Deutsche Bahn: Umweltfrevel ohne Not

Gar nicht mal so umweltfreundlich: IC der Deutschen Bahn im Münchner Hauptbahnhof. Foto: Robot8A / CC BY-SA 4.0

Diesel, Atomstrom, Vollgas im Tunnel und sehr viel Beton: Das Desaster der Deutschen Bahn ist kein Versehen. Auch der Staat als Eigentümer setzt falsche Prioritäten

In seinem Buch "Schaden in der Oberleitung" zeigt Arno Luik, langjähriger Stern-Autor und profilierter Bahn-Kenner, das komplette Desaster detailliert auf. Ein Auszug.

Die Bahn brüstet sich seit vielen Jahren damit, dass sie ein klasse grünes Unternehmen sei, "unsere Loks gewöhnen sich das Rauchen ab", dieser Werbeslogan der Deutschen Bundesbahn von 1968 begründete das schöne Image der umweltfreundlichen Bahn, das sie bis heute aufwändig pflegt: "Bahnfahren ist Umweltschutz". Das ist in den Köpfen der Bundesbürger drin. Man glaubt es gern, auch das vielleicht noch: "Wir wollen Umweltvorreiter werden und setzen dafür Maßstäbe in allen Bereichen. So fahren heute bereits rund 140 Millionen Reisende im Fernverkehr mit 100 Prozent Ökostrom."

Mit dem Bahnfahren, das suggerieren die Imagekampagnen des Konzerns, rettet man das Klima. Die Bahn schafft, woran die Politik so kläglich versagt: die Energie- und Verkehrswende. Der Eisbär auf seiner schmelzenden Eisscholle muss diesem Klimaretter dankbar sein. Tatsächlich?

Die Bahn AG ist Deutschlands größter Stromverbraucher, sie benötigt im Jahr mehr Strom als die Metropole Berlin. Um die Züge ins Rollen zu bringen und zu halten, verbraucht der Konzern um die 18 Milliarden Kilowattstunden. Ihr Fernverkehr, sagt die Bahn stolz, fährt mit Ökostrom. Allerdings: Der Fernverkehr ist die fast kleinste Sparte im Konzern. Und der dort konkret verbrauchte Ökostrom kann sehr wohl Strom aus Atomkraftwerken sein. Ökostrom für die Fernzüge heißt lediglich: Die Bahn kauft genau so viel elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen ein, wie sie im angeblich so sauberen Fernverkehr verbraucht.

Mitbesitzerin des AKW Neckarwestheim

Außerdem ist die Bahn, worüber sie nicht so gern spricht, Mitbesitzerin eines Atomkraftwerks, des AKWs Neckarwestheim, das zu den größten Kraftwerken Deutschlands gehört, uralt und einer der gefährlichsten Atommeiler in Deutschland ist - Risse in Rohren und Störfälle (über 500 seit der Inbetriebnahme 1976) sorgen immer wieder für Angst bei Anwohnern. Vor ein paar Jahren kommentierte Tobias Riedl, Atomexperte bei Greenpeace, dieses Greenwashing des DB-Konzerns so: "Die Bahn inszeniert sich gern als umweltfreundliches Unternehmen, doch in Wahrheit ist sie eine Atombahn."

Und vielleicht muss man auch daran erinnern: Im August 2010, nur wenige Monate bevor es in Fukushima zum atomaren Super-Gau kam, war Bahnchef Rüdiger Grube einer der 40 Erstunterzeichner des "Energiepolitischen Appells" deutscher Manager, die sich öffentlich für eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken stark machten.

Der Super-Gau im März darauf in Fukushima brauchte die Lobbyisten in Begründungsnot, Grube reagierte: "Für eine Übergangszeit wird es ganz ohne Kernenergie nicht gehen." Aber bei der Bahn fehlt das für das 21. Jahrhundert Selbstverständlichste: Nicht mal 60 Prozent des Schienennetzes sind elekrifiziert, und es fehlt auch der Wille, dies zu ändern: Von 2005 bis 2010 stieg der Anteil der elektrifizierten Strecken um gerade mal 0,4 Prozent pro Jahr.

Und auch der Eigentümer, der Staat, forciert das Selbstverständliche nicht. Er unterstützt vielmehr Fragwürdiges: Die Autobahnen sind total überlastet, aber die Bundesregierung steckt ziemlich viel Geld in Zug-Imitationen - LKWs mit Stromoberleitungen. Was nicht nur unästethisch aussieht, sondern auch ökologisch fragwürdig ist und garantiert keinen Stau verhindert. Und überdies die Autobahnen demoliert: Ein LKW belastet die Straße so sehr wie 100 000 PKWs. Aber egal, auf Teufel komm raus muss man im Autoland offenbar am LKW festhalten.

Für E-Laster ist Geld da

Und: DB Schenker macht mit bei diesen Versuchen, die garantiert nicht mehr Fracht auf die Schiene bringen: Im schwarz-grünen Hessen rollen seit Mai 2019 auf der A5 bei Langen/Mörfelden die ersten elektrisch betriebenen Lastwagen. Diese E-Laster docken - ähnlich wie Züge auf Gleisen - an die Oberleitungen an. Ärgerlich: Seit Jahren soll parallel zu dieser LKW-Testbahn eine Zugstrecke ausgebaut werden - was bisher an Geldmangel gescheitert ist. Aber für diese Güterzugimitationen auf Gummirädern gibt es Geld aus der Staatskasse - 14,6 Millionen Euro.

