Astrazeneca: Schwerwiegende, aber seltene Gerinnungsstörungen

Vakzin des schwedisch-britischen Herstellers in Deutschland nur noch für Personen ab 60 Jahren empfohlen. Einige Hintergründe zur Debatte und deren Auswirkungen

Am 25. März wurde bei Telepolis 1 über neue Erkenntnisse berichtet, nach denen der Corona-Impfstoff des schwedisch-britischen Pharmakonzerns Astrazeneca eine gute Wirksamkeit gegen schwere Covid-19-Verläufe auch im höheren und hohen Alter aufweist. Der Text argumentierte, dass der Impfstoff trotz des Auftretens von schwerwiegenden, aber seltenen Gerinnungsstörungen als mögliche Nebenwirkung und angesichts der bisherigen Erfahrungen bei der erfolgten millionenfachen Verimpfung weiterhin als sicher eingeschätzt wird. Bis zum 1. April haben in Deutschland laut Robert-Koch-Institut (RKI) 2,85 Millionen Personen eine erste Dosis und knapp 2.000 Menschen eine zweite Dosis des Astrazeneca-Vakzins erhalten.

Seltenes Auftreten von schwerwiegenden Gerinnungsstörungen

Zuständig für die Überwachung von Arzneimitteln und Impfstoffen in Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Bei den in den letzten Wochen beobachteten schwerwiegenden Gerinnungsstörungen handelt es sich vor allem um Hirnvenenthrombosen (Sinusvenenthrombosen). Bisher sind dem PEI 31 derartige Verdachtsfälle nach Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin gemeldet worden. In 19 Fällen habe zusätzlich eine Thrombozytopenie bestanden und in neun Fällen war der Ausgang tödlich. Mit Ausnahme zweier Fälle haben alle Meldungen Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren betroffen und das Alter der beiden Männer betrug 36 und 57 Jahre.

Auf der Website des PEI findet man in der Produktinformation über Vaxzevria (das ist der neue Name des Astrazeneca-Vakzins) im Abschnitt "Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen bei der Anwendung" unter der Überschrift "Thrombozytopenie und Gerinnungsstörungen" die folgenden Angaben2:

Eine Kombination von Thrombose und Thrombozytopenie, in einigen Fällen einhergehend mit Blutungen, wurde sehr selten nach einer Impfung mit Vaxzevria beobachtet. Dies schließt schwere Fälle ein, die sich als venöse Thrombose präsentierten, einschließlich des Auftretens in ungewöhnlichen Bereichen, wie zum Beispiel zerebrale Sinusvenenthrombose, Mesenterialvenenthrombose sowie arterielle Thrombose, bei gleichzeitiger Thrombozytopenie. Die meisten dieser Fälle traten innerhalb der ersten sieben bis vierzehn Tage nach der Impfung und bei Frauen unter 55 Jahren auf, was möglicherweise auf die verstärkte Anwendung des Impfstoffs in dieser Bevölkerungsgruppe zurückzuführen ist. Einige Fälle hatten einen tödlichen Ausgang.

Das bedeutet, dass die Wissenschaftler in Erwägung ziehen, dass die zahlenmäßige Häufung der berichteten Gerinnungsstörungen auch damit zusammenhängen könnte, dass in den letzten Wochen in Deutschland vor allem Frauen im mittleren Alter das Astrazeneca-Vakzin erhalten haben und es dadurch zu einer statistischen Verzerrung (Bias) gekommen sein könnte. Und weiter heißt es in diesem Text des PEI:

Medizinisches Fachpersonal sollte auf die Anzeichen und Symptome einer Thromboembolie und/oder Thrombozytopenie achten. Die Geimpften sollten angewiesen werden, sofort einen Arzt aufzusuchen, wenn sie nach der Impfung Symptome wie Kurzatmigkeit, Brustschmerzen, Beinschwellungen oder anhaltende Bauchschmerzen entwickeln. Außerdem sollten alle Personen, die nach der Impfung neurologische Symptome aufweisen, wie starke oder anhaltende Kopfschmerzen oder verschwommenes Sehen, oder bei denen nach einigen Tagen auf der Haut Blutergüsse (Petechien) außerhalb des Verabreichungsortes der Impfung auftreten, umgehend einen Arzt aufsuchen.

Paul-Ehrlich-Institut vom 31.3.2021

Somit gibt es Verdachtsfälle für eine spezielle Form von seltenen Sinusvenenthrombosen, die gehäuft in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) auftreten. Diese Hirnvenenthrombosen treten aber auch selten in einer ungeimpften Bevölkerung auf, vor allem während der Schwangerschaft und bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen, insbesondere in Verbindung mit Adipositas.3

Das PEI, das solche Meldungen sammelt, schätzte zuletzt ein, dass sich Meldungen über das Auftreten von Sinusvenenthrombosen im Zusammenhang mit der Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin häufen.

