Fracking-Kommission der Bundesregierung: Klimabelastung zu tief angesetzt?

Fracking in den USA: Bohrlochkopf, in dem Flüssigkeiten in den Boden injiziert werden. Bild (von 2011): Joshua Doubek/CC BY-SA 3.0

Methan-Emissionen werden überraschend niedrig eingeschätzt. Methanforscher kritisiert Methode und Grundlagen. Importe von gefracktem Erdgas steigen weiter an; umstrittene LNG-Terminals

Die Bundesregierung richtete vor zwei Jahren eine Expertenkommission Fracking ein. Die berufenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben den Auftrag, mögliche Risiken der umstrittenen Fördertechnik für Mensch und Umwelt unabhängig einzuschätzen. Sie sollen den Bundestag wissenschaftlich beraten. Im Januar veröffentlichte die Kommission nun ein erstes Gutachten.

Es befasst sich mit dem Thema Methanemissionen. Bei der Förderung und dem Transport von Erdgas und Erdöl treten große Mengen dieses Gases aus, das kurzfristig sehr viel schädlicher für das Klima ist als CO2. Insbesondere seitdem in Nordamerika mithilfe von Fracking großflächig Schieferflöze aufgebrochen werden, erhöhen sich die Methanwerte in der Atmosphäre deutlich.

Darüber, wie stark die Klimabelastung durch die Fracking-Industrie genau ist, tobt in den USA eine harte Auseinandersetzung. Während unabhängige Wissenschaftler regelmäßig zweistellige Anteile der Fördermenge als Austritt erfassen, nennt die staatliche Umweltbehörde EPA seit Jahren Werte zwischen 1 und 2 Prozent.

Zwar ist selbst dies mit Blick auf die schnell steigenden Gesamtvolumen der Förderung eine katastrophal große Menge. Den Unterstützern der Fracking-Industrie gilt sie jedoch als vertretbare Belastung. Kurz: Die Frage, wie hoch die Austritte von Methan sind, ist energiepolitisch hoch brisant und kann in Deutschland über die Zukunft dieser Fördermethode entscheiden.

Das nun veröffentlichte Gutachten der Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland "Emissionsraten deutlich kleiner als 1 Prozent zu erwarten" seien. Diese Aussage begründet die durchführende Ingenieursgesellschaft nicht mit eigenen Messungen, sondern mit einer zweiten Auswertung von Studien aus Nordamerika.

Kritik am methodischen Vorgehen der Gutachter

Eine "systematische Literaturrecherche" und "Plausibilitätsbetrachtungen" seien die Grundlage für dieses Ergebnis. Auf Anfrage von Telepolis wollten weder die Vorsitzende der Kommission, Professor Charlotte Krawczyk, noch deren Geschäftsstelle das Ergebnis oder die wissenschaftliche Qualität des Gutachtens kommentieren.

Gegenüber Telepolis zeigte sich jedoch Professor Robert Howarth sehr überrascht von dem Vorgehen der deutschen Expertenkommission. Howarth gehört zu den Pionieren der Methanforschung, mehrere seiner Studien werden in dem Gutachten erwähnt.

"Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Schiefergas jemals in großem Maßstab mit Emissionen von auch nur annähernd 1 Prozent erschlossen und genutzt werden könnte", so der Professor an der renommierten Cornell Universität. Zudem kritisiert Howarth scharf das methodische Vorgehen der Gutachter, die in dem Text zwar nicht kenntlich machen, welche Datensätze sie verwendet haben, jedoch erklären, sie hätten höhere Messergebnisse nicht berücksichtigt.

Es ist einfach falsch zu behaupten, höhere Werte, die in den US-Studien zitiert werden, seien auf "besondere lokale Umstände oder Vorfälle" zurückzuführen und sollten "nicht als repräsentativ für die Bestimmung einer durchschnittlichen Methanemissionsrate" betrachtet werden.

Robert Howarth

Methanemissionen bei der Frackingförderung "bei mindestens 3,5 Prozent"

Unterm Strich, so Robert Howarth, sei ein Wert von 1 Prozent des Extraktionswertes viel zu niedrig, basierend auf fast allen verfügbaren Daten. Tatsächlich finden sich in der von den deutschen Experten verwendeten Literatur sogar mehrere Studien, die in einzelnen Fracking-Regionen bis zu 17 oder sogar 20 Prozent der Fördermenge als Austritte in die Atmosphäre gemessen haben.

