Erst Corona, dann die Armut

Umfassende Sozialstudie weist auf schwerwiegende soziale Konsequenzen der Pandemie-Politik hin. "Datenreport 2021" benennt Gewinner und Verlierer

Die Corona-Pandemie wird sich nach Einschätzung von Sozialforschern und Statistikern auch in Deutschland negativ auf das Sozialgefüge auswirken und soziale Unterschiede vertiefen. Das geht aus einem gut 530 Seiten fassenden Bericht hervor, den mehrere Fachorganisationen heute online präsentierten.

Demnach sind in Folge der staatlichen Eindämmungsmaßnahmen vor allem benachteiligte Bevölkerungsgruppen von einem weiteren und nachhaltigen sozialen Abstieg bedroht. Das betrifft das Einkommen ebenso wie die Zukunftschancen der jüngeren Generation.

Der Datenreport 2021 hat zur Bewertung der Lage zunächst die Einkommensentwicklung und die Eigenbewertung der Lohn- und Sozialsituation erfasst. Demnach gab zwischen Ende März und Anfang Juli 2020 jeder fünfte Umfrageteilnehmer aus dem Niedriglohnsektor an, in finanzielle Schwierigkeiten gekommen zu sein; unter den an- und ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern waren es 17 Prozent. Die gleiche Angabe machten immerhin noch 14 Prozent der einfachen Angestellten.

"Bei den Facharbeiter-, Meister- und qualifizierten Angestelltenberufen fielen die Anteile mit neun Prozent deutlich niedriger aus", heißt es in einer Zusammenfassung der Studie. Hingegen hatten schon nach dem ersten Lockdown vor allem Alleinerziehende mit 25 Prozent und Selbstständige mit 20 Prozent unter finanziellen Problemen zu leiden.

Die Folgen der Pandemie-Politik mit den oft willkürlich erscheinenden Lockdown-Entscheidungen auf Bundes- und Länderebene haben sich aber nicht nur unmittelbar auf die wirtschaftliche Situation der Menschen ausgewirkt. Die wiederholte Schließung von Bildungseinrichtungen droht auch die Zukunftschancen vieler Heranwachsender nachhaltig zu schmälern.

Ungleiche Bildungschancen

So weisen die Autoren des Datenreports darauf hin, dass Familien mit höherem Einkommen im Durchschnitt mehr Endgeräte besitzen, "während Familien mit niedrigen Einkommen oft nicht für jedes Kind einen Computer haben". Das hat unmittelbar Auswirkungen auf die Möglichkeit, Homeschooling-Angebote wahrzunehmen.

So hätten Familien mit hohem monatlichem Haushaltsnettoeinkommen zwischen 5.000 und 18.000 Euro Anfang 2020 im Durchschnitt vier PCs zur Verfügung gehabt. In der untersten Einkommensgruppe, also unter 2.000 Euro monatlich, seien es im Schnitt nur zwei Geräte gewesen.

Der Bericht korrigiert auch den Blick auf relevante Entwicklungen während der Pandemie. Denn während etablierte Medien das Thema Homeoffice im Laufe des vergangenen Jahres wiederholt prominent aufgegriffen haben, spielt die Arbeit von zu Hause für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung keine Rolle.

Zwar steigerte sich der Anteil der Erwerbstätigen im Heimbüro im ersten Lockdown von zuvor fünf auf 23 Prozent. Allerdings seien die sozialen Unterschiede bei der Nutzung von Homeoffice enorm, konstatiert die Studie: "Das liegt daran, dass einige Berufe nicht für Homeoffice geeignet sind." Dies betreffe etwa Busfahrerinnen und Busfahrer oder Angestellte im Verkauf, anders als typische Büroberufe wie Marketing oder Finanzdienstleistungen.

"Besonders selten arbeiteten Menschen in Berufen im unteren Drittel der Einkommensverteilung im ersten Lockdown von zu Hause aus", schreiben die Autoren. So habe in rund der Hälfte dieser Berufe der Homeoffice-Anteil weniger als sechs Prozent betragen. Im oberen Einkommensdrittel hatten fast zwei Drittel der dort Tätigen einen Homeofffice-Anteil von 20 Prozent und mehr.

Wer arm ist, bleibt länger arm

"Wir sehen, dass Haushalte, die einmal unter die Armutsgrenze gerutscht sind, immer öfter und auch länger unter der Armutsgrenze verbleiben", betonte der Sozialwissenschaftler Philip Wotschack vom WZB bei der Präsentation der Studie. Von den Personen, die im Jahr 2018 in der untersten Einkommensschicht und damit in relativer Einkommensarmut lebten, waren 88 Prozent bereits in den vier Vorjahren zumindest einmal von Armut betroffen.

Wotschack wies auf einen weiteren Aspekt der gesellschaftlichen Sozialentwicklung hin: die veränderten Arbeitsbelastungen und gesundheitlichen Probleme. "Berufe und Arbeitstätigkeiten im unteren Einkommensbereich werden sehr viel häufiger als psychisch belastend und unbefriedigend empfunden und wirken sich nachteilig auf die Gesundheit und Lebenserwartung der Menschen aus.

Der Datenreport wird erstellt vom Statistischen Bundesamt, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. beteiligt ist auch das Sozio-oekonomische Panel. Herausgegeben wird er von der Bundeszentrale für politische Bildung.

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