Der oben genannte Artikel4 legte dar, dass Forscher aus der Universität Greifswald, aus Wien und Graz in Zusammenarbeit mit dem PEI den Pathomechanismus herausgefunden haben, warum es nach Injektionen des Astrazeneca-Impfstoffs vermehrt zu Thrombosen gekommen ist. In allen der neun von ihnen untersuchten Blutproben von Betroffenen konnten sie feststellen, dass die Thrombozyten (Blutplättchen) durch entsprechende Antikörper fehlaktiviert waren. Die Ursache dieser Fehlaktivierung war aber unklar.

Diese Berichte über das Vorliegen einer "Immunthrombozytopenie" bei den untersuchten Probanden sind zwar noch kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang, aber ein deutlicher Hinweis darauf, der nicht unbeachtet bleiben sollte. Deshalb wurde vom PEI beschlossen, zu diesen seltenen Ereignissen einen Warnhinweis in die Fach- und Gebrauchsinformationen aufzunehmen. In der Packungsbeilage der Produktinformation über Vaxzevria findet sich unter "Warnhinweisen" und "Erkrankungen des Blutes" ein entsprechender Eintrag.5

Für die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) sind die Vorteile des Vakzins trotzdem weiterhin deutlich größer als die Risiken. Die EMA kam zu dem Schluss, dass für seltene Fälle von schweren zerebralen thromboembolischen Ereignissen, einhergehend mit einer Thrombozytopenie, ein kausaler Zusammenhang mit dem Impfstoff nicht bewiesen, aber möglich ist und weiter untersucht werden sollte.

Empfehlung der Ständigen Impfkommission vom 30.3.2021

Deshalb wurde am 30.03.2021 von der Ständigen Impfkommission (Stiko), die die Aufgabe hat, alle wissenschaftlichen Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen kontinuierlich zu bewerten und daraus Empfehlungen abzuleiten, folgende Pressemitteilung herausgegeben6:

Nach mehreren Beratungen hat die STIKO auch unter Hinzuziehung externer Expert:innen mehrheitlich entschieden, auf Basis der derzeit verfügbaren Daten zum Auftreten seltener, aber sehr schwerer thromboembolischer Nebenwirkungen die Covid-19 Vaccine AstraZeneca nur noch für Personen im Alter ab 60 Jahren zu empfehlen, da diese Nebenwirkung 4 bis 16 Tage nach der Impfung ganz überwiegend bei Personen im Alter unter 60 Jahren auftrat.

Empfehlungen der STIKO vom 30.3.2021

Hinsichtlich der Frage der Verabreichung der zweiten Impfstoffdosis für jüngere Personen, die bereits eine erste Dosis des Astrazeneca-Vakzins erhalten haben, wurde zunächst angegeben, dass die Stiko bis Ende April eine ergänzende Empfehlung abgeben wird.

In einem am 1. April vorgelegten Beschlussentwurf der Stiko, über den am morgigen Mittwoch entschieden werden soll, steht nun die Empfehlung, dass die mit einer ersten Astrazeneca-Dosis geimpfte Menschen unter 60 Jahren für die zweite Impfung auf ein anderes Präparat umsteigen sollen.7

Für diese Personen wird empfohlen, anstelle der zweiten Astrazeneca-Impfdosis eine Dosis eines mRNA-Impfstoffs zwölf Wochen nach der Erstimpfung zu verabreichen. Hintergrund hierfür ist, dass der von einer einmaligen Astrazeneca-Impfung ausgelöste Schutz nach zwölf Wochen abzunehmen beginnt. In Deutschland sind momentan die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna zugelassen.

Tatsächlich gibt es schon länger Überlegungen, etwa für einen besseren Schutz gegen neue Virusvarianten, verschiedene Impfstoffe zu kombinieren. Also zum Beispiel auf eine erste Dosis Astrazeneca eine zweite von Biontech/Pfizer zu spritzen.

"Rein immunologisch ist das unproblematisch, denn sie beruhen letztlich auf dem gleichen Impf-Antigen", hatte der Erlanger Infektionsimmunologe Christian Bogdan als Mitglied der Stiko laut aerzteblatt.de kürzlich gesagt. Die Wirksamkeit von Kombinationen werde derzeit in Studien untersucht. Britische Forscher zum Beispiel testen seit Anfang Februar in einer klinischen Studie die Impfstoff-Wirksamkeit bei der Kombination von Biontech und Astrazeneca in unterschiedlicher Abfolge als erste und zweite Dosis.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will nun mit den Gesundheitsministern der Länder über die Empfehlung sprechen. Das kündigte er am Karfreitag an. "Die ergänzte Empfehlung der Stiko zu Zweitimpfungen schafft Klarheit für die Millionen Bürgerinnen und Bürger unter 60 Jahren, die in den letzten Wochen eine Erstimpfung mit Astrazeneca erhalten haben", so Spahn. "Sie können nach zwölf Wochen ihre Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff erhalten. Oder nach individueller Aufklärung im ärztlichen Ermessen Astrazeneca."

