Schlummernde Pandemien im schmelzenden Permafrost

Klimawandel auf der Nordhalbkugel: Die tauende Erde gibt nicht nur jede Menge Treibhausgase frei, sondern auch Krankheitserreger und unbekannte Viren

Das war eine kleine Sensation in der Wissenschaftswelt: Schwedischen Forschern gelang es, DNA aus Mammut-Zähnen zu rekonstruieren, die in Sibirien gefunden worden waren. Love Dalén vom Zentrum für Paläogenetik in Stockholm datiert das Alter auf 1,6 Millionen Jahre, "das älteste Erbgut, das je gefunden wurde". Die Mammut-Zähne waren zum Vorschein gekommen, weil der Permafrost immer weiter auftaut.

Permanent gefrorene Erde: Ein Viertel der Landfläche der Nordhalbkugel ist dauerhaft gefroren. Alaska, Nordkanada, der Norden Europas und weite Teile Sibiriens – auf 23 Millionen Quadratkilometern wirkt dieser Frostboden wie eine riesige Tiefkühltruhe: In ihm sind gigantische Mengen abgestorbener Pflanzenreste eingeschlossen.

Taut der Permafrost, werden diese durch Mikroben zersetzt und dabei Treibhausgase wie Lachgas, Methan oder Kohlendioxid frei, was den Klimawandel weiter anheizt. Ein so genanntes Kippelement, einmal in Gang gesetzt, lässt sich der Prozess nicht wieder aufhalten.

Methan ist in der Erdatmosphäre rund 25-mal so wirksam wie Kohlendioxid, Lachgas sogar 298-mal. Allein im oberen Bereich der Permafrostböden stecken bis zu 1.600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Das ist fast doppelt so viel, wie sich derzeit in der gesamten Erdatmosphäre befinden.

Wird auch nur ein Teil davon frei, wäre das eine Katastrophe: Die freiwerdenden Treibhausgase beschleunigen den Tauvorgang, was noch mehr Treibhausgase freisetzt und den Tauvorgang noch weiter beschleunigt. Ein Teufelskreis.

Erst Tauwetter, dann Milzbrand

Doch nicht nur für die Erderhitzung birgt die sich öffnende Kühltruhe gigantische Gefahren. "Sonne weckt tödliche Bakterien im Permafrost", titelten im Sommer 2016 die Zeitungen. Damals war es im Nordwesten Sibiriens ungewöhnlich warm, die Temperaturen kletterten am Polarkreis im Juni und Juli auf bis zu 35 Grad Celsius. Plötzlich erkrankten Menschen an Milzbrand, einer hochansteckenden Krankheit, die eigentlich seit 1941 in Sibirien als ausgerottet galt.

Russische Experten gehen davon aus, dass Sporen des Bacillus anthracis jahrzehntelang gefroren in vergrabenen Tierkadavern überlebten, nun aber von den ungewöhnlich hohen Temperaturen wieder zum Leben erweckt wurden. Eine Epidemie konnte 2016 nur verhindert werden, weil die dünn besiedelte Region schnell abgeriegelt und mehr als 40.000 Rentiere geimpft wurden und es so gelang, den Übertragungsweg zu kappen.

Niemand weiß, was der Permafrost noch so alles verborgen hält. Mit dem Auftauen gibt er aber immer neue Funde preis: Belgische Biologen beschrieben in einer Studie mit dem sinnigen Titel "Zurück in die Zukunft in einer Petrischale", welche Gefahr von im Permafrost eingefrorenen Mikroben ausgehen kann. Sie hatten in 700 Jahre altem Karibu-Kot zwei Viren gefunden, die sie im Labor wiederbeleben konnten.

Zwar handelte es sich um Erreger, die Pflanzen beziehungsweise Insekten befallen, doch "bemerkenswerterweise waren diese Viren auch nach 700 Jahren im Eis noch intakt und infektiös", schreiben die Autoren.

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