Mindert Cannabis wirklich die Arbeitsleistung?

Unionsparteien und AfD warnen vor den Folgen des Konsums. US-Studie erkundet, was passiert, wenn Berufstätige legalen Zugang zu Cannabis als Genussmittel erhalten

Was passiert, wenn über 40-jährige Arbeitnehmer plötzlich legalen Zugang zu Cannabis als Genussmittel haben? Eine Studie aus Amerika hat untersucht, ob eine Legalisierung einen unmittelbaren Einfluss auf den allgemeinen Krankenstand in dieser Kohorte hat. Die überraschenden Ergebnisse werfen Fragen auf, wo die Grenze liegt zwischen Cannabis als Genussmittel, Cannabis als Instrument der Anpassung und Cannabis als Medizin.

Wenn man den Einfluss einer Legalisierung von Cannabis auf die Arbeitsleistung untersuchen will, sind Arbeitnehmer im Alter von 40 Jahren bis zum Eintritt in den Ruhestand eine besonders interessante Kohorte. Sie sind Teil derjenigen, die nach einer Legalisierung statistisch signifikant mehr Cannabis konsumieren.

Es handelt es sich auch um eine Kohorte, in der sich bis zum Ruhestand diverse Krankheiten mehr und mehr häufen. Einer der Hauptgründe für die Rente ist, dass Arbeitnehmer ab einem gewissen Alter sowieso im Schnitt zu krank sind, bzw. anderweitig nicht mehr die für ein normales Berufsleben notwendige Leistung erreichen.

Jetzt ist es aber so, dass der Konsum von Cannabis weithin mit einer allgemein erniedrigten Leistungsfähigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisproblemen, motorischen Störungen, Herz-Kreislauf-Problemen, Übelkeit und psychischen Problemen wie Depressionen oder Psychosen assoziiert ist. Indirekt könnte sich durch Cannabiskonsum zudem die Gefahr für Arbeitsunfälle erhöhen.

Wurde also durch die Legalisierung von Cannabis in diversen Bundesstaaten der USA eine gesundheitlich sowieso schon angeschlagene Kohorte zu selbstschädigendem Verhalten verführt, was ihr noch weiter zugesetzt hat?

Gerade aus den Reihen der CDU/ CSU und AfD wird immer wieder auf die gesundheitlichen Folgen des Cannabiskonsums mehr oder weniger wissenschaftlich korrekt hingewiesen.

Der Krankenstand in Deutschland steigt und steigt, die Deutschen sind kränker denn je, und gerade jetzt haben gleich mehrere Parteien für die anstehende Bundestangswahl eine Legalisierung des Freizeitkonsums von Cannabis ins Wahlprogramm aufgenommen, mit möglicherweise fatalen Folgen für die Arbeitsleistung.

Renaissance der medizinischen Anwendung

Nun ist es aber so, dass Cannabis nicht nur zu Rauschzwecken eingesetzt werden kann, sondern auch zu medizinischen Zwecken. Im 19. Jahrhundert wurde Cannabis bei einer breiten Palette an Krankheiten eingesetzt. Im Zuge der zunehmenden Kriminalisierung im 20. Jahrhundert ging dieses Wissen Stück für Stück verloren, so dass man sich 1961 sogar darauf einigte, Cannabis als einzige Substanz neben Heroin und diversen Opioiden in den Schedule IV der Single Convention on Narcotic Drugs zu setzen.

Das bedeutete, dass Cannabis entweder keine medizinische Wirkung hätte oder diese derart gering sei, dass die Schäden durch Rauschkonsum den medizinischen Nutzen mehr als aufwiegen würden. Nicht einmal Kokain oder Crystal Meth wurde derartiges Schadenspotential nachgesagt.

Doch mit der Entdeckung des menschlichen Endocannabioidsystems Ende der Achtzigerjahre konnte diese Einschätzung endgültig nicht mehr aufrechterhalten werden und seither erlebt die medizinische Anwendung von Cannabis eine Renaissance. Auch in Deutschland können vereinzelt Patienten, die strikte Voraussetzungen erfüllen, medizinisches Cannabis erhalten.

"Cannabis-Hype" in der Schmerztherapie

Der Bedarf scheint dabei weit über dem Angebot zu liegen, was dazu führte, dass eine Arbeitsmedizinerin aus München einen sorgenvollen Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung schickte, wonach es momentan einen Cannabis-Hype gebe und dass bis zu 40 Prozent der Anmeldungen in der Schmerztherapie momentan junge Männer seien, die nach einer Verordnung von medizinischem Cannabis fragen würden, wo doch nur "einige wenige" Schmerzpatienten von dieser Therapie profitieren würden, die zahlreichen Ratsuchenden aber möglicherweise etwas anderes bräuchten als "eine weitere Substanz".

Für Menschen, die sich z.B. Linderung ihrer Schmerzen wünschen, würde legalisiertes Cannabis bedeuten, dass sie Zugang zu einem weiteren rezeptfreien Schmerzmittel haben, das sie ohne vorhergehende Konsultation eines Arztes erwerben und einnehmen können. Alternativ könnte man auch sagen, dass eine Legalisierung von Cannabis eine weitere Form des Medikamentenmissbrauchs ermöglicht.

Der Freizeitkonsum: Messung eines "Schocks"

Die Autoren eines Working Papers des National Bureau of Economic Research in Cambridge, Massachusetts, gehen der Frage nach, welche Auswirkung eine Legalisierung des Freizeitkonsums von Cannabis auf die Arbeitsfähigkeit amerikanischer Arbeitnehmer im Alter von 40 bis 62 Jahren hatte. Als Indikator wird die Inanspruchnahme von "Worker Compensation benefits" genommen. Dabei handelt es sich um Zahlungen an Arbeitnehmer, die entweder aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit ihre Arbeit für einen Zeitraum unterbrechen müssen, um wieder zu genesen.

