Äthiopien taumelt einer ungewissen Zukunft entgegen

Abiy Ahmed (zweiter von rechts). Bild: Office of the Prime Minister/CC0

Abiy Ahmed Alis Lügen und die Realität. Es ist nicht davon auszugehen, dass die USA ihren Zögling fallen lassen wollen

Hintergrund

Seit dem 4.November letzten Jahres wurde von der Zentralregierung Äthiopiens unter Abiy Ahmed Ali ein Krieg gegen das Bundesland Tigray begonnen. Tigray hat ca. 6 Millionen Einwohner, befindet sich im Norden Äthiopiens und grenzt an die Nachbarländer Sudan und Eritrea.

Die bis Anfang November in Tigray regierende TPLF (Tigray Peoples Liberation Front) wurde im September 2020 in Wahlen als Regierung des Bundeslandes Tigray bestätigt. Bis zum Amtsantritt Abiy Ahmed Alis war die TPLF auch die dominierende Kraft in der Parteienkoalition der Zentralregierung.

Ausführliche Informationen zu Geschichte und Hintergründen sind hier zu finden:

Äthiopien: Was steckt hinter dem Konflikt in Tigray?

Äthiopien: Aufbruch in den Neoliberalismus mit dem neuen Premierminister Abiy Ahmed?

Am 04. November 2020 hat die nicht gewählte Regierung Abiy Ahmed Alis gegen die gewählte Regierung in Tigray den Krieg eröffnet. Die Operation wurde unter dem Vorwand durchgeführt "Gesetz und Ordnung" wiederherzustellen. Angeblich sollte es sich um eine zeitlich eng begrenzte Operation handeln, die sich ausschließlich gegen die TPLF und in keiner Weise gegen die Zivilbevölkerung Tigrays richten sollte.

Am 28. November hat Abiy Ahmed Ali in einer Sitzung gesagt: Der Krieg in Tigray sei vorbei, es gebe keine Kämpfe mehr, und kein einziger Zivilist sei gestorben. Die Beteiligung eritreischer Truppen in Tigray wird von Abiy Ahmed Ali bis heute vehement abgestritten, und der Krieg wird für beendet erklärt.

Soweit die Behauptungen und die Regierungspropaganda, die Realität in Tigray ist eine völlig andere.

Der Krieg richtet sich gegen vor allem gegen die Zivilbevölkerung

Ungeachtet aller Versuche der äthiopischen Regierung die Region abzuschotten, dringen mittlerweile immer mehr regierungsunabhängige Informationen an die Öffentlichkeit. Obwohl man davon ausgehen muss, dass bisher nur ein sehr kleiner Teil von dem bekannt geworden ist, was sich in Tigray seit dem Einmarsch abgespielt hat, ergibt sich bereits jetzt ein erschütterndes Bild, das die eingangs aufgeführten Behauptungen der Regierung Abiy Ahmed Ali Lügen straft.

Vielfach belegt ist mittlerweile die massive Beteiligung von Truppen des Nachbarlandes Eritrea am Krieg in Tigray. Außerhalb Äthiopiens und Eritreas gibt es niemanden, der diese Tatsache bestreitet. Selbst die von Abiy Ahmed Ali eingesetzte Interimsregierung in Tigray kommt nicht umhin, die eritreische Präsenz zuzugeben und spricht von Gräueltaten seitens der Invasionsstreitkräfte.

Seit vier Monaten dauern die Kämpfe mittlerweile an. Damit ist Abiy Ahmed Alis Einschätzung, es handele sich um eine zeitlich begrenzte Operation, sowie die Behauptung von 28. November, dass die Operation nun beendet sei, weit von der Realität entfernt.

Die Aussage, dass sich der Krieg nicht gegen die Zivilbevölkerung richte, wirkt angesichts dessen, was bisher bekannt und belegt ist, geradezu grotesk.

Der Krieg, der von der äthiopischen Zentralregierung, von fanatischen amharischen Milizen und von eritreischen Truppen geführt wird, richtet sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Dabei wird immer deutlicher, dass es nicht nur um den einen oder anderen zivilen Kollateralschaden am Rande von Kämpfen bewaffneter Einheiten geht, sondern es scheint Abiy Ahmed Ali um die systematische Zerstörung von Leben, Lebensgrundlagen und Würde der Bevölkerung Tigrays zu gehen.

