"Nichts als Angst und Not"

Screenshot Unicef-Pressekonferenz, Twitter

Syrien: Politische Sackgassen und sechs Millionen Kinder, die auf Hilfe angewiesen sind

Es fehlen etwa 5 Milliarden US-Dollar und "wenn das Geld nicht da ist, werden Essensrationen gekürzt, dann gibt es auch keine Impfungen", sagte der deutsche Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) zur Lage der syrischen Kinder. Die ist katastrophal.

Auch aufmerksamkeitsökonomisch: Ist die Zahl der Besucher der heutigen Online-Pressekonferenz der Unicef auf Twitter dafür ein Indiz, so ist das öffentliche Interesse kläglich. Fünf Besucher, dann acht, dann wieder fünf zeigte die Leiste unter dem Video an, am Ende waren es in der Summe 195 Zuschauer (noch etwas später wurden 242 gezählt).

Das steht in einem traurigen Verhältnis zur Dimension der Not, die der deutsche Minister Müller, der Geschäftsführer der UN-Organisation in Deutschland, Christian Schneider, und Ted Chaiban, der Leiter des Unicef-Regionalbüros Naher Osten und Nordafrika, versuchten, der Öffentlichkeit via Pressekonferenz nahe zu bringen. Man muss hoffen, dass die großen Medien mit ihren Top News - z.B. Lage von Kindern in Syrien schlimmer als je zuvor - Hilfswillige aufrütteln.

Geld ist das Mittel der Wahl

Geld scheint momentan das Mittel der Wahl zur Hilfe. Politisch ist die Situation von Hilflosigkeit und Lagerbeton gekennzeichnet. Auch das führte die Pressekonferenz erneut vor Augen. Schneider und Müller berichteten von der katastrophalen Lage: " Sechs Millionen syrische Kinder sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (Christian Schneider). Nach 10 Kriegsjahren "sind 22 Millionen Menschen im ganzen Krisenbogen auf humanitäre Unterstützung angewiesen", ergänzte Gerd Müllers Lagebericht. "Eine ganze Generation syrischer Kinder kennt nichts als Angst und Not", so sein Fazit des Schreckens und: "Corona kommt jetzt noch hinzu."

Danach fragte ein Vertreter des Deutschlandfunks, ob "Nord Stream 2 nicht ein Hebel für Syrien" sein könnte… Wie nahe ist das an der Realität? Wie realistisch ist es, dass Russland mit der Androhung des Baustopps der Pipeline ernsthaft seine Syrien-Politik, die im Zentrum seiner Regionalpolitik im Nahen Osten steht, ändern würde?

Dabei hätte der Westen beim großen humanitäre Problem im "Nordwesten Syriens", das als hauptsächliche Problemzone immer wieder hervorgehoben wurde, einen politischen Ansprechpartner, der dort eine dominante Rolle spielt, nämlich das Nato-Mitglied Türkei. Dessen Name wurde in diesem Zusammenhang "Nordwestsyrien" ebenso wenig genannt wie die Namen der syrischen Gouvernements "Idlib" und "Aleppo", wo sich Flüchtlinge und Bewohner in einer sehr schwierigen Lage befinden.

Nicht zuletzt deswegen, weil dort mit der Türkei verbündete islamistische Milizen mit dschihadistischen Milizen, die weniger eng mit der Türkei verbündet sind, um die Dominanz streiten, mit allen Mitteln, denen keine Hilfslieferungen heilig sind.

Die Nennung von Idlib oder Aleppo, beide Namen sind längst Synonyme für Konfliktzonen, hätte akut spüren lassen, wie sehr geopolitische Ambitionen, militärische Lösungen und politische Abmachungen jenseits der UN-Sicherheitsratsresolutionen und dem UN-Fahrplan für den Übergang zu einem besseren Syrien die Lage im Land und damit die Lage der Zivilbevölkerung und der Kinder bestimmen. Und die ist so verfahren, dass der Unicef nur wenig Räume zur Hilfe bleiben.

Das brachte der deutsche Entwicklungsminister Müller dann auf einen zählbaren Nenner. 9,8 Milliarden US-Dollar benötigte die UN, um in der Not zu helfen. 4,4 Milliarden seien "gedeckt". Es fehlen gute 5 Milliarden US-Dollar. Das ist immerhin eine konkrete Aussage.

Gedeckt wird diese mit der Auflistung der deutschen Hilfsleistung, die Müller machte, um zu veranschaulichen, wo die Gelder helfen: 700.000 Kinder, die mit deutscher Unterstützung zur Schule gehen können, 20.000 Lehrer werden finanziert - "in der Türkei". Finanziert werden auch 300.000 Ausbildungsplätze. 4,8 Millionen erhalten Lebensmittel. 1,5 Millionen Kinder können nicht zur Schule gehen - Geldspenden würden helfen, so die Botschaft.

Auch Karin Leukefeld war für das Neue Deutschland der Pressekonferenz zugeschaltet. Sie fragte danach, ob die Hilfe durch die Sanktionen gegen Syrien behindert würde. Darauf gab es zunächst ein Schweigen und dann ausweichende Antworten mit einer Rhetorik, die verstehen lässt, warum solche Pressekonferenzen aufmerksamkeitsökonomisch kein Renner sind.

Aber halt: Es gab doch einen Bombensatz von Gerd Müller zu diesem Kontext. "Die Menschen in Syrien werden ausgehungert", hatte der Entwicklungsminister noch vor den Fragen gesagt. Der Hunger sei eine Kriegswaffe von Assad, so Müller. Inwieweit andere Interessensmächte ihn ebenfalls als Kriegswaffe benutzen, war nicht Thema der Bilanz zum zehnten Jahrestag des Syrienkriegs.