EU-Hilfen für Syrien: Der scheinheilige deutsche Außenminister

Bild: Olaf Kosinsky (kosinsky.eu)/CC BY-SA 3.0-de

Heiko Maas hat Recht, wenn er die Regierung Assad wegen Menschenrechtsverletzungen anklagt, aber er schaut nur halb hin. Kommentar

Der deutsche Außenminister Heiko Maas beklagt in der Welt zu Recht die Menschenrechtsverletzungen der Assad-Regierung gegen die syrische Bevölkerung. Die Menschenrechtsverletzungen der Türkei und ihrer islamistischen Verbündeten in Nordsyrien verschweigt Maas jedoch.

Er verspricht Hilfe für die syrischen Menschenrechtsaktivisten und die Zivilbevölkerung, die unter dem Regime leiden. Davon merkt man in Nordsyrien leider nichts. Die Menschen in dieser Region bleiben sich selbst überlassen, ihre Situation blendet er aus. Dabei spielten und spielen die Menschen Nordsyriens eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den IS-Terror wie auch gegen das Assad-Regime.

Ein stabiles, friedliches, demokratisches Syrien wünscht sich Herr Maas. Hat er noch nie davon gehört, dass die demokratische Selbstverwaltung seit 2011 daran in Nordostsyrien arbeitet?

Es geht nicht um Gerechtigkeit für die Opfer, sondern um Geopolitik

Am 15. März 2011 demonstrierten Tausende Syrer verschiedener Ethnien und Konfessionen in Daraa, Aleppo, Damaskus und in Nordsyrien für Demokratie und ihre Grundrechte. Sie hofften darauf, dass der arabische Frühling wie in Tunesien oder Ägypten zu einem Wechsel an der Staatsspitze führen und den seit 1970 mit Gewalt und Unterdrückung herrschenden Assad-Clan durch eine demokratische Regierung ablösen würde.

Aber die repressive Herrschaft reagierte mit nie dagewesener Gewalt: Demonstrationen wurden von Polizei und Militär niedergeknüppelt, der allgegenwärtige syrische Geheimdienst ließ massenhaft Menschen verschwinden, und angeblich Zehntausende wurden in den Folterkellern der berüchtigten syrischen Gefängnisse zu Tode gequält.

Der aktuelle US-Bericht über die Menschenrechtssituation in Syrien berichtet auf Seite 2 über die uns auch aus der Türkei bekannte Praxis des "Verschwindenlassens", über Folter mit sexueller Gewalt, über unmenschliche Haftbedingungen, über die Verweigerung medizinischer Hilfe im Gefängnis, ernste Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, Gewalt und Diskriminierung von Homosexuellen, Lesben, und anderen sexuellen Identitäten.

Wie in der Türkei gibt es in Syrien mit dem Regime verbundene Milizen und paramilitärische Organisationen, die auf der Jagd nach Oppositionellen sind. Die Vereinten Nationen und die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW, meist bekannt unter dem englischen Kürzel OPCW) werfen der Assad-Regierung auch den Einsatz chemischer Waffen gegen die eigene Bevölkerung vor - wobei anzumerken ist, dass es bei den Vorwürfen eines Chemiewaffenangriffs in Duma zu Ungereimtheiten und Streit innerhalb der Organisation gekommen ist (Manipulation von Syrien-Bericht: Prominente Kritik an OPCW).

Der Aufstand der Bevölkerung und der sich daraus entwickelnde Krieg, bei dem sich auch auswärtige Staaten einmischten, hatte über 400.000 Todesopfer zur Folge. Maas beziffert die Zahl der geflüchteten syrischen Staatsbürger auf mehr als sechs Millionen.

Mit Ausnahme von Nordsyrien, blieb von der anfänglichen Demokratiebewegung kaum noch was übrig, viele waren im Gefängnis, setzten sich ins Ausland ab oder zogen sich ins Private zurück. Auf der Seite der Opposition gewannen mit tatkräftiger Unterstützung der Türkei zahlreiche islamistische Milizen und der sogenannte "Islamische Staat" immer mehr an Einfluss. Der Westen unterstützte sogenannte "gemäßigte Rebellengruppen", die sich Freie Syrische Armee (FSA) nannten.

