MPK – das Ministerpräsidenten-Komplettversagen

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute die Notbremse in der Notbremsung gezogen. Was das bedeutet. Ein Kommentar

Natürlich muss man in der andauernden Corona-Pandemie erst einmal nachsichtig mit den Verantwortungsträgern in Bund und Ländern umgehen: Eine epidemische Lage von nationaler Tragweite, wie es im entsprechenden Gesetz heißt, ist für die Regierenden und Regierten in der Bundesrepublik zunächst einmal neu.

Dennoch muss man davon ausgehen dürfen, dass "die Politik" – als ob es sich um ein nicht greif- oder adressierbares Gebilde handeln würde – ihren Kernaufgaben ein Jahr nach Eintreten dieser Krisensituation endlich gerecht wird: die Gesundheit der Menschen schützen, die Grundrechte wahren, Rechtssicherheit herstellen.

Nichts davon hat der Beschluss der letzten Bund-Länder-Konferenz geleistet. Ganz im Gegenteil verstricken sich die Regierungen im Bund und den Bundesländern immer weiter in Willkür bei den Maßnahmen, Inkompetenz bei deren Begründung und Ignoranz mit Blick auf die immer deutlicher zutage tretenden Lockdownfolgen im Privaten, dem gesellschaftlichen Miteinander und der Wirtschaft.

Nun hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) also die politische Notbremse in der pandemischen Notbremsung gezogen. Sie habe sich zu einem kurzfristig anberaumten Pressetermin entschlossen, "weil ich heute Vormittag entschieden habe, die notwendigen Verordnungen für die am Montag vereinbarte zusätzliche Osterruhe, also die Ruhetage am Gründonnerstag und Karsamstag, nicht auf den Weg zu bringen, sondern sie zu stoppen".

Der Grund war im politischen Berlin schon seit Dienstagfrüh vielfach diskutiert worden: Die Beschlüsse aus der Nacht von Montag auf Dienstag zur Schließung von Handel und öffentlichem Leben wären juristisch schlichtweg nicht durchsetzbar gewesen.

Kurz noch hatte man in den zuständigen Ressorts die Möglichkeit einer Notgesetzgebung zur Ad-hoc-Einführung zusätzlicher Ruhe- oder Feiertage geprüft, dann aber abgewinkt. Will heißen: Die politische Launenhaftigkeit des verfassungsrechtlich fragwürdigen Bund-Länder-Gremiums ist so weit gediehen, dass die Exekutive die eigenen Beschlüsse schon nicht mehr durchzusetzen bereit ist. Auch das ist ein Novum in der Geschichte dieses Landes.

Widersprüche der Corona-Politik und schädlicher Lobbyismus

Effektiv wäre eine zusätzliche "Osterruhe" eh nicht gewesen. Eine Schließung des Handels hätte bedeutet, dass sich am Mittwoch und Samstag Menschenmassen vor und in den betroffenen Länden gestaut hätten. Auch wenn der entsprechende Beschluss "mit bester Absicht", so Merkel, gefasst wurde, zeigt er, wie schlecht das Krisenmanagement nach wie vor ist.

Die Äußerungen der Beteiligten tun das Übrige. "Ich weiß, jetzt werden wieder einige schreien, die das hören und sagen 'Uns geht's doch ohnehin schon schlecht, da machen wir gerade Umsatz'", hatte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) als Vorsitzender der Ministerpräsidentinnen- und Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) die nun gekippten Beschlüsse zu zusätzlichen Schließungen kurz zuvor noch verteidigt. Es handele sich ja nur um wenige zusätzliche Tage, so Müllers Argumentation.

Weshalb diese wenigen Tage zugleich aber die dritten Infektionswelle hätte brechen sollen, diese Antwort blieb der Sozialdemokrat schuldig. Weil er sie nicht hat. Weil die Beschlüsse auf keiner validen Datengrundlage und damit wissenschaftlicher Erkenntnis beruhen. Weil sie daher willkürlich sind.

Zum Unmut über das jüngste Krisenmanagement trägt auch bei, dass die Einschränkungen zunehmend von Lobbygruppen unterlaufen werden. Es ist schlichtweg nicht nachvollziehbar - auch diese Erkenntnis stellt sich selbst unter politischen Entscheidungsträgern zunehmend ein -, dass über Ostern Ferienflieger nach Mallorca starten, während die Mehrheit der Menschen in diesem Land, die sich das nicht leisten wollen oder können, zu Verzicht aufgerufen werden.

Politikversagen im Superwahljahr

Unerklärlich auch die Debatte über Gottesdienste. Mit Verve sprach sich Innenminister Horst Seehofer gegen die Bitte (!) der MPK an die Kirchen aus, von Gottesdiensten Abstand zu nehmen. "Mein Haus hat diesen Vorschlag auch nicht gemacht, obwohl wir für die Religionen zuständig sind", sagte der Christsoziale - und machte damit ein zunehmendes Problem deutlich.

Im Superwahljahr 2021 wird auf politischer Ebene zunehmend mit Blick auf die jeweilige Wählerklientel entschieden werden. Nicht mehr mit Blick auf die wie auch immer geartete Überwindung einer wie auch immer gearteten Pandemie.

Zur Gegenprüfung muss man fragen: Wie groß ist die Gruppe der Mallorca-Urlauber, dass dies in Relation zur Gesamtbevölkerung die Aufnahme von Flugverkehr und einer damit möglicherweise einhergehenden erneuten Zuspitzung des Infektionsgeschehens gerechtfertigt wäre?

Und wie groß ist die Gruppe der Kirchgänger? 2018 schon haben nicht einmal mehr ein Viertel der Christen in Deutschland – damals noch 60 Prozent der Bevölkerung – regelmäßig einen Gottesdienst besucht; die Tendenz beider Größen ist dabei im Sinken begriffen.

Man kann an dieser Stelle wohl mit Fug und Recht konstatieren, dass der psychischen Gesundheit einer Mehrheit der Bevölkerung der wieder erlaubte Besuch eines Gartenlokals zuträglicher wäre als die Anbetung eines Folteropfers.

All das zeigt – und das ganz unabhängig von vielen anderen offenen Fragen zu Mortalität, dem Schutz vulnerabler Gruppen oder dem Impfdesaster – unsere große Schwäche in dieser Jahrhunderpandemie: die Regierungen und ihr Unvermögen, adäquate und vermittelbare Antworten zu geben. Das ist Politikversagen in natura.

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