Nachdem die Stiko in einer ersten Empfehlung den Astrazeneca- Impfstoff für die über 65-Jährigen nicht empfohlen hatte, weil für die Älteren nicht genügend Daten für die Wirksamkeit zur Verfügung standen, was sich in der Zwischenzeit aufgrund von mehreren großen Phase-IV-Studien geändert hat8, bedeutet die jüngste Empfehlung eine Wende um fast 180 Grad. Diese beiden aufeinander folgenden gegensätzlichen Empfehlungen können aber aus medizinischer Sicht nachvollzogen werden.

"Briten lassen sich ihren Stolz auf Astrazeneca nicht vermiesen"

Unter dieser Überschrift schreibt am 1. April die Journalistin Katrin Pribyl in unserer Regionalzeitung, den Kieler Nachrichten, dass Berichte über tödliche Nebenwirkungen und Impfstopps auf der Insel für Unverständnis sorgen. Der Astrazeneca-Impfstoff sei sicher, wirksam und habe schon Tausenden Menschen das Leben gerettet.

In Großbritannien sind laut dortiger Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA) unter elf Millionen mit Astrazeneca Geimpften fünf Fälle von Hirnvenenthrombosen aufgetreten, davon endete ein Fall tödlich. Im Vereinigten Königreich hängt der Erfolg des Impfprogramms deutlich stärker von Astrazeneca ab als auf dem Kontinent. So haben rund 31 Millionen Menschen in Großbritannien – rund 60 Prozent der erwachsenen Bevölkerung – mittlerweile eine erste Dosis eines Impfstoffs erhalten, entweder von Biontech/Pfizer oder von Astrazeneca. Die Impfkampagne dort ist schon weit vorangeschritten, zurzeit werden die 50- bis 59-Jährigen geimpft.

Großbritannien hat zu keinem Zeitpunkt die Impfungen mit Astrazeneca pausiert. Angesichts der großen Zahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise aufträten, gebe es keinen Anlass für einen Stopp, sagt die MHRA.

Fazit:

  1. Die Auswirkungen des Auftretens von seltenen, aber gravierenden möglichen Nebenwirkungen beim Impfstoff von Astrazeneca und des Hin und Her bei den Impfempfehlungen in Deutschland sind unklar. Es muss jedoch befürchtet werden, dass sich beide Faktoren nicht günstig auf die Impfbereitschaft in unserem Lande auswirken werden.
  2. Desto wichtiger ist, dass nach Ostern die Hausärzte in die Impfstrategie, bei der auch der Astrazeneca-Impfstoff eine wichtige Rolle spielen wird, einbezogen werden. Die Hausärzte kennen ihre Patienten genau und haben in aller Regel den besten Zugang zu ihnen. Entsprechend der Priorisierung wären nach den über 80-Jährigen zunächst die große Gruppe der über 70-Jährigen und dann die der über 60-Jährigen an der Reihe, für die der Astrazeneca-Impfstoff jetzt zur Verfügung steht. Eine vertrauensvolle Beratung durch die Hausärztinnen und Hausärzte ist hier von entscheidender Bedeutung.
  3. Zu hoffen ist, dass in den nächsten drei Monaten genügend Impfstoff für diese Mammutaufgabe vorhanden ist, sodass die Impfkampagne beschleunigt werden und Fahrt aufnehmen kann. Angesichts der herrschenden Impfstoffknappheit wäre es sehr wünschenswert, wenn weitere Impfstoffe, die sich bewährt haben, in der EU und bei uns in Deutschland verfügbar wären.
  4. Dazu gehört auch der russische Impfstoff Sputnik V, bei dem es sich aufgrund der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten um einen wirksamen und sicheren Impfstoff handelt.9 Die Verimpfung dieses Vakzins könnte ein Beitrag sein, mit der die Sterblichkeit an Covid-19 in den nächsten Monaten gesenkt werden könnte. Nachdem sich jetzt auch zwei Ministerpräsidenten für Sputnik V ausgesprochen haben, ist es für mich als Mediziner nicht nachvollziehbar, wenn aus politischen Gründen in der EU und bei uns auf diesen hervorragenden Impfstoff verzichtet wird.
  5. Um der dritten Welle, die jetzt wegen der ansteckenderen britischen Virus-Variante immer weiter anzusteigen droht, etwas Wirksames entgegenzusetzen, wird aber auch eine beschleunigte und massenhafte Impfung nicht ausreichen. Diese sollten aus meiner Sicht für einige Wochen mit möglichst konsequenten nicht-pharmazeutischen Maßnahmen kombiniert werden, die mit strikten Kontaktbeschränkungen, auch im Bereich der Arbeitsstätten, einhergehen und dazu führen, dass eine Niedrig-Inzidenz bei uns erreicht wird, wie ich es hier bereits am 17. März dargestellt habe.10

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin-Tabakforschung e.V. (DGNTF) und arbeitet in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. Email: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

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