Die Ernten werden verbrannt, das Vieh wird geschlachtet oder weggetrieben, die Fabriken werden geplündert, Krankenhäuser, Universitäten und Schulen werden zerstört. So wurden 87% aller Krankenhäuser in Tigray zerstört oder geplündert.

Alte Rechnungen und systematische Gewalt gegen Frauen

Mit der vollständigen Zerstörung Tigrays können alte Rechnungen beglichen werden, die vonseiten des eritreischen Diktators und von Seiten amharischer Nationalisten gegenüber Tigray und der TPLF bestehen. Darüber hinaus soll anscheinend für alle Zeiten verhindert werden, dass Tigray jemals wieder eine bedeutende Rolle in Äthiopien spielen kann - eine dominierende Rolle, von der die Amharen seit jeher glauben, dass sie ihnen und nur ihnen zusteht.

Mehr und mehr wird von Massakern an Zivilisten berichtet. In Axum wurden Massengräber durch Satellitenbilder dokumentiert. Auch wurde in dieser für Christen heiligen Stadt Kirchen und alte Kulturgüter geplündert und zerstört.

Durch das Verbrennen der Felder und die Zerstörung jeglicher landwirtschaftlicher Produktionsmittel wird Hunger als Waffe gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Verschärft wird dies zusätzlich dadurch, dass weiterhin humanitäre Hilfe aus dem Ausland für die Menschen in Tigray blockiert wird.

Dabei werden zunehmend Menschen, die versuchen verzweifelt in den Sudan zu fliehen, an der Flucht gehindert.

Eine besondere Dimension nimmt die systematisch gegen Frauen eingesetzte Gewalt ein. Die Gewalt gegen Frauen beschränkt sich nicht nur auf systematische Vergewaltigungen, oft durch mehrere Soldaten, sondern sie ist häufig auch verbunden mit unmenschlichster Folter. So wurden junge Mädchen, wenn sie sich sträubten, schwer verwundet. Manchen Frauen mussten anschließend Gliedmaßen amputiert werden. Anderen Frauen wurden Steine und Nägel eingeführt.

Medizinische Operation an Frauen, die diese Torturen überlebt haben, sind durch Videos belegt. Sehr viele Überlebende beschuldigen vor allem eritreische Soldaten solcher Verbrechen, aber auch amharische Milizen vergewaltigen systematisch. Frauen berichten von Aussagen amharischer Milizionäre, die nach vollzogener Vergewaltigung zynisch mitteilten: "Nun bist du amharisiert".

Im Zuge der Kampfhandlung haben nicht nur eritreische Truppen große Teile Tigrays besetzt, sondern auch die tigraischen Bezirke Welkait, Tegede, Humera, Telemte und Raya wurden von amharischen Nationalisten besetzt. Die dort ansässige Bevölkerung wurde anschließend von den amharischen Milizen brutal vertrieben. Amharische Nationalisten erklärten diese besetzten Gebiete würden nun zu Amhara gehören.

Seitens der Regierung Abiy Ahmed Ali wurde bereits Zustimmung für dieses Vorhaben signalisiert und demnächst wird das durch seine Regierung endgültig entschieden. Es kann vermutet werden, dass es auch geheime Absprachen mit Eritrea gibt, in denen Abiy Ahmed Ali dem eritreischen Diktator Isaias Afewerki zugesteht, Gebiete in Tigray zu annektieren.

Tigray wird aufgeteilt, und den überlebenden Teil der Menschen im Restgebiet von Tigray hofft man so weit zu demoralisieren und einzuschüchtern, dass Ruhe einkehrt und jeder Widerstand gebrochen wird.

Abiy Ahmed Ali hat wiederholt den von den Vorgängerregierungen unter Führung der TPLF eingeführten multinationalen Föderalismus mit relativer Unabhängigkeit der Bundesstaaten kritisiert und ein "einheitliches" Äthiopien gefordert. Faktisch verschärft Abiy Ahmed Ali durch seine massive Unterdrückung gegenüber nahezu allen Ethnien allerdings die ethnischen Spannungen. Er stützt sich dabei mehr und mehr nur auf die Amharen und deren Dominanzstreben gegenüber allen andern Bevölkerungsgruppen Äthiopiens.

Ein "einheitliches" Äthiopien nach seinem Verständnis bedeutet keineswegs eine gleichberechtigte Teilhabe aller Äthiopier - gleich welcher Ethnie - sondern ein zentralistisches Äthiopien unter seiner Führung und unter der Führung der amharischen Nationalisten.