Es flossen Gelder, Waffen und Ausrüstung, ungeachtet dessen, dass sich die islamistischen Milizen unter dem Dach der FSA immer mehr radikalisierten. Man betrachtete sie als kleineres Übel, ging es doch vorrangig darum, den eigenen Einfluss in der Region geltend zu machen und einen Regime-Change herbeizuführen. Schließlich schlossen sich Teile der FSA radikalislamistischen oder dschihadistischen Gruppen wie der al-Nusra-Front (die später den Namen Hayat Tahrir asch-Scham annahm) oder wahlweise dem IS an; andere kamen bei den islamistischen Söldnertruppen der Türkei unter. Die syrische Armee musste hilflos mit ansehen, wie der IS immer mehr syrisches Territorium eroberte.

Diese Entwicklungen thematisiert der deutsche Außenminister in seinem Welt-Artikel nicht. Man könnte meinen, al-Qaida, dessen Abkömmlinge Jabat a-Nusra und der IS waren, sei in Syrien vom Himmel gefallen. "Wir werden nicht schweigen angesichts der Gräueltaten, die sich in Syrien ereignet haben und für die das Regime und diejenigen, die es von außen unterstützen, die Hauptverantwortung tragen", schreibt Maas weiter. Das ist nur die halbe Wahrheit.

Ja, das syrische Regime wird von außen vor allem von Russland und dem Iran unterstützt. Beide interessieren die Verbrechen der von geführten Assad Repression gegen die eigene Bevölkerung nicht. Dass allerdings islamistische Milizen und der Islamische Staat weite Teile Syriens erobern konnten, dies muss sich der Westen, allen voran die Türkei und die Bundesrepublik zuschreiben lassen. Nur durch ihre finanzielle und logistische Unterstützung konnten sich die Islamisten in Idlib festsetzen.

Die syrische Armee versuchte seit 2015 mit Hilfe Russlands gegen die Islamisten vorzugehen, der Westen finanzierte als propagandistischen Gegenpol dagegen die Weißhelme, die, wie man ihnen vorwirft, mit den Islamisten meist gemeinsame Sache machten. Teile der Bevölkerung flohen aus der Region an die türkische Grenze. Sie hoffen bis heute, in die Türkei zu kommen. Mit deutschen Leopard-Panzern und mit Kampfbombern wurde von der Türkei das seit 2011 von Kurden, Christen und Eziden demokratisch regierte Afrin angegriffen, schließlich besetzt und inzwischen von der eingesessenen Bevölkerung "gesäubert".

In die Häuser der Vertriebenen zogen die Familien der Islamisten aus Gouta und anderen Teilen Syriens ein und plünderten deren Besitz. Der Westen, allen voran der deutsche Außenminister Heiko Maas, schwieg dazu. Er schwieg auch, als 2018 die nord- ostsyrischen Städte Serekaniye und Gire Spi von der Türkei völkerrechtswidrig besetzt wurden. Seitdem geschehen in diesen Gebieten Nordsyriens von Seiten türkischer Soldaten und ihren islamistischen Söldnern der Nationalen Syrischen Armee (NSA) täglich die gleichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Heiko Maas nur dem syrischen Regime vorwirft.

"Es liegt in unser aller Verantwortung, die Straflosigkeit zu bekämpfen und die Verantwortlichen für die in Syrien begangenen Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen - egal, wer sie sind," (Hervorhebung durch d. Autorin) schreibt Maas.

Scheinheiliger kann man als deutscher Außenminister nicht argumentieren: Einerseits soll das Assad-Regime berechtigterweise wegen seiner Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden, andererseits bleiben gleiche Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Regierung und ihre islamistischen Söldner in Nordsyrien unerwähnt.

Gerechtigkeit für die Opfer gibt es bei Maas offensichtlich nicht. Es gibt nur geopolitische Interessen, die auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung ausgetragen werden.