Alle Räder stehen still für den Infektionsschutz?

Symbolfoto: carlos aranda/Unsplash

Die Positionierung zum Lockdown und den Corona-Maßnahmen sorgt auch in Gewerkschaften für Debatten

Nicht immer neue Grenzwerte erfinden will der CDU-Vorsitzende Armin Laschet und gibt das Wahlkampfthema Corona und die Folgen vor. Er spekuliert offenbar darauf, dass die Geduld der Bevölkerung mit den scheinbar endlos wiederkehrenden Lockdowns schwindet. Eigentlich sind das schwere Zeiten für eine Initiative, die einen kurzen, aber totalen Lockdown europaweit fordert.

Doch die #ZeroCovid-Initiative hat das Stadium der Unterschriftenkampagne längst verlassen. Jetzt bekommt sie auch Unterstützung von aktiven Gewerkschaftern.

Lockdown im Arbeitsleben gefordert

In dem Aufruf wird konstatiert, dass die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gescheitert seien. Als Hauptgrund dafür wird festgestellt, dass im privaten Bereich und in der Freizeit ein Lockdown verordnet wurde, nicht aber im Arbeitsleben. Die Initiatoren des Aufrufs sind bereit, auch weiterhin im Privaten Einschränkungen hinzunehmen, wenn das Arbeitsleben nicht ausgespart wird.

Zu den Erstunterzeichnern des Gewerkschaftsaufrufs gehören neben einigen Untergliederungen der IG Metall, ver.di und der GEW auch verschiedene Aktive aus dem erweiterten Gewerkschaftsbereich. So auch der Gießener Gewerkschaftssekretär Fabian Dzewas-Rehm, der beim ver.di-Bezirk Mittelhessen für den Bereich Gesundheit und soziale Dienste verantwortlich ist. Er habe den Aufruf auch vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in der Branche unterzeichnet, erklärte er gegenüber Telepolis.

Er erlebe im Berufsalltag, dass sich die Beschäftigten vor Ansteckungen sowohl auf dem Arbeitsplatz als auch auf dem Weg von und zur Arbeit fürchten. Das sei ein häufiges Thema, gerade bei älteren Kolleginnen und Kollegen und bei Beschäftigten, die im ständigen Kontakt zu älteren Personen oder anderen Risikopersonen stehen.

"Bei den Beschäftigten in den Kliniken habe ich auch nicht die Klage über die Beschränkungen gehört", betont Dzewas-Rehm. Er sieht den Aufruf wie die gesamte Zero-Covid-Initiative nicht als konkrete Handlungsanleitung. Es sei den Initiatoren von Anfang an klar gewesen, dass es keine politischen Kräfte gibt, die die Maßnahmen umsetzen können.

Was aber mit der Initiative erreicht werden soll, ist eine linke Stimme, die sich den Vorstellungen entgegenstelle, alle würden nur auf schnelle Lockerungen drängen. Dzewas-Rehm betonte im Gespräch mit Telepolis, dass die Vorstellungen eines solidarischen Lockdowns durchaus auch in großen Fabriken Anhänger finden.

Im Moment haben wir einen unsolidarischen Lockdown

Gerade dort habe man den Eindruck, mit den von der AfD, der FDP und nun auch von Laschet ventilierten Lockerungsdiskussionen bediene man vor allem die Interessen des Kapitals und des Mittelstands. Die Beschäftigten würden wie so oft nicht gefragt und ihre Gesundheit und ihr Wohlergeben spielt in der öffentlichen Meinung kaum eine Rolle.

"Im Moment haben wir einen unsolidarischen Lockdown, weil gerade Arbeiterinnen und Arbeiter der unteren Lohngruppen sich nicht im Homeoffice in Sicherheit bringen können. Besonders Niedriglöhner nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel, die für zusätzliches Ansteckungspotential sorgen", erklärt auch Lukas Schmolzi, der lange Jahre Betriebsrat beim zur Freien Universität Berlin gehörenden Botanischen Garten war, deren Beschäftigte vor einigen Jahren mit einem erfolgreichen Arbeitskampf gegen die Ausgliederung aus den gültigen Tarifverträgen bekannt wurden.

Selbst ein Buch unter dem programmatischen Titel "Aufstand der Töchter" wurde darüber geschrieben. Lukas Schmolzi ist aber auch klar, dass die Frage von Gesundheitsschutz für die Beschäftigten am Arbeitsplatz geklärt wird.

"Die Arbeitgeber müssen für größtmögliche Sicherheit sorgen. Da dem in vielen Fällen nicht ausreichend nachgekommen wird, sollte man die Möglichkeit, dass laut DGB und Unfallkasse eine Infektion am Arbeitsplatz oder auf dem Weg als Arbeitsunfall gemeldet werden kann, im Betrieb bekannt machen", nennt Schmolzi einige Beispiele für die Durchsetzung von Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. "Die Beschäftigten sollten unbedingt eine Unfallmeldung schreiben", rät der langjährige Basisgewerkschafter.

