokalen ausharren.

Die Verzögerungen waren strengen Sicherheitsvorkehrungen geschuldet, da mitten in der dritten Welle der Covid-Pandemie gewählt werden musste. Wahlhelfer mit Masken in weißen Schutzanzügen luden diesmal nicht zur Ausübung des Wahlrechts ein. Dafür gab es 2021 keine spanischen Sicherheitskräfte, die auf friedliche Menschen einprügelnd, Wahllokale stürmten und Urnen beschlagnahmten.

Foto: Foto Ralf Streck

Erneut ging es um viel bei diesen Wahlen. Dafür sorgte schon die Tatsache, dass sie erneut wegen spanischer Repression fällig wurden. Zuletzt musste im Dezember 2017 gewählt werden, nachdem Katalonien nach der Ausrufung der Republik unter spanische Zwangsverwaltung gestellt und die Regierung von Carles Puigdemont ins Exil getrieben oder ins Gefängnis geworfen wurde. Nun wurde gewählt, da der Oberste Gerichtshof in Madrid den bisherigen Präsidenten Quim Torra zum Amtsverbot verurteilt hatte.

Er hatte ein Transparent am Amtssitz nicht abgenommen, auf dem die "Freiheit der politischen Gefangenen" gefordert worden war. Bis zu 13 Jahre Haft haben ehemalige Regierungsmitglieder wegen "Aufruhr" für die Durchführung des Referendums erhalten. Kein Gericht in Europa konnte Beweise dafür finden, weshalb Exilanten wie Puigdemont nicht an Spanien ausgeliefert werden.

Der Wahlsieger ist auch ein Verlierer

Offizieller Wahlsieger ist der Sozialdemokrat (PSOE) Salvador Illa. Der bisherige spanische Gesundheitsminister bekam 23 Prozent. Er ist real aber der Verlierer, weil er keinerlei Chancen hat, eine Regierung bilden zu können, wie er auch eingesteht.

Einen "Illa-Effekt", auf den man in Madrid gesetzt hatte, um die Wahlen real zu gewinnen, gab es kaum. Aus Wahltaktik wurde per Gericht die geplante Verschiebung der Wahlen auf den 30. Mai ausgehebelt - gegen alle anderen Parteien. Gesorgt hat das vor allem dafür, dass aus Covid-Angst die Wahlbeteiligung von zuletzt 79 Prozent auf unter 54 Prozent sank.

Illa erreichte nicht einmal die Prozent %, mit denen die rechten Ciudadanos (Cs) die Wahlen 2017 mit einem Pyrrhussieg gewannen. Die Cs haben 30 der bisherigen 36 Sitze verloren und sind auf gut 5,5 % abgestürzt. Allen ist nun klar, dass es sich um eine ultranationalistische, rechte Partei handelt. Da sie auch Bündnisse mit der ultrarechten VOX nicht scheut, wurde sie für viele unwählbar.

Laura Borras zeigte sich vor der Wahl zuversichtlich. Foto: Ralf Streck

Ein Teil ihrer Wähler strömte zur PSOE zurück. Der andere Teil zeigt sein wahres Gesicht und wählte die offen faschistoide Vox-Partei, die auf 11 Sitze und knapp 8 Prozent kam. Die große rechte Volkspartei (PP), aus der letztlich Cs und Vox stammen, kam nur noch auf knapp 4 Prozent und 3 Sitze. Kamen Cs und PP 2017 noch auf knapp 30%, so kommen sie nun, gemeinsam mit Vox, gerade noch auf die Hälfte der bisherigen 40 Sitze.

Die Republikanische Linke (ERC), die die Präsidentschaft fordert, hat ihr Ziel auch nicht erreicht, stärkste Kraft zu werden. Sie hat zwar so viele Sitze wie Illas PSOE, doch sie bekam 50.000 Stimmen weniger. Sie beansprucht die Führerschaft, da sie vor der Kandidatur von Exilpräsident Puigdemont liegt.

Dessen Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat) hat vor allem unter einer Rechtsabspaltung gelitten, die mit PdeCat nur auf 2,7 Prozent kam und nicht mehr im Parlament vertreten sein wird. Wären sie erneut gemeinsam angetreten, hätte JxCat wohl mehr Stimmen als die ERC erhalten. Nach Sitzen hätte sie dann wieder gewonnen und Laura Borràs könnte die Präsidentschaft für sich fordern.

Der Unabhängigkeitsblock wurde vor allem durch die antikapitalistische CUP gestärkt, die mit knapp 7 Prozent der Stimmen nun 9 statt 4 Parlamentarier stellt. Die Linksradikalen sind nun das gestärkte Zünglein an der Waage zwischen ERC und JxCat. "Die Wahlurnen haben uns Kraft gegeben und unsere Einschätzung bestätigt, dass der Kampf für die Unabhängigkeit nicht vom Kampf für soziale und wirtschaftliche Veränderungen getrennt werden kann", erklärte die CUP-Kandidatin Dolors Sabater.

Die Rechte, vor allem die spanisch-nationalistische, hat damit deutlich an Kraft in Katalonien verloren, die Linke wurde auch darüber insgesamt gestärkt, dass die Marke von Podemos in Katalonien zwar Stimmen an die CUP verlor, aber ihre 8 Parlamentarier hielt.