Vor Lockdowngipfel: Erstmals Umfragemehrheit gegen Verlängerung

Grafik: TP

Merkels Argument, sie könne sich nicht mit Astrazeneca impfen lassen, weil sie schon 66 Jahre alt ist, könnte bald unwirksam werden

Am morgigen Mittwoch videokonferiert die deutsche Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer über eine erneute Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Als der zweite Lockdown im Dezember 2020 begann, zeigten sich in einer Umfrage noch 73 Prozent der Deutschen damit einverstanden. Einen Monat später war diese Mehrheit auf 65 Prozent zurückgegangen. Im Februar befürwortete den Lockdown nur noch gut die Hälfte der Bevölkerung - und jetzt ist es einer neuen YouGov-Umfrage nach nur noch eine Minderheit von zusammengerechnet 35 Prozent.

Geschäfte ganz vorn, Sportveranstaltungen ganz hinten

26 Prozent wollen, dass die Maßnahmen beibehalten werden - und eine neun Prozent starke No-Covid-Fraktion plädiert für ihren Ausbau. Dem gegenüber stehen 43 Prozent, der Befragten, die Lockerungen möchten, und weitere 17 Prozent, die eine komplette Aufhebung der Maßnahmen fordern. YouGov fragte die Teilnehmer der Umfrage auch, welche drei Lockdown-Lockerung ihnen am wichtigsten sind: 49 Prozent nannten dabei die Öffnung der Läden, 43 Prozent die Treffen mit anderen Leuten und 32 Prozent die Wiedereinführung des Präsenzunterrichts an den Schulen. Ganz am Schluss der Prioritätenliste kommen mit fünf Prozent die Sportveranstaltungen.

"Sehr positiv" wird die Coronapolitik der deutschen Staatsführung inzwischen von nur mehr sieben Prozent der Umfrageteilnehmer bewertet. Weitere 41 Prozent sehen sie "eher positiv. Auf der anderen Seite stehen 22 Prozent sehr und weitere 25 Prozent eher unzufriedene. Rücktritte gibt es bislang trotzdem kaum: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn überstand in den letzten Tagen sogar das Aufkommen des Ausforschens von Journalisten in der Gematik-Affäre und die Enthüllung eines Spendendinners kurz vor seiner Positivtestung. Lediglich die bereits vor ihrem Amtsantritt umstrittene niedersächsische Gesundheitsministerin Carola Reimann (vgl. Vom Pharma-Marketing ins Kompetenzteam) legte ihr Amt nieder - angeblich aus gesundheitlichen Gründen und nicht, weil ihr Bundesland für die Impfeinladung das Alter von Berechtigten nach ihren Vornamen schätzen ließ (vgl. Corona-Impfdesaster: Es liegt nicht nur am Mangel).

Gesetzentwurf: Lockdown-Kompetenzübertragung an die Exekutive bis 31. März 2022

Ob und wann die Wünsche der Bevölkerungsmehrheit von der Politik erfüllt werden, ist offen. Auch deshalb, weil ein Gesetzentwurf von CDU, CSU und SPD vorsieht, Merkel und den Ministerpräsidenten faktisch bis mindestens 31. März 2022 die Kompetenz zum Verhängen von Lockdown-Maßnahmen zu übertragen.

Hintergrund der langen Dauer einer gesetzlichen "Fortgeltung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite" könnte sein, dass sich die Staatsführung entgegen öffentlicher Verlautbarungen nicht sicher ist, bis zur Bundestagswahl die Masse der Deutschen geimpft zu haben. Das hängt auch damit zusammen, dass bald drei Millionen Dosen des Serums von Astrazeneca auf deutsche Abnehmer warten. Eine Öffnung des Angebots für Impfwillige auf den unteren Rängen der Prioritätsliste lehnt Merkel aber ebenso ab wie eine eigene öffentliche Impfung als vertrauensbildende Maßnahme. Ihr Sprecher argumentiert dabei, mit 66 Jahren befinde sich die Kanzlerin oberhalb der für Astrazeneca zugelassenen Altersgruppe. Durch neue Studien aus dem UK, die die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen das Originalvirus auch für Ältere belegen, könnte dieses Argument jedoch bald seine Stichhaltigkeit einbüßen.

Österreich und Dänemark setzen bei der Impfstoffbeschaffung nicht mehr auf Brüssel

Derzeit scheinen CDU-Politiker wie der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer aber eher auf Maßnahmen wie eine gesetzliche Impfpflicht als auf eine Vorbildwirkung von Politikern zu setzen. Eine Impfpflicht, die Kretschmer im Mai 2020 noch als "Unfug", "Falschnachricht" und "Verschwörungstheorie" dementierte. Damit reiht sich diese Kehrtwende in eine Reihe von 180-Grad-Kursänderungen ein, zu der unter anderem die vor dem Frühjahrslockdown 2020 getätigte Behauptung des Bundesgesundheitsministeriums gehört, dass die Bundesregierung […] bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen" werde, sei "Fake News".

An Impfstoffen, bei denen die Chance größer ist, dass sie auch gegen Mutationen gut wirken, gibt es in Deutschland dagegen zu wenig, weil die EU-Kommission, der man diese Aufgabe übertragen hat, statt auf sie auf ein Serum des französischen Unternehmens Sanofi setzte, welches sich als nicht einmal gegen das Originalvirus wirksam entpuppte. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz und die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen haben sich deshalb an die Spitze einer "First-Mover"-Gruppe von Ländern gestellt, die weitere Impfstoffe nicht mehr via Brüssel beziehen wollen.

Auch die Zulassung von Vakzinen durch die Brüsseler Behörde EMA dauert ihnen zu lange. Ein Vorwurf, der nicht ganz von der Hand zu weisen ist, wenn man bedenkt, dass in den USA bereits die Genehmigung des Serums von Novamax bevorsteht, das einer neuen Studie zufolge nicht nur zu 96 Prozent gegen das Originalvirus, sondern auch zu 86 Prozent gegen die britische Mutation wirkt.

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