Nord Stream 2: Besser fertigstellen!

Vom Schiff Solitaire wird die Pipeline Nord Stream 2 im Finnischen Meerbusen verlegt. Archivbild: Nord Stream 2 / Thomas Eugster

Die Gas-Pipeline war von Anfang an kein wirtschaftspolitisches, sondern ein geopolitisches Projekt. Trotzdem: Für Deutschland und die EU ist sie für die künftige Energie-Belieferung von Vorteil

Zurzeit wird um die Fertigstellung von Nordstream 2 heftig gestritten. Die USA verhängen Sanktionen gegen beteiligte Firmen und auch die Grünen sind gegen die Pipeline, weil sie befürchten, dass damit die Energiewende verzögert wird. Campact hat einen Podcast zum Thema im Netz veröffentlicht, in dem sie sagen:

"Bei Nordstream geht es im Grunde genommen um ein Klimaverbrechen. Die Pipeline sollte nicht gebaut werden."

Die Frage ist, ob das richtig ist und ob wir gegen Nordstream 2 kämpfen sollten oder nicht? Gas ist schließlich auch ein fossiler Brennstoff, von dem wir genauso wegkommen müssen, wie von Kohle und Atomstrom (Weder Nord Stream 2 noch US-Fracking-Gas zukunftsfähig).

Allerdings können wir unsere Energieversorgung nicht schlagartig von heute auf morgen auf erneuerbare Energie umstellen, denn wir müssen erst die Kapazitäten zur Gewinnung regenerativen Stroms errichten, bevor wir die Fossilen abschalten können. Dabei gibt es eine klare Reihenfolge: Zuerst müssen die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wegen der Gefahr einer radioaktiven Verseuchung bei einem Störfall. Danach kommen die Kohlekraftwerke an die Reihe und erst dann Öl und Gas.

Ob Gas klimafreundlicher als Kohle ist, das lässt sich nicht generell beantworten und hängt von vielen Faktoren ab. Das ist aber auch gar nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass Gasturbinen im Gegensatz zu Dampfturbinen relativ schnell an- und abgefahren werden können. Damit kann man sie leicht drosseln bzw. abschalten, wenn genug grüner Strom im Netz ist und hochfahren, wenn Sonne und Wind nicht genug liefern. Auf das Erdgas können wir erst verzichten, wenn wir genügend grünen Strom erzeugen können.

Fossile Energieträger: Noch 15 bis 20 Jahre notwendig

Selbst wenn wir die dazu notwendigen Anlagen endlich in großem Stil errichten, werden wir fossile Energieträger noch 15 bis 20 Jahre benötigen, wenn auch in immer geringeren Mengen.

Und da das Erdgas der fossile Energieträger ist, der zuletzt ersetzt wird, werden wir in den nächsten Jahren mindestens die gleiche Menge benötigen wie heute, vielleicht sogar noch etwas mehr, wenn durch die Abschaltung der AKW und von Kohlekraftwerken eine Versorgungslücke entsteht, die nicht sofort durch erneuerbare Energie geschlossen werden kann.

Aller Wahrscheinlichkeit nach sind wir in den nächsten 10 bis 15 Jahren auf Erdgasimporte angewiesen. Und der größte Teil dieser Erdgasimporte wird durch Pipelines aus Russland kommen.

Fakt ist, dass wir über die vorhandenen Pipelines durch die Ukraine, durch Polen und Nordstream 1 auch in Zukunft genug Gas aus Russland beziehen können und aus diesem Grund Nordstream 2 nicht benötigen. Außerdem stehen auch noch etliche nur gering ausgelastete LNG-Terminals in Westeuropa als Reserve zur Verfügung.

Nordstream 2: Ein geopolitisches Projekt

Aber darum geht es bei dem Streit um Nordstream 2 ja auch gar nicht. Nordstream 2 war von Anfang an kein wirtschaftspolitisches, sondern ein geopolitisches Projekt.

Die Ausgangslage war, dass die USA nach dem Zerfall der Sowjetunion ihre Macht in Europa und der Welt stark ausgebaut haben. Nachdem Putin in Russland seine Macht gefestigt hatte, hat er sich den USA entgegengestellt und es kam zu einer immer schärferen Konfrontation. Die USA versuchen nun, ihre europäischen Verbündeten gegen Russland in Stellung zu bringen.

Gleichzeitig ist Europa aber aus US-Sicht nicht nur Verbündeter, sondern auch Konkurrent, den man nicht zu stark werden lassen will. Deshalb ist Washington an allen möglichen Querelen in Europa interessiert, denn je mehr Streit es in Brüssel zwischen den Staaten gibt, desto schwächer ist die EU.

