EU und Türkei: Lob und Tadel für den Grenzwächter

Nach 19 Jahren mit "Vorbereitungen" fertig? Der türkische Staatschef Erdogan 2008 in Çanakkale. Foto:Randam /CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0

Merkel stellt pünktlich zum EU-Gipfel klar, dass der Flüchtlingsdeal mit dem AKP-Regime "weiterentwickelt" werden muss

Eine Woche nach der Einleitung des Verbotsverfahrens gegen die zweitgrößte Oppositionspartei in der Türkei und wenige Tage nach dem Austritt des Landes aus der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) genau der richtige Zeitpunkt, um für eine Vertiefung der Beziehungen zwischen EU und Türkei zu werben.

Es sei eine gute Nachricht, dass die Türkei nach "provozierenden Aktivitäten in den griechischen Gewässern" in den vergangenen Monaten ein Zeichen der Deeskalation gesetzt und mit Griechenland wieder in den Dialog getreten sei, sagte Merkel am Vormittag in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag werde die Weiterentwicklung der Beziehungen eine wichtige Rolle spielen, sagte Merkel. "Das werden keine einfachen Gespräche, aber ich hoffe, dass wir zu einem Ergebnis kommen." Die Türkei sei nicht nur Nato-Partner und Verbündeter, sondern auch unmittelbarer Nachbar der Europäischen Union.

Deutschland habe besonders enge Beziehungen zur Türkei, müsse deshalb aber auch erwarten können, dass das Land rechtsstaatliche Standards einhalte, erklärte die Kanzlerin, bevor sie auf die realen Verhältnisse einging: Menschenrechte würden dort "in vielen Fällen" nicht respektiert, räumte sie ein. Es sei auch ein "sehr, sehr bedauerliches Zeichen", dass die Türkei am Wochenende aus der Istanbul-Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung Gewalt gegen Frauen ausgetreten sei, sagte die einst von der feministischen Zeitschrift Emma gefeierte erste deutsche Kanzlerin. Dennoch warb Merkel für Dialog mit der Türkei, da "Sprachlosigkeit" hier nicht weiterhelfe.

AKP will jetzt erst richtig loslegen

Wohin für die türkische Regierungspartei AKP die Reise gehen könnte, das wird zur Zeit in türkischsprachigen Medien anhand einer verstörenden Äußerung des stellvertretenden AKP-Chefs Mahir Ünal diskutiert. "Es hat 19 Jahre gedauert, bis wir unsere Vorbereitungen abgeschlossen haben, jetzt fange wir an", hatte Ünal Anfang der Woche erklärt.

Für Oppositionelle und säkulare Frauen im Land kann diese Ankündigung der rückwärts gewandten islamischen Regierungspartei nur wie eine Drohung klingen, während das Verbotsverfahren gegen die Demokratische Partei der Völker (HDP) läuft und kurz nachdem die Gewaltschutzstandards der Istanbul-Konvention per Dekret aufgekündigt wurden. Manche dürften sich auch an ein Gedicht erinnert fühlen, aus dem der heutige Staatspräsident Recep Tayipp Erdogan Ende der 1990er Jahre als Istanbuler Bürgermeister zitiert hatte: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten."

"Besondere Herausforderung der Migration"

Die deutsche Bundeskanzlerin machte am Donnerstag allerdings deutlich, dass sie an Erdogan vor allem als Wächter an der EU-Außengrenze interessiert ist - und dass aus ihrer Sicht auf keinen Fall der Flüchtlingsdeal mit der Türkei platzen darf. Das vor fünf Jahren geschlossene Abkommen müsse "weiterentwickelt" werden, weil "die besondere Herausforderung der Migration" nur gemeinsam mit der Türkei gelöst werden könne, befand Merkel. Schließlich sei mit diesem Abkommen trotz aller Kritik "viel Gutes" erreicht worden - zum Beispiel sei es gelungen, die Zahl der illegalen Grenzübertritte nach Griechenland und der Todesopfer in der Ägäis zu senken.

Die Türkei habe Stand heute 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen, das entspreche der Einwohnerzahl Berlins, betonte Merkel. Auch Geld, das die EU der Türkei zahle, sei gut angelegt, weil es Bedürftigen zugute komme, betonte die Kanzlerin. Die Fortführung dieser Zusammenarbeit sei "im beiderseitigen Interesse".

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) gab Merkel und der Europäischen Union eine Mitschuld "an der politischen Verfolgung von Demokratinnen und Demokraten in der Türkei", da die Bundesregierung und die EU Erdogan fortlaufend unterstützt hätten und dies immer noch täten. "Wortreiche Kritik reicht nicht, überfällig sind Taten", erklärte die Obfrau ihrer Fraktion im Auswärtigen Ausschuss am Donnerstag. "Die Waffenlieferungen und Wirtschaftshilfen für den türkischen Präsidenten müssen ausnahmslos beendet werden."

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