"Als die Kirche staatsfern war …"

Die Schlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866; Gemälde von Georg Bleibtreu (1828-1892). Bild: Wikipedia/gemeinfrei

Scharfe Militarismus-Kritik, die uns heute in Staunen versetzt: katholischer Antimilitarismus - Kirche & Weltkrieg

Die römisch-katholische Bundesministerin für das Militärressort betreibt hierzulande das genaue Gegenteil dessen, was der Papst für die menschliche Zivilisation vorschlägt. Sie votiert - unter Einschluss der gefährlichen Technologie von ferngelenkten Militärinterventionen - für eine Politik, die zur weiteren Explosion der deutschen Rüstungsausgaben führt.

Insbesondere will die Ministerin, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, trotz des bahnbrechenden UN-Verbotsvertrags und der neuen "Katechismusvorgabe" der Weltkirche unbedingt die deutsche Atombombenteilhabe aufrechterhalten.

Deutsch-katholische Kriegsbeihilfe

Nach der deutsch-katholischen Kriegsbeihilfe in zwei Weltkriegen und nachfolgenden Atombombentheologien zugunsten der Planungen Konrad Adenauers darf man sich über nichts mehr wundern. In der renommierten katholischen Zeitschrift Herder-Korrespondenz/1 gab es jüngst wieder einen gegen Rom gerichteten Vorstoß zur Apologie der Nato-Atombewaffnung.

Auf den gegenwärtigen Papst kann die globale Friedensbewegung zählen, auf den von der CDU dominierten politischen Katholizismus hierzulande wohl kaum. Die Zeiten, in denen sich die die Verhältnisse anders gestalteten, liegen nun schon eineinhalb Jahrhunderte zurück. Der von mir herausgegebene erste Band einer neuen Reihe "Kirche & Weltkrieg" erschließt Forschungsbeiträge, regionale Studien und zentrale Quellentexte zu katholischen Kriegsdiskursen zwischen 1866 und 1914.

Romzentrierter Katholizismus wider die Militärmaschine

Eine vom Anglikaner David Urquhart angestoßene Völkerrechtsinitiative auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70 wünschte von der Weltkirche verbindliche Antworten auf die Irrlehren von Nationalismus, Militarismus und Imperialismus. Die Prioritäten des damals sehr auf sich selbst bezogenen Papsttums von Pius IX. lagen aber bekanntlich auf einem ganz anderen Feld (eigene "Unfehlbarkeit und Universalgewalt"). Das Vorhaben verpuffte letztlich.

Der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel Ketteler (1811-1877) gehörte als Unterzeichner der friedensbewegten Völkerrechtseingabe auf dem Konzil schon lange zu den orientierten Leuten. Seine weitsichtigen Warnungen vor einer ausgelagerten eigenständigen Militärseelsorge, "Militärpriestern", "neuen Eiden" und Militärflitter an den Soutanen von staatshörigen Pfaffen verhallten ungehört (sie waren später den Verantwortlichen 1914-1918 und 1939-1945 aber mit einiger Sicherheit noch bekannt).

Insbesondere entlarvte dieser Kirchenmann ab 1866 die gefährliche Idee, ein Staat wie Preußen könne sich auf einen besonderen weltgeschichtlichen Auftrag berufen und müsse für solche "Verantwortungsübernahme" aufrüsten.

In seiner Schrift "Die wahre Bedeutung des Kulturkampfes" (1875) stellte Bischof Ketteler klar, wovon man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann nichts mehr wissen wollte:

"Auch wir leisten dem König Gehorsam […]; wir bestimmen aber den Umfang des Gehorsams gegen den König nach dem Willen Gottes, nicht umgekehrt den Umfang des Gehorsams gegen Gott nach dem Willen des Königs. Das Letztere tut aber das echte Preußentum."

1871 konstatierte ein katholischer Anonymus in den "Historisch-politischen Blättern" für das katholische Deutschland:

"Wo ist überhaupt ein Zweig der menschlichen Tätigkeit, welcher nicht mittelbar oder unmittelbar dem Kriege dienstbar gemacht worden wäre?"

Im neuen Kaiserreich fragten die katholischen Autoren hartnäckig, welcher gesellschaftliche Bereich (z.B. Schule und Gesundheitswesen!) eigentlich noch ausgeklammert sei von der Militarisierung. Der Zusammenhang von "Kriegsrüstung" und "sozialer Frage" war maßgeblicher Ausgangspunkt der vorgebrachten Klagen.

Die Militarismus-Kritik des Jesuiten Georg Michael Pachtler von 1876 versetzt uns ob ihrer Schärfe - sowie dem Rekurs auf harten Fakten und Zahlen - in Staunen. Hier sichten wir das wohl bedeutsamste Zeugnis eines "ultramontanen (an Rom ausgerichteten) Pazifismus" der Kulturkampfjahre:

"Die Eroberungspolitik ist ein Verbrechen, wie der Straßenraub; der Mörder von hunderttausend Menschen ist hunderttausend Mal schuldhafter, als der Eines Menschen."

Wirkungsgeschichtlich bleibt es von großer Bedeutsamkeit, wie warmherzig dieser Jesuit friedensbewegte Voten aus England oder Frankreich anführte - und hierbei wiederholt auf den im Konzil 1869 hervorgetretenen David Urquhart Bezug nahm. (Pachtler beschwor allerdings ansonsten als leidenschaftlicher Ultramontaner große Gefahren durch Sozialisten und die Freimaurerei, in welcher er Juden besonders stark vertreten glaubte.)

Militärfreundliches Kirchentum nach dem Kulturkampf

Nach dem deutsch-französischen Krieg beginnt - über den alltagskulturellen Militarismus des Kaiserreiches (u.a. Kriegervereine an allen Orten) - Schritt für Schritt die nationalistische Aufladung auch der katholischen Landschaften. Um 1900 ist sie schon weit gediehen bzw. fast abgeschlossen. Der katholische "Minderwertigkeitskomplex" im protestantisch dominierten Reich sorgt für Anpassungswilligkeit.

Die Militarismus-Kritiker der Kulturkampfzeit hatten fast alle eine rückwärts gerichtete Weltanschauung und zeichneten sich durch Staatsferne aus. Die katholischen "Modernen" hingegen beantworteten die Nachstellungen der päpstlichen Theologenpolizei unter Pius X. (Amtszeit 1903-1914) mit umso größerer Anhänglichkeit an die eigene Nation.

Am Vorabend des 1. Weltkrieges legen dann Moraltheologen aus diesem Lager schludrige Expertisen vor, die u.a. den Kolonialismus rechtfertigen und dem Kaiserreich nur willkommen sein können. Wie die Protestanten leisten die deutsch-katholischen Bischöfe 1914-1918 staatskirchliche Kriegsbeihilfe vom Schlimmsten.

Die im 19. Jahrhundert greifbar gewordene Chance eines auch in Deutschland verstandenen Friedensdienstes der Weltkirche war vertan. Pater Georg Michael Pachtler SJ hat sich damals angesichts der kriegstheologischen Textproduktion von deutschsprachigen Jesuiten wohl im Grabe herumgedreht.

Katholische Diskurse über Krieg und Frieden vor 1914.
Ausgewählte Forschungen nebst Quellentexten (= Kirche & Weltkrieg, Band 1). Herausgegeben von Peter Bürger. Norderstedt 2020. ISBN: 978-3-7526-7268-8 (Paperback; 340 Seiten; 14,80 Euro)
Autorenübersicht und Inhaltsverzeichnis hier auf der Verlagsseite.