Südasien: Auslaufmodell Demokratie

Bangladesch: Entweder der große Sprung gelingt oder Untergang. Foto: Gilbert Kolonko

Indien ist seit letztem Jahr im Club der Autokratien. Pakistan und Bangladesch schon länger, Nepal auf der Kippe. Das Model Demokratie scheint sich erledigt zu haben - dem Westen sei Dank

Was in Indien gespielt wird, zeigt eine kurze Geschichte über den Patrioten Vijay Kumar. Kumar wurde 2018 bekannt, weil er sich die Namen indischer Paramilitärs auf den Rücken tätowieren ließ, die bei einem Anschlag in Kaschmir getötet worden waren.

Als Hindunationalist und glühender Verehrer von Narendra Modi hetzte Kumar gegen alle, die sein Premierminister als Staatsfeinde ausgemacht hatte: Die Studenten, die gegen die Privatisierungen des Bildungssystems auf die Straße gingen. Dann die Demonstranten, die gegen Modis neue Einwanderungsgesetze mobil machten. Aktivisten, die sich für Minderheiten einsetzten, galten allesamt als Pakistaner. Ebenso Umweltaktivisten, da sie das Wirtschaftswachstum in Indien störten.

Doch gegen Ende des letzten Jahres brach Kumars Patriotenwelt in sich zusammen. Er ist Bauer und fühlte sich von neuen Agrargesetzen bedroht: Mit 100.000 anderen Landwirten demonstrierte er gemeinsam vor den Toren Delhis, in der Hoffnung, dass sein Held Modi die Probleme der Bauern ernst nähme. Doch die Modi-Regierung nannte auch die demonstrierenden Bauern Feinde der Nation, die Indien im Auftrag ausländischer Mächte schwächen wollen. In einem Interview fragte Kumar:

"Wenn jetzt auch noch die indischen Bauern Feinde Indiens sind, wer bleibt dann noch übrig?"

So könnte auch Kumar bald, als Anti-Patriot gebrandmarkt, im Gefängnis landen wie mehr als 1.000 Aktivisten und Menschenrechtler allein während der Pandemie.

Selbst ein Tweet, der zur Unterstützung der Bauernproteste aufruft, reicht in Indien mittlerweile aus, um verhaftet zu werden.

In seinem aktuellen Demokratie-Report "spricht" es das schwedische V-Dem Institut auch offiziell aus: Indien gehört zum Club der autokratisch, regierten Länder.

Nun kann nicht behauptet werden, dass es den meisten Indern vor Modis Regierungszeit materiell viel besser ging - trotz 20-jährigem Wirtschaftswachstum. Konnte es gar nicht, dafür wurde das Wachstum zu ungleich verteilt: Im Jahr 2000 besaß Indien neun Milliardäre, 2017 waren es schon Hundertundeiner.

Doch die Fortschritte, die Indien bis 2014 in Sachen Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie Rechte von Minderheiten gemacht hat, waren enorm. Auch der Einfluss von Umweltverbänden wurde größer, wenn berücksichtig wird, dass er vor 20 Jahren bei null lag. Wie das Land dafür vom Westen belohnt wurde, außer mit schönen Worten, zeigt ein Blick auf die Handelsbilanz Deutschlands mit Indien.

Im Jahr 2019 betrug das Handelsvolumen mit Indien 20 Milliarden Euro. Mit der Diktatur China dagegen wurden Geschäfte in Höhe von 206 Milliarden gemacht. (Darunter die ganze Billigware, damit auch die "Abgehängten" in Deutschland Schoppen gehen können - in 99 Cent-Läden.)

Jeder, der in Indien gegen die Regierung demonstriert, wird als Staatsfeind dargestellt - egal ob Muslim, Hindu oder Patriot. Foto: Gilbert Kolonko

Die finanzielle Ungerechtigkeit in China und Indien war bis 2019 etwa gleich stark gestiegen. Warum China es trotzdem geschafft hat, mehr Menschen aus der Armut zu holen, liegt in erster Linie am Wirtschaftswachstum, und es war auch der Westen, der das möglich gemacht hat.

Wenn Deutschland und Co. den eigenen Worten von "Demokratie" nur halbwegs treu geblieben wäre, wäre Indien wahrscheinlich ein Narendra Modi erspart geblieben und dem Westen ein starkes China, das nun angeblich die freie Welt bedroht.

Doch nun, wo China stark und selbstbewusst ist und die Regeln mitbestimmen will, entdeckt der Westen Indien als demokratisches Gegenstück: Ausgerechnet jetzt, wo in Indien die Demokratie am Schwinden ist.

Selbst "große" deutsche Medien basteln schon am neuen Freund-Feind-Bild mit: Von der Tagesschau über die Süddeutsche Zeitung bis hin zur Welt wird berichtet, dass ein chinesischer Staudamm Indien und Bangladesch das (Trink-)Wasser abdrehen könnte. Hallo! 70 Prozent des indischen Oberflächen-Wassers sind verdreckt.

Dazu ist es Indien mit seinen Staudämmen, das Bangladesch das Wasser abdreht - der indische Farakka-Staudamm schadet sogar beiden Ländern.

Ebenso vergiftet Bangladesch seine eigenen Flüsse, dank Billigindustrien, die auch für den Westen produzieren. Nun aber soll China schuld sein an den Wasserproblemen und indische Hindunationalisten sollen die Demokratie verteidigen?

Ein Paradox: Diese Hindunationalisten werben aktuell sogar besser für Demokratie als der Westen. Indien verschenkt Millionen von Impfdosen an ärmere Länder, obwohl das Impfen im eigenen Land nur schleppend vorangeht.

So bat Indien die USA und Europa sich anzuschließen, um damit für die "Gemeinschaft der demokratischen Länder" zu werben und die Impfdiplomatie nicht allein China zu überlassen - doch der Westen ist in Panik und kümmert sich nur um sich selbst. In Nepal gibt es mittlerweile auch für ausländische Touristen kostenlose Impfungen aus China.

Ob Bangladesch, Indien oder Pakistan - Der Demokratie geht es wie der Umwelt, es ist fünf nach zwölf. Foto: Gilbert Kolonko

Aber nicht nur in Sachen China und Indien stimmen die schönen Worte des Westens nicht mit seinen Taten über ein.