Zerschlagung rassistischer Netzwerke in Behörden gefordert

Betroffene fürchten, dass das Ausmaß des Problems trotz öffentlicher Trauergesten unter den Teppich gekehrt werden soll

Angehörige der Opfer des Anschlags von Hanau kritisieren Sicherheitsapparat scharf

Es wird ein Jahrestag mit Gesten, die den Hinterbliebenen des rassistischen Terrors in Hanau versichern sollen, dass Politik, Behörden und Gesellschaft sie nicht im Stich lassen, auch wenn manche von ihnen dies längere Zeit nach den Morden vom 19. Februar 2020 genau so erlebt haben. Landesweite Trauerbeflaggung hat Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) angeordnet, an allen öffentlichen Gebäuden sollen von 7 Uhr morgens bis zum Eintreten der Dunkelheit die Fahnen auf Halbmast gesetzt werden.

Ein Jahr zuvor hatte ein 42jähriger Deutscher vor zwei Shisha-Bars und einem Kiosk in Hanau neun Menschen mit kurdischen, türkischen, osteuropäischen und afghanischen Wurzeln erschossen, die zum Teil deutsche Staatsbürger waren: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Anschließend hatte der Attentäter Tobias Rathjen seine eigene Mutter und sich selbst getötet.

In einer Videokundgebung unter dem Motto "Wir klagen an" kritisierten Angehörige der Opfer und Unterstützerinnen wie die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano am Sonntag die Polizeiarbeit vor und nach der Mordnacht scharf. Behörden würden die Gefahr durch rassistische Netzwerke nicht nur herunterspielen, so Bejarano in einem Grußwort an die betroffenen Familien. "Schlimmer noch: Einige Beamte und Beamtinnen sind Teil der Netzwerke. Betroffene werden stigmatisiert und kriminalisiert. Aber wir werden dagegen aufstehen."

Täter hatte Waffenschein

Newroz Duman von der "Initiative 19. Februar" nannte die "behördlichen Kette des Versagens", das "unverzeihlich" sei. Denn über allem stehe die Frage, ob der Anschlag hätte verhindert werden können. Vor allem wird kritisiert, dass der Attentäter trotz psychischer Auffälligkeiten 2013 einen Waffenschein bekommen hatte und damit in Schützenvereinen trainieren konnte - 2019 auch bei zwei Übungen in der Slowakei. "Der Täter hat sehr viel trainiert, um am Ende unsere Kinder professionell zu töten", sagte Serpil Temiz-Unvar, die Mutter des ermordeten Ferhat Unvar, während der Videokundgebung. Es sei kaum vorstellbar, dass der Verfassungsschutz davon nichts mitbekommen habe.

Die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt Hanau soll am Freitag unter Corona-Bedingungen mit nur 50 geladenen Gästen im Congress Park stattfinden. Neben Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) sollen unter anderem Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilnehmen, wie die Staatskanzlei in Wiesbaden bereits am 5. Februar mitteilte. Neben einem kurzen Film, der sich den Ereignissen des 19. Februar 2020 widmet, seien auch persönliche Videoansprachen der Opferfamilien geplant.

Mit besonderen Trikots will der FC Eintracht Frankfurt an diesem Freitag Solidarität mit den Angehörigen ausdrücken: "Wir haben auf den Shirts die Porträts der ermordeten Menschen von Hanau und ihre Namen", sagte Vereinspräsident Peter Fischer am Dienstag dem Hessischen Rundfunk.

Die Föderation Demokratischer Arbeitervereine e. V. (DIDF), in der überwiegend Werktätige türkischer und kurdischer Herkunft organisiert sind, ruft derweil dazu auf, an diesem Jahrestag bundesweit "gegen Rassismus und Faschismus" sowie "für Aufklärung und politische Konsequenzen" auf die Straßen zu gehen. "Beteiligt euch am 19. Februar 2021 an den Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationen in Berlin, Bielefeld, Essen, Hamburg, Frankfurt, Kassel, Köln, Mannheim, Marburg, München, Nürnberg, Stuttgart und vielen anderen Orten", heißt es in einem DIDF-Flugblatt. Gefordert wird darin auch "die Aufdeckung und Zerschlagung rechtsextremer Strukturen in Behörden, Polizei, Bundeswehr und Sicherheitsbehörden".

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