Weltrecht in Koblenz

OLG Koblenz, hier findet das Syrien-Verfahren statt. Bild: Lutz Hartmann, CC BY-SA 3.0

Vor dem Oberlandesgericht der rheinland-pfälzischen Stadt werden Verbrechen in Syrien verhandelt. Ein Novum in der modernen Justiz

Seit April 2020 stehen zwei Mitglieder des syrischen Geheimdienstes in Deutschland vor Gericht. Gegen den Mitangeklagten Eyad A., einen ehemaligen Leiter eines "Greiftrupps" zur Verfolgung und Festnahme von Demonstranten, wurde unlängst das Urteil verkündet: Vier Jahre und sechs Monate Haft. Das Verfahren gegen den Hauptangeklagten Anwar R, den mutmaßlichen Leiter eines Foltergefängnisses, läuft voraussichtlich bis Oktober weiter.

Menschenrechtsorganisationen verfolgen den Prozess mit hohen Erwartungen. Die in Berlin ansässige Juristenorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat mit eigenen Recherchen und Strafanzeigen die Ermittlungen des Generalbundesanwalts unterstützt.

Das OLG hat nun festgestellt – und damit Rechtsgeschichte geschrieben –, dass die Folter in Gefängnissen des syrischen Staates und die gewaltsame Unterdrückung der Demonstrationen ein rechtswidriger, ausgedehnter und systematischer Angriff des syrischen Staates auf die Zivilbevölkerung sei, um die Protestbewegung im Keim zu ersticken und die Stabilität der Regierung zu bewahren. Mithin ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Der Prozess in Koblenz ist ein Pilotverfahren und wird nach dem Völkerstrafrecht verhandelt. Zum ersten Mal ist die Regierung Baschar al-Assads de facto nach dem Weltrechtsprinzip im Visier der Justiz.

Damit wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der für die Justiz in anderen Ländern von großem Interesse sein dürfte. Justizbehörden in Frankreich arbeiten an ähnlichen Anklagen, ebenso in den Niederlanden. Weitere Verfahren in Deutschland werden in naher Zukunft folgen.

Mittwoch, 24. Februar, Oberlandesgericht Koblenz. Ein sonniger Tag. In der Koblenzer Innenstadt darf man ohne Maske herumlaufen. Vor dem massigen Justizgebäude aus der Zeit der Preussen im Rheinland stehen - völlig ungewohnt - etwa 50 Menschen, die meisten arabischer Herkunft, und diskutieren. Einige werden interviewt.

Kameraleute haben schon Position vor der Pforte bezogen. Sie warten auf die Verkündung des Urteils. Ein Novum: Es sind etliche arabische Kamerateams dabei. Die sind sonst niemals da, wenn es zum Beispiel um kurdische PKK-Leute oder arabischstämmige Dschihadisten und Terroristen aus Deutschland geht, sogenannte Syrienrückkehrer.

Prominente der exil-syrischen Community sind dabei, z.B der Musiker Wassim Mukdad. Er sowie der Filmemacher Feras Fayyad und Hussein Ghree waren im September oder Oktober 2011 von der Geheimdiensteinheit, zu der die Angeklagten gehörten, gefangengenommen, verhört worden. Sie haben in Koblenz über die Folter, die sie dabei erleiden mussten, berichtet.

Die drei Männer und weitere Opferzeugen sind Nebenkläger in dem Verfahren gegen ihre mutmaßlichen Peiniger. Fayyad hatte als Filmemacher die Kundgebungen der meist jungen Demonstranten im "Arabischen Frühling" in Syrien in Videos dokumentiert. 2018 erhielt er einen Oscar für seinen Dokumentarfilm über die Organisation Weißhelme in Aleppo.

Ein junges Mädchen hält ein selbstgemaltes Pappschild hoch. Darauf hat sie geschrieben: "Erster Schritt, aber mein Vater und 130.000 weitere sind noch im Gefängnis." Sie hoffe, dass ihr Vater, ein Mitglied der syrischen Opposition, das Gefängnis überlebe und bald zu ihr kommen könne.

Im großen Saal des Oberlandesgerichts verliest Richterin Anne Kerber, Vorsitzende des Staatschutzsenats, das Urteil gegen den Angeklagten Eyad A. Der Saal ist coronabedingt nur etwa zur Hälfte besetzt, man sitzt jeweils zwei Stühle auseinander, mit FFP2-Masken vor dem Gesicht. Alle lauschen aufmerksam den Ausführungen der Richterin oder der Übersetzung des Dolmetschers ins Arabische.

Die Syrer Anwar R. und Eyad A. waren laut Anklage und nach der Überzeugung des Gerichts Mitglieder des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes und in der Abteilung 251 beschäftigt, die für die Sicherheit des Gouvernements Damaskus zuständig war; Anwar R. als Leiter der Abteilung 251, Ermittlungen, im Rang eines Oberst, der Hauptfeldwebel Eyad A. in der Unterabteilung 40, die Hafez el-Makhlouf, einem als besonders brutal geltenden Mann und Cousin des Machthabers Bashir al-Assad unterstellt war.

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