Graue Wölfe: offenes Geheimnis als "Verschlusssache"

Symbol der Grauen Wölfe als Autolackierung. Foto: Henning Schlottmann / CC-BY-SA-4.0

Die Bundesregierung erwägt ein Verbot der faschistischen Gruppierung, antwortet aber verdruckst auf Fragen zu deren Einfluss in einer Lobby-Organisation des türkischen AKP-Regimes

Unter dem Namen "Union Internationaler Demokraten" (UID) tritt in Deutschland einer Lobby-Organisation der türkischen Regierungspartei AKP auf. Der im Januar neu gewählte UID-Vorsitzende Köksal Kuş gab sich bis dato keine Mühe, zu verbergen, dass er ideologisch auch dem Koalitionspartner der AKP verbunden ist: der offen faschistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetçi Hareket Partisi, kurz MHP), deren Anhänger auch als "Graue Wölfe" bekannt sind.

Während die Bundesregierung in Berlin seit November 2020 die Möglichkeit eines Verbots der Grauen Wölfe in Deutschland "prüft", sieht sie die Türkei - beziehungsweise das AKP-MHP-Regime - als "wichtigen Partner" im Rahmen der Nato an. So zumindest hat es Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Anfang Februar beim Treffen mit ihrem türkischen Amtskollegen Hulusi Akar ausgedrückt.

Dementsprechend antwortete die Bundesregierung vor wenigen Tagen zumindest teilweise ausweichend auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke), die wissen wollte, wie weit die Prüfung eines möglichen Verbots der Grauen Wölfe gediehen ist und wie deren Einfluss auf die AKP-Lobby-Organisation UID eingeschätzt wird.

"Zum Verhältnis der UID zur MHP liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor", heißt es in der Antwort. Allerdings - das kann sie auch schwer leugnen - liegen ihr "medienöffentliche Erkenntnisse über Bezüge des am 24. Januar 2021 zum neuen UID-Vorsitzenden gewählten Köksal Kuş zum türkischen Rechtsextremismus vor". Demnach war Kuş, der bereits von 2016 bis 2018 dem Vorstand der UID angehörte, zumindest zeitweise Mitglied in der "Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Deutschland" ("Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu" - ADÜTDF), deren Anhängerschaft auch als Ülkücü-Strömung bezeichnet wird. Die ADÜTDF ist eine Auslandsvertretung der MHP und der größte Dachverband der Grauen Wölfe in Deutschland.

Welchen Einfluss die Ülkücü-Strömung innerhalb der UID hat und wie viele UID-Vorstandsmitglieder ihr zugerechnet werden, diese beiden Fragen wollte die Bundesregierung nur als "Verschlusssache" eingestuft beantworten.

Vielsagende Heldenverehrung

Kuş dagegen hatte aus seiner Gesinnung kein Geheimnis gemacht: Aus seiner Facebook-Seite drückte er Bewunderung für den Grauen Wolf und Drogenhändler Abdullah Çatlı aus, der in politische Morden an Linken verwickelt war und als Symbolfigur des "Tiefen Staates" in der Türkei gilt, seit er 1996 bei einem Autounfall starb, durch den Verstrickungen zwischen Ultrarechten, Polizeibehörden und Mafia offengelegt wurden. Im Unfallfahrzeug, einer gepanzerten Mercedes-Limousine, war beim Zusammenstoß mit einem Lkw neben Çatlı und dessen Freundin pikanter Weise auch ein Polizeifunktionär ums Leben gekommen. Außerdem wurden mehrere scharfe Schusswaffen und gefälschte Pässe in dem Autowrack gefunden - sowie ein vom damalige Innenminister Mehmet Ağar unterzeichneter Ausweis, mit dem sich Çatlı als "Polizeiexperte" ausgeben konnte.

"Möge ihm Gott im Himmel einen würdigen Platz einräumen", kommentierte Kuş Jahrzehnte später auf seiner Facebook-Seite ein Foto von Çatlı. Aufgrund solcher Äußerungen berichtete am 27. Januar sogar die ARD-tagesschau über den Hintergrund des neuen UID-Chefs.

Jelpke wirft der Bundesregierung vor, auf Zeit zu spielen, seit der Bundestag im November beschlossen habe, die Möglichkeit eines Verbots der Grauen Wölfe zu prüfen. "Juristische Hindernisse erscheinen mir dabei vorgeschoben, denn das Hauptproblem dürften politische Gründe sein. Schließlich will die Bundesregierung die türkische Regierung nicht verärgern", erklärte die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linksfraktion am Dienstag.

Die Wahl des neuen UID-Vorsitzenden spiegelt nach ihrer Einschätzung den wachsenden Einfluss der Faschisten auf die türkische Regierungspolitik wieder. Die UID scheine inzwischen zur "gemeinsamen Auslandsvertretung der islamistisch-faschistischen Regierungsallianz von AKP und MHP" geworden zu sein. Wenn türkische und muslimische Verbände wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland glaubhaft gegen Rassismus vorgehen wollten, müssten sie sich von Gruppierungen wie den "Grauen Wölfen" distanzieren, sagte Jelpke am Dienstag gegenüber Telepolis.

Brüder im Ungeist: "Graue Wölfe" und deutsche Neonazis

Zum Teil sind es dieselben Personen, die von Ultrarechten deutscher und türkischer Herkunft bedroht werden: Türkisch- und kurdischstämmige Aktivisten, Journalisten und Politikerinnen der Partei Die Linke, die sich - auch - gegen türkische Nationalisten stellen, erhielten in Deutschland immer wieder Morddrohungen, die sich diesem ideologischen Umfeld zuordnen ließen. Betroffen waren in den letzten Jahren zum Beispiel die Bundestagsabgeordenten Sevim Dagdelen und Gökay Akbulut sowie die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir und der Kommunikationswissenschaftler und Aktivist Kerem Schamberger sowie der Journalist Ismail Küpeli.

Zumindest Sevim Dagdelen und Gökay Akbulut und gehörten auch zu den Adressatinnen der Drohmails mit dem Kürzel "NSU 2.0". Kerem Schamberger hat im Dezember eine Morddrohung im Stil türkischer Nationalisten auf Instagram erhalten und Anzeige erstattet. Der Online-Dienst wolle aber bisher die Daten des verantwortlichen Nutzers nicht herausrücken, sagte der Münchner am Dienstag im Gespräch mit Telepolis. Einschüchtern lassen wollten Schamberger und andere Betroffene sich nicht. Allerdings müssten Linke bundesweit auch für die Gefahr aus dieser Ecke sensibilisiert werden.

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