Nur dann hätten sie bei Folgeerkrankungen und Arbeitsunfähigkeit später die Chance, finanziell abgesichert zu sein. So könne man die Arbeitgeber indirekt unter Druck setzen, alles zu tun, um Ansteckungen zu vermeiden.

So äußerten sich gegenüber Telepolis auch weitere Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an der Basis, die nicht mit ihren Namen genannt werden wollen. Manche teilen die Intention des Aufrufs für einen solidarischen Lockdown, sagen aber, dass er an ihrem Arbeitsplatz keine große Relevanz habe.

Er sei zu deklamatorisch und eher an eine linke Öffentlichkeit gerichtet, wo man sich darüber streite, ob es einen solidarischen Lockdown geben kann oder nicht. "An meiner Arbeitsstelle geht es eher darum, wie man dem Chef beibringt, dass die Mindestabstände nicht eingehalten werden können", sagt eine bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di organisierte Verkäuferin.

Wenn sie mit einem Aufruf ankomme, würden ihre Kolleginnen bloß abwinken. Darin würden sie für sich keinen Erfolg sehen. Doch als sie einige ihrer Kolleginnen im Einzelhandel auf die Twitter-Kampagne #CovidAtWork aufmerksam gemacht habe, hätten die sich die Adresse gleich in ihr Handy eingetippt, sagt die Gewerkschafterin. Diese Kampagne ruft dazu auf, Verletzungen des Gesundheitsschutzes in den Betrieben über Twitter öffentlich zu machen.

"Was in der Privatwirtschaft passiert, muss an die Öffentlichkeit. Erzählt Euch von Euren Erfahrungen," heißt es in dem Aufruf. Hier könnten Beschäftigte von Corona-Fällen im Betrieb ebenso berichten wie von Arbeitsplätzen, an denen der Abstand nicht eingehalten werden kann. Natürlich würden wir uns freuen, wenn wir auch berichten könnten, wie Beschäftigte erfolgreich die Produktion heruntergefahren haben", erklärte eine Zero-Covid-Aktivistin. Schließlich gehe es bei der Kampagne um Widerstand von unten.

Aber das Geld muss stimmen

Ein bei einen Reinigungsunternehmen arbeitender Gewerkschafter wirft noch einen anderen kritischen Aspekt ein: "In meinen Betrieb gibt es einige Kollegen, die haben mehrere Arbeitsplätze. Klar wollen die jede Ansteckung vermeiden, aber auch deshalb, weil sie fit für ihre Arbeit sein müssen. Denn sie brauchen schlicht das Geld."

Er habe manchmal den Eindruck, dieser Aspekt werde auch bei den Diskussionen um den solidarischen Lockdown vernachlässigt. Viele Menschen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen können es sich schlicht nicht leisten, auch nur einen Teil ihres Lohns zu verlieren.

"Sie haben schlicht kein Vertrauen darin, dass es möglich ist, bei einem Lockdown eine Fortsetzung der Lohnzahlungen zu erreichen. Wer soll das denn durchsetzen. Wir erleben doch, dass uns der Lohn gekürzt wird, wenn wir einige Minuten zur spät zur Arbeit kommen", sagt der Mann aus der Reinigungsfirma.

Ihm und seinen Kollegen genügt es dann auch nicht, wenn im Wortlaut des Aufrufs der Gewerkschafterinitiative auf einen solidarischen Lockdown verwiesen wird. Wenn es heißt, dass die Menschen weiter bezahlt werden sollen und dafür die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen gefordert wird.

"Das sind schöne Worte. Aber wer soll das denn durchsetzen?", so ist die Reaktion auch vieler Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an der Basis. Viele der Beschäftigten haben schon lange nicht mehr erlebt, dass es Erfolge für die Lohnabhängigen gibt. Da ist das Misstrauen groß. Ähnlich argumentiert die Initiative "Solidarisch gegen Corona", die bereits im ersten Lockdown dafür plädiert hat, die Perspektive der Armen und Lohnabhängigen auch in der Pandemie in den Mittelpunkt zu stellen.

Sie konstatieren, dass die Kampagne #ZeroCovid an die bürgerliche Öffentlichkeit gebunden ist, weil die Verankerung unter den Lohnabhängigen gering ist. Genau hier will allerdings die Initiative der Gewerkschafter gegensteuern. Es muss sich zeigen, ob es ihr gelingt, eine größere Resonanz nicht nur in einer bürgerlichen Öffentlichkeit, sondern auch an den Arbeitsplätzen zu erreichen.

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