Robert Howarth selbst kommt in einer aktuellen Untersuchung, die sämtliche verfügbare Daten, unterschiedliche Messmethoden und Austrittsorte auswertet, zu dem Ergebnis, dass die durchschnittlichen Methanemissionen bei der Frackingförderung "bei mindestens 3,5 Prozent" liegen müssen.

Im Fall der Förderung in den USA würden "die besten verfügbaren Daten" sogar durchschnittliche Emissionen von 4,1 Prozent der Gasförderung ergeben, so Howarth gegenüber Telepolis.

Importe von Erdgas aus den USA erneut gestiegen

Andy Gheorghiu hält es für keinen Zufall, mit welcher "Dreistigkeit" klare wissenschaftliche Erkenntnisse übergangen werden. "Hier möchte man offenbar den Bundestag bewusst dazu verleiten, Fracking in Schiefergestein wieder zu ermöglichen", so der langjährige Anti-Fracking Aktivist und Consultant.

Die Frage, wieviel Methan bei der Fracking-Förderung austritt, entscheidet nicht nur darüber, ob die Bundesregierung den Öl- und Gaskonzernen in Deutschland diese Fördermethode zukünftig erlaubt. Bisher gilt hierzulande ein Fracking-Moratorium. Basierend auf Empfehlungen der Expertenkommission könnten allerdings ausnahmsweise einzelne Fracking-Bohrungen genehmigt werden.

Die Bewertung der klimaschädlichen Emissionen spielt auch eine Rolle für ein mögliches Verbot für Importe von gefracktem Erdgas, wie es beispielsweise Klaus Ernst, der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke seit langem fordert. Tatsächlich steigen die Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den USA, Kanada und Australien in die Europäische Union seit Jahren (anschaulich: Figure 4).

Der Bau neuer LNG-Terminals

In Deutschland und anderen EU-Staaten bauen die Öl- und Gaskonzerne immer neue LNG-Terminals, häufig finanziell unterstützt aus Steuermitteln. In einer aktuellen Untersuchung kommt Food & Water Action Europe zu dem Ergebnis, dass 2019 "ein wahres Boomjahr für LNG-Importe" war.

Die EU würde weiterhin Pläne verfolgen, die Importkapazitäten zu erweitern. "Dies wäre eine schreckliche Entscheidung, da es eindeutig keine Rechtfertigung dafür gibt, noch mehr Geld für eine nicht benötigte Infrastruktur für fossile Brennstoffe zu verschwenden", so die Klimaaktivisten.

Seit 2012 haben die EU-Staaten und Großbritannien demnach 555 Milliarden Kubikmeter schmutziges LNG über 22 große LNG-Terminals importiert. Im Durchschnitt wurden diese Anlagen mit weniger als einem Drittel (29 Prozent) ihrer vollen Kapazität genutzt.

"Aufgrund verschiedener geopolitischer und marktbedingter Gründe" haben die EU und Großbritannien ihre LNG-Importe in den Jahren 2019 und 2020 jedoch deutlich erhöht und erreichen nun eine durchschnittliche Auslastung von 46 Prozent, so die Berechnung von Food & Water Action Europe.

Das Importterminal Brunsbüttel

In Deutschland läuft noch bis zum heutigen Montag, den 22. Februar, das öffentliche Beteiligungsverfahren zu dem geplanten LNG-Terminal in Schleswig-Holstein. Ein "Klimabündnis gegen LNG", bestehend aus Bürgerinitiativen wie der Deutschen Umwelthilfe und dem BUND, hat bereits eine Stellungnahme gegen das Importterminal Brunsbüttel eingereicht.

"Das Fracking-Gas-Import-Terminal soll in unmittelbarer Nähe zu existierender kritischer Infrastruktur - wie z. B. dem ehemaligen AKW und derzeitigen Atommüll-Lager Brunsbüttel und einem Chemiepark - errichtet werden", kritisiert Constantin Zerger, Leiter für Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe.

"Unser Rechtsgutachten hat belegt, dass an dem geplanten Standort ein LNG-Terminal nicht genehmigungsfähig ist."

Er befürchtet, dass die Landesregierung das Projekt trotz der massiven Proteste aus der Bevölkerung als "raumbedeutsam" einstufen und umsetzen will.