Bombennacht von Kundus: Grenzen der Menschenrechtsjustiz

Wracks der beiden am 4. September 2009 durch einen Luftangriff zerstörten Tanklastwagen im Kundus-Fluss. Bild: BRFBlake, CC BY-SA 3.0

Kritik an Urteil des EGMR über deutsche Ermittlungen zu Luftangriff 2009. Deutscher Angriffsbefehl hatte über 100 Menschen das Leben gekostet

Juristen und Vertreter der Opposition haben das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu den deutschen Ermittlungen nach einem tödlichen Luftangriff im afghanischen Kundus vor elf Jahren kritisiert. Das Bombardement war von einem damaligen Oberst der Bundeswehr angeordnet worden, obwohl zivile Opfer wahrscheinlich waren.

Nach dem Urteil vom Dienstag wiesen Vertreter von Opfern des Bombardements auch auf die juristischen Folgen des Richterspruchs hin: Deutsche Gerichte seien fortan verpflichtet, mutmaßlichen Kriegsverbrechen von Bundeswehrsoldaten im Ausland nachzugehen.

Der in Strasbourg ansässige EGMR hatte am gestrigen Dienstag zunächst beschieden, die deutschen Ermittlungen zum Luftangriff im Jahr 2009 seien hinreichend gewesen. Ein Afghane, der bei dem Angriff seine beiden minderjährigen Söhne verlor, hatte Deutschland Menschenrechtsverletzungen und einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vorgeworfen. Dies wiesen die EUGM-Richter nun zurück.

Bei dem US-Luftangriff auf zwei von den islamistischen Taliban gekaperte Tanklastzüge waren in der Nacht zum 4. September 2009 über 100 Menschen verbrannt, mehrheitlich Zivilisten. Sie hatten versucht, aus den Tankwagen Benzin abzuzapfen, nachdem die schweren Fahrzeuge sich im Kundus-Fluss festgefahren hatten. Der damalige Bundeswehroberst Georg Klein ordnete den Luftangriff an, obwohl die Luftaufklärung die massenhafte Anwesenheit von Zivilisten vermuten ließ und die Fahrzeuge nicht manövrierfähig waren. Dies widersprach Kleins Befehlbegründung, die Tankwagen hätten als fahrende Bomben missbraucht werden können.

Bei den Ermittlungen zum blutigsten Angriff deutscher Truppen seit Ende des Zweiten Weltkriegs kam heraus, dass die beiden involvierten US-Piloten die Anwesenheit feindlicher Kämpfer in Zweifel zogen und um Prüfung des Angriffsbefehls baten. Dies lehnten der Fliegerleitoffizier und Klein ab.

Die beiden US-Piloten wurden 2010 strafversetzt. Oberst Klein wurde befördert und bekleidet heute den Rang eines Brigadegenerals des Heeres (Karrieresprung nach fast 100 Toten von Kunduz).

Der frühere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bezeichnete das Urteil des EUGM am Dienstag als "richtig und zutreffend". Er sei "dankbar, dass das Gericht so entschieden hat", sagte Jung den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Er sehe damit seine Haltung zu dem damaligen Geschehen bestätigt.

Die Schuld von Georg Klein und seinen Unterstützern

Enttäuscht äußerte sich hingegen der Opferanwalt Karim Popal. Nach der mündlichen Verhandlung seien er und seine Kollegen davon ausgegangen, dass das Strafverfahren der Bundesrepublik Deutschland nicht korrekt verlaufen sei. "Letztlich wurden unsere Vorträge in der Substanz aber ebenso wenig berücksichtigt wie der Umstand, dass mindestens 79 nachgewiesene zivile Opfer getötet worden sind", so Popal gegenüber Telepolis. Diese Schuld laste nun lebenslang auf Georg Klein und seinen Unterstützern. Popal weiter:

Andererseits sind wir stolz, dass wir in der Lage waren, für Menschen zu klagen, die in ihrem Existenzminimum gefährdet sind, auf Spenden angewiesen sind und insbesondere in der heutigen aktuellen Lage in Afghanistan nicht fähig sind, sich und ihre Familie zu ernähren.

Dass dieser Angriff auf den Befehl von Oberst Klein barbarisch und unmenschlich war, ist nachgewiesen. Ein paar Worte des Trostes aus dem Mund mancher Politiker "für die Opfer" werden die Geschichte nicht ändern. So bleibt als historischer Fakt, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und Afghanistans mindestens 79 zivile Opfer durch deutschen Befehl getötet worden sind.

Opfer-Vertreter Karim Popal

Nach Ansicht der Linken-Abgeordneten Christine Buchholz macht der jahrelange Kampf um die Anerkennung der Verantwortung der Bundeswehr vor allem eins deutlich:" Der Regierung geht es darum ein Schuldeingeständnis zu vermeiden und die verantwortlichen Soldaten zu schützen." Dies sei der Preis für eine Politik, die drauf drängt, weiter Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze zu schicken, so Buchholz, die dem Verteidigungsausschuss angehört und Mitglied des Kundus-Untersuchungsausschusses war.

"Absichtlich organisierte Unverantwortlichkeit"

Das in Berlin ansässige European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) zeigte sich enttäuscht, dass der EGMR keine Verletzung der deutschen Justiz gegen Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgestellt hat. Dieser Absatz verpflichtet Mitgliedsstaaten, mutmaßliche Kriegsverbrechen effektiv zu untersuchen.

"Es bleibt aber festzuhalten, dass es durch die Geheimhaltung in den Verfahren sowie durch die Konstellation mit verschiedenen Zuständigkeiten durch Nato und Deutschland zu keinen umfassenden Ermittlungen gekommen ist. Lücken bleiben daher bestehen und müssen für die Zukunft adressiert werden", hieß es vom ECCHR. Durch die Teilung der Nato-Ermittlungen vor Ort, die nicht nach Strafprozessrecht geführt wurden und den Ermittlungen in Deutschland sei eine umfassende Aufarbeitung durch die absichtlich organisierte Unverantwortlichkeit zwischen Nato und Deutschland verhindert worden.

"Für das afghanische Dorf mit dutzenden von zivilen Opfern ist die Entscheidung enttäuschend, da die Geheimhaltungspolitik des deutschen Militärs und die faktische Verweigerung von Verfahrensrechten für die Betroffenen nicht gerügt wurde", kommentierte der Rechtsanwalt und ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck, der den Kläger Hanan vertrat. Der Mann hatte durch den Angriff seine beiden acht und zwölf Jahre alten Söhne verloren.

Die Kläger erhofften sich weiterhin eine Entschuldigung von Deutschland. Sie wünschten sich zudem, dass die Bundesregierung Kontakt zu ihnen suchten, um sich zu vergewissern, wie es ihnen zwölf Jahre nach dem Luftangriff gehe. "Dies ist gerade mit Blick auf den Abzug der Soldaten und Soldatinnen aus Afghanistan geboten" so Kaleck.

Popal zitierte den Vater der getöteten Kinder aus einem Telefonat nach dem Strasbourger Urteil. "Meine Kinder sind nicht gestorben, sie bleiben für immer und ewig lebendig", habe der Mann gesagt: "Der Angriff auf Menschen bleibe im Gedächtnis Afghanistans ein Kriegsverbrechen."

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