Polen

Polen ist einerseits EU-Mitglied, andererseits aber sehr nationalistisch und verletzt dauernd EU-Verträge und EU-Recht. Normalerweise müsste die EU dies Verhalten sanktionieren. Aber Polen hat einen Trumpf: die Erdgaspipeline. Wenn wir gegen Polen Sanktionen ergreifen, können die dafür sorgen, dass wir plötzlich kein Gas mehr durch die Pipeline bekommen, die durch ihr Land führt. Dabei brauchen sie nicht einmal selbst den Hahn zuzudrehen, es reicht, wenn sie einen entsprechenden Konflikt mit Moskau vom Zaun brechen.

Polen selbst hat in Stettin ein riesiges LNG-Terminal gebaut und mit Qatar Lieferverträge über Millionen Tonnen LNG geschlossen, so dass es von russischen Erdgaslieferungen unabhängig ist. Wenn Nordstream 2 fertiggestellt ist, kann Polen die EU aber nicht mehr mit seiner Gaspipeline erpressen und muss auch bei den Durchleitungsgebühren Kompromisse machen, was geringere Staatseinnahmen bedeutet.

Deshalb kämpft Polen mit allen Mitteln gegen Nordstream 2 und die USA stehen fest hinter ihnen, weil sie Polen als Einpeitscher gegen Russland und Spaltpilz in der EU brauchen.

Ukraine

Auch die Ukraine ist strikt gegen Nordstream 2, da über ihr Territorium eine weitere Erdgaspipeline zur Versorgung Westeuropas verläuft. Nach dem Zerfall der Sowjetunion kämpften in der Ukraine verschiedene Oligarchen und ihre Anhänger um die Macht. Dabei waren die Oligarchen aus der Ostukraine nach Moskau orientiert, weil ihre Schwer- und Rüstungsindustrie einerseits stark mit der russischen verflochten war und andererseits gegen die westliche Konkurrenz keine Chance hatte.

Die Oligarchen aus der Westukraine waren dagegen daran interessiert, mit ihren Produkten aus Landwirtschaft und Leichtindustrie auf westeuropäische Märkte zu kommen und deshalb westlich orientiert. In den innerukrainischen Auseinandersetzungen unterstützte Moskau die ostukrainische Seite, die EU die Westukrainer.

Als Viktor Janukowitsch in der Maidan-Revolution von seinen Gegnern gestürzt wurde und diese einen zu stark westlich orientierten Kurs einschlugen, unterstützte Moskau ostukrainische Separatisten und besetzte die Krim militärisch, um seine Marinebasis im Schwarzen Meer zu sichern, verzichtete aber auf eine vollständige Besetzung der Ukraine. Seitdem tobt dort ein Bürgerkrieg zwischen Kiew und den abtrünnigen Gebieten in der Ostukraine, der sich zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und Amerika entwickelt hat.

Das Drehbuch für diesen Konflikt hat Zbigniew Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater von Jimmy Carter, schon vor langer Zeit in "The Grand Chessboard" veröffentlicht.

Russland

Wenn Nordstream 2 fertig ist, könnte Russland seine Gaslieferungen an die Ukraine einstellen bzw. das Gas nur noch zum Weltmarktpreis verkaufen, was die Ukraine aber nicht bezahlen kann. In der Vergangenheit hat die Ukraine des Öfteren ihre Schulden bei Russland nicht bezahlt und einfach weiter Gas aus der Pipeline entnommen.

Russland konnte nichts dagegen tun, denn wenn sie den Gashahn zugedreht hätten, hätten sie ihr Gas nicht nach Westeuropa exportieren können und der Schaden wäre für sie größer geworden als der Nutzen. Wenn Nordstream 2 fertig ist, ändert sich das.

Russland ist nicht verpflichtet, den Ukrainern Gas zu liefern. Und die Ukraine kann auch ganz einfach aus Westeuropa mit Gas versorgt werden, indem man die Erdgastrasse rückwärts betreibt. Das Problem ist nur, dass Europa nicht genug Erdgas hat und dieses teuer importieren muss - entweder von Russland oder als LNG aus anderen Regionen. Damit würde die Ukraine und der dortige Konflikt dann deutlich teurer für den Westen.

Das ist ein hauptsächlicher Grund, warum Moskau das Projekt Nordstream 2 geplant hat und realisiert, obwohl von vorneherein klar war, dass es für die Gasversorgung Westeuropas nicht gebraucht und deshalb nur Verluste einfahren wird. Aber es ist für Russland billiger als ein endloser Krieg in der Ukraine, der sicher mehr als 9 Milliarden Euro verschlingt. Und genau das ist auch der Grund, warum die USA mit allen Mitteln versuchen, Nordstream 2 zu verhindern.