Und auch im schwarz-grün-gelben Schleswig-Holstein gibt es nun eine Teststrecke für E-Lastwagen. Sie ist fünf Kilometer lang, alle paar Meter stehen klobige Masten, in einer Höhe von ein paar Metern hängen die Stromdrähte über der Autobahn. 19 Millionen Euro lässt sich der Bund diesen Unfug kosten, für den eine Fahrspur geopfert wird. Im grün-schwarzen Baden-Württemberg geschieht etwas besonders Verrücktes: Dort soll auf einer Bundesstraße die Tauglichkeit für Ortsdurchfahrten geprobt werden. Insgesamt 50 Millionen Euro steckt das Bundesumweltministerium in diese LKW-Tests mit Stromoberleitungen.

Der Bund der Steuerzahler ist in der Vergangenheit eher selten durch kluge ökologische Gedanken aufgefallen. Aber diese Tests findet auch dieser Verein mehr als sonderbar, auf jeden Fall sei es rausgeworfenes Geld. "Es wäre besser, das Geld in den Ausbau des Schienennetzes zu stecken", sagt Rainer Kersten, der Landesgeschäftsführer von Schleswig-Holstein: "Ein leistungsfähigerer Schienengüterverkehr auf elektrifizierten Strecken würde den Ausstoß von Kohlendioxid stärker reduzieren und die Straßen nachhaltiger entlasten."

Aber das Geld für die Elektrifizierung von richtigen und wichtigen Bahnstrecken, etwa für den Ausbau der Strecke Chemnitz - Leipzig oder für die international wichtige Verbindung Nürnberg - Prag: Dieses Geld fehlt. Oder es wird irgendwo anders verplempert. Übrigens: Auf der tschechischen Seite gibt es bis zur Grenze Strom für die Züge, schon seit Jahren. Die Bahn ist nicht nur atomfreundlich, sie ist auch ein Dieseljunkie: Fast 2 500 Triebwagen und Lokomotiven mit Dieselmotoren rollen durch Deutschland, das ist ein Drittel des DB-Fuhrparks, und die meisten von ihnen sind mit einer Uralt-Abgastechnik ausgestattet, die sich an den Schadstoffwerten von 1999 orientiert: echte Dreckschleudern. Diese Loks sind ohne Dieselrußpartikelfilter unterwegs, sie müssten - wie die Dieselautos - nachgerüstet werden, modernisiert, am besten abgeschafft werden, aber da geschieht nichts.

Monolog des Lokführers Karl

"Ich bin jetzt seit 25 Jahren bei der Bahn, und in der Zeit sind so viele Bahnhöfe zerfallen, Strecken zurückgebaut, die Infrastruktur verscherbelt worden. Du stehst in deinem Führerstand und siehst allüberall den Zerfall. Das deprimiert dich. Mit einem hat unser Bahnchef Lutz recht: Wenn du unter Depressionen leidest, kannst du nicht bei der Bahn arbeiten. Du hast das Gefühl, in einer Firma zu arbeiten, die in der Abwicklung ist. Das kann dich schon krank machen. Es nimmt dir auf jeden Fall die Freude, Lokführer zu sein. Heute war wieder ein Scheißtag! Kaum etwas hat funktioniert, die Klimaanlage in meinem Führerstand ist ausgefallen, die riesige Frontscheibe hat sich wahnsinnig erhitzt, ich hab nur geschwitzt! Es macht echt keinen Spaß mehr! Ich sehne mich jeden Tag nach meiner Rente. Wir fahren auf der letzten Rille.

Jetzt wollen sie wieder Überholgleise, Ausweichgleise, danach rufen alle jetzt in Berlin. Ich könnte aufschreien vor Wut. Da haben sie jahrelang so viel Bahngelände verhökert - es ist einfach weg, für immer. Wo mal Schienen waren, sind jetzt Einkaufsmärkte, Bürohochhäuser. Es ist gar nicht mehr möglich, die notwendige Infrastruktur wiederzubeleben. Es ist gar nicht mehr möglich, nach Fahrplan zu fahren, und so wird es noch ewig lang bleiben.

Da heißt es ja immer: Die Strecken sind aus- und überlastet. Deswegen hat der ICE Verspätung. Ja, verdammt nochmal, warum? Weil man Ausweich- und Überholgleise und Weichen rausgerissen hat. Da fährt ein langsamer Güterzug, hinter ihm zuckelt ein ICE. Der Güterzug ist 600 Meter lang, zu lang für das kurze Nebengleis, und die nächste Überholung gibt es nicht mehr, und bei der übernächsten fehlt die Weiche. Dann heißt es für die Kunden: "Störung im Betriebsablauf!" Aber diese Störung verdanken Sie Herrn Mehdorn und Herrn Grube und dem Herrn Verkehrsminister und dem Verkehrsausschuss in Berlin.

Die Reisenden verzweifeln. Aber die Bahndisponenten vor ihren Schirmen verzweifeln erst recht. Die Bahn wirbt derzeit so für sie: »In erster Linie besteht die Herausforderung in diesem Beruf darin, den reibungslosen Betriebsablauf zu gewährleisten. Du planst Verkehrsleistungen nicht nur, sondern bist auch für dessen Durchführung, Überwachung sowie Nachbereitung verantwortlich.« Dieses kumpelhafte »du« hilft den Disponenten gar nichts: Sie können die Züge nicht übereinander fahren lassen, sie können die Züge auch nicht überholen lassen, wenn dem Bahnsystem das fehlt, was überlebensnotwendig ist: Reserven.

Ich schätze mal, zwei Drittel der Züge, die derzeit fahren, verkraftet das Netz, aber das letzte Drittel wird irgendwie und irgendwo auf dem Netz der Bahn AG irgendwie hin- und hergeschoben. Die Bahn ist tot."

Arno Luik: „Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“, 304 Seiten, 12 Euro, Westend Verlag, 29.3.2021

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