Die Forscher stellen nun die These auf, dass die Legalisierung des Freizeitkonsums von Cannabis einen messbaren Einfluss auf diese Maßzahl für den allgemeinen Krankenstand haben könnte. Es wird dabei sogar von einem "Schock" gesprochen, dem die Arbeitskräfte ausgesetzt sind.

Als Beispiel für einen solchen Schock wird das Entfernen von breit genutzten Medikamenten vom Markt genommen. So wurde beispielsweise in den USA im Jahr 2004 der selektive COX-2-Hemmer Vioxx vom Markt genommen, was die Wahrscheinlichkeit zu arbeiten um 10 Prozent senkte. In Norwegen soll der Effekt noch stärker messbar gewesen sein.

Um die Auswirkungen eines Cannabis-Schocks zu messen, eignen sich die Vereinigten Staaten relativ gut, da dort in verschiedenen Bundesstaaten zu verschiedenen Zeiten legalisiert wird. Die Forscher setzen als Zeitraum, in dem der postulierte Schock Wirkung zeigen könnte, ein Jahr an.

Unerwartete Ergebnisse

Die Wahrscheinlichkeit, Krankengeld in Anspruch zu nehmen, sank in der Kohorte im Schnitt um 20 Prozent nach Einführung von Gesetzen zur regulierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene. Auch die Höhe der Angenommenen Hilfsgelder sank um ca. 20 Prozent. Parallel dazu stieg der Cannabiskonsum in der untersuchten Kohorte im Bereich von ca. 20-40 Prozent an (hier wird auf verschiedene Datensätze zurückgegriffen, die weniger trennscharf im untersuchten Altersbereich sind).

Dieser Anstieg des Konsums führte allerdings nicht zu einem Anstieg der Cannabis-Suchterkrankungen, dort fand sogar ein leichter, wenn auch statistisch nicht signifikanter Rückgang statt. Bei Suchterkrankungen aufgrund von Schmerzmitteln, die bei chronischen Schmerzen verschrieben werden, erfolgte ein Rückgang um 7,2 Prozent, was darauf hindeutet, dass gefährlichere Schmerzmittel durch Cannabis ersetzt werden.

Die Autoren der Studie interpretieren die Ergebnisse dahingehend, dass der "Gebrauch, aber nicht der Missbrauch" in der untersuchten Altersklasse angestiegen sei. Demnach scheint ein Gebrauch dann vorzuliegen, wenn durch die Einnahme keine Schäden an der Arbeitslesitung entstehen.

Auch die Anzahl der Verletzungen am Arbeitsplatz sank nach der Einführung von Cannabis zum Freizeitkonsum um durchschnittlich 5,4 Prozent. Diese Änderung könnte auch darauf hinweisen, dass nach einer Legalisierung von Cannabis mehr Arbeitsplätze in Bereichen mit einer geringen Unfallwahrscheinlichkeit entstehen, da hier ein ganzer neuer Industriezweig entsteht. Auch könnten durch die vielen neuen Arbeitsplätze die bisherigen Arbeitgeber gezwungen sein, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Laut den Autoren können beide Effekte die Reduktion bei Unfällen und Krankenstand nicht erklären. Auch die Möglichkeit, dass die Veränderungen durch Migration von Arbeitnehmern aus repressiven Bundesstaaten und Staaten mit Legalisierung entstanden sind, können die Autoren ausschließen.

Stärkere Wirkung auf die Gesundheit älterer Arbeitnehmer

Es scheint also so zu sein, dass die Nutzung von Cannabis in der untersuchten Kohorte hauptsächlich (selbst-)medizinischer Natur ist. Würde es dann nicht reichen, Cannabis ausschließlich für den medizinischen Gebrauch zu legalisieren, wie es zum Beispiel aktuell in Deutschland der Fall ist? Die Autoren verweisen dabei auf Studien, wonach die Einführung von Gesetzen zum medizinischen Einsatz von Cannabis bei Älteren Arbeitnehmern eine Reduktion des Krankenstands von ca. 13 Prozent zur Folge hatte.

Eine Legalisierung zum Freizeitkonsum scheint also eine stärkere Wirkung auf die Gesundheit älterer Arbeitnehmer zu haben als eine Legalisierung zu rein medizinischen Zwecken. Dies könnte damit zu tun haben, dass bei einer Legalisierung von Medizinalcannabis unterschiedlich hohe Hürden aufgebaut werden, was den Kreis der Rezipienten merklich einschränkt und möglicherweise zu einer Unterversorgung führt. In Amerika sind die Hürden zum Erhalt von medizinischem Cannabis zwar von Bundeststaat zu Bundestaat unterschiedlich, aber zumeist immer noch deutlich niedriger als hierzulande.

Oder existiert hier ein Graubereich zwischen medizinischer Nutzung und Cannabis als Instrument, um mittels Selbstmedikation bei Leiden zu helfen, noch bevor man den Arzt aufsucht? Zu den neun Zwecken, die in dem Artikel angesprochen werden, darunter Selbstmedikation psychischer Störungen, könnte ein zehnter hinzugefügt werden: Selbstmedikation von Schmerzen.

Und es stellt sich die Frage, ob man älteren Menschen etwas vorenthalten sollte, das ihnen Linderung ihres Leidens verschaffen könnte, nur weil die Möglichkeit besteht, dass dadurch junge Menschen ebenfalls daran gelangen und sich damit Schaden zufügen könnten? Wobei wir hierzulande in der Situation sind, dass die Jungen den Alten ihre Medizin ja gönnen würden, es aber gerade die älteren sind, die eine Legalisierung mehrheitlich ablehnen.

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