Wissenschaftsfeinde und Wildschweine

Britische Forschungsstation (British Antarctic Survey fieldcamp) auf dem Pine-Island-Gletscher. Bild: Polargeo/gemeinfrei

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Punkten ohne Wiederkehr, knapp werdender Zeit, polizeilicher Klimaschutz- und Jugendphobie sowie von den Ewigkeitskosten des Bergbaus

Aus der Antarktis kommen beunruhigende Nachrichten. Schon seit längerem sind sich Forscher aus aller Welt ziemlich sicher, dass die großen Gletscher des fünften Kontinents gewisse Punkte ohne Wiederkehr haben, sogenannte Tipping points. Werden diese einmal überschritten, ist ein unaufhaltsam fortschreitender Eisverlust die Folge.

Nun haben europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer Gemeinschaftsarbeit für einen der großen Gletscher der Westantarktis solche Punkte quantifizieren können.

Gegenstand der Untersuchung war der Pine-Island-Gletscher, die am schnellsten schrumpfende Teilmasse der Antarktis, derzeit verantwortlich für etwa zehn Prozent des Meeresspiegelanstiegs. Der Gletscher ergießt sich in die südlich des Pazifiks gelegene Amundsen See. (Hier eine Karte, auf der die Region rot markiert ist.)

Wie alle antarktischen Gletscher schiebt er einen mehrere Hundert Meter dicken Eisschelf vor sich hinaus aufs Meer. Eis verliert er, wie auch sonst in der Antarktis üblich, vor allem durch das Abbrechen von kleinen und großen Eisbergen an der Eiskante und durch Tauen an der Unterseite des aufschwimmenden Schelfeises statt.

Tauen an der Oberfläche ist aufgrund der besonders niedrigen Lufttemperaturen eher unbedeutend. Ein kurzes Video der Europäischen Raumfahrtagentur ESA zeigt, wie im September und Oktober 2018 ein großer Eisberg vom Pine-Island-Gletscher abbricht.

Besondere Sorgen macht die Position der Grundlinie des Gletschers. Das ist jener Bereich, an dem das Eis beginnt, aufzuschwimmen. Eine Animation der ESA zeigt, wie sich diese Grundlinie des Pine-Island-Gletschers zwischen 1999 und 2011 um bis zu 40 Kilometer zurückgezogen hat.

Insgesamt gibt es für diesen Gletscher, so das Ergebnis der jüngsten Studie, drei kritische Punkte. Jenseits von diesen wird jeweils "ein sich-selbst erhaltender Rückzug des Gletschers (angestoßen), der zu schnellem, unumkehrbaren und substanziellen Eisverlust führt".

Wird der dritte und letzte Punkt überschritten, würde der Gletscher vollständig verschwinden und der gesamte westantarktische Eisschild destabilisiert. Mit entsprechenden Folgen für die Küstenstädte. In der Westantarktis ist genug Wasser gespeichert, um den mittleren globalen Meeresspiegel um drei Meter steigen zu lassen.

Erschreckend dabei ist, dass dieser Punkt schon erreicht würde, wenn das Meerwasser unter dem Schelf sich um weitere 1,2 Grad Celsius erwärmt.

Das ist beängstigend wenig. Denn zum einen erwärmen sich im Zuge des Klimawandels die Ozeane stärker als die Atmosphäre. Etwas über 90 Prozent der durch die menschlichen Treibhausgase im Erdsystem gespeicherten zusätzlichen Wärmeenergie wird von den Weltmeeren aufgenommen.

Zum anderen wurde in den letzten beiden Jahrzehnten beobachtet, dass sich die Strömungen rund um die Antarktis verändern. Schon 2014 am Kieler Geomar Zentrum für Ozeanforschung festgestellt, dass aufgrund der Veränderungen globaler Strömungssysteme vermehrt warmes Tiefenwasser in die flachen Schelfmeere und unter das Eis strömt.

Der Frosch

Wir sind also vermutlich nicht mehr allzu weit von diesem Punkt entfernt. Zu dem Ergebnis war unter anderem auch schon Julius Garbe mit seinen Kolleginnen und Kollegen vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im vergangenen Jahr gekommen.

In einer im Fachmagazin Nature veröffentlichten Arbeit kamen sie zu dem Schluss, dass bei einer globalen Erwärmung um in etwa zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau der größte Teil des westantarktischen Schildes verloren gehen wird.

Das Ergebnis, so Garbe et al., wäre ein Meeresspiegelanstieg von 2,6 Metern. Wird es im globalen Mittel noch wärmer, so kämen zwischen zwei und sechs Grad zu jedem Grad Erwärmung weitere 2,4 Meter Meeresspiegelanstieg hinzu und über sechs Grad sogar zehn Meter pro Grad.

Für die Menschen an den Küsten sind das keine besonders guten Aussichten. In Schleswig-Holstein sind die neuesten Deiche gerade für 50 Zentimeter Meeresspiegelanstieg bis zur Mitte des Jahrhunderts ausgelegt. In den Niederlanden werden bei den Verstärkungen und Neubauten zwei Meter bis zum Ende des Jahrhunderts eingerechnet.

Das kann mit einigem Glück reichen, denn der Meeresspiegelanstieg vollzieht sich für menschliche Begriffe sehr langsam. Es ist allerdings bekannt, dass in prähistorischen Zeiten der Meeresspiegel phasenweise auch schon um mehrere Meter pro Jahrhundert gestiegen ist.

Vor allem wird der Anstieg nicht Ende des Jahrhunderts aufhören, sondern sich über viele Jahrhunderte fortsetzen. Es fragt sich also, wie die menschliche Gesellschaft damit umgeht. Wird sie wie der Frosch im langsam erhitzten Wasser sitzen bleiben oder wird sie rechtzeitig herausspringen?

Die Wissenschaftsfeinde

Im Augenblick sieht es eher nach ersterem aus, und das ist natürlich nicht nur eine kulturelle Frage, sondern vor allem eine der sich jeweils durchsetzenden Interessengruppen in den Gesellschaften. Leider sind wir weit davon entfernt, dass politische Entscheidungen allein nach rationalen Gesichtspunkten oder gar orientiert am Wohl der gesellschaftlichen Mehrheiten gefällt würden.

Die Corona-Krise - und das ist ja vielleicht eine positive Nebenwirkung - lässt die "krasse Wissenschaftsfeindlichkeit" eines erheblichen Teils der Verantwortung tragenden, aber diese nicht annehmenden Politiker zutage treten.

Das lässt für die Klimakrise im Allgemeinen und den sich gemessen am Legislaturperioden-Rhythmus nur sehr langsam veränderlichen Meeresspiegel im Besonderen wenig Gutes erwarten. Wenn schon nicht auf eine so offen vor aller Augen ausgebreiteten Krise "dieselben Fehler immer und immer wieder gemacht werden" und nicht auf den Rat derjenigen gehört wird, die sich auskennen, wie können wir da noch auf raschen Klimaschutz hoffen?

Aber immerhin bleibt die Hoffnung, dass das Missmanagement der Corona-Krise in maßgeblichen Teilen der Bevölkerung einen heilsamen Schock auslöst. Denn so einer wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Vorsitzende Armin Laschet, der sich am Dienstag nach Ostern nach dem an den Feiertagen erwartungsgemäß weniger getestet und übermittelt wurde, öffentlich über sinkende Infektionszahlen freut, wirft als Kanzlerkandidat Fragen auf.

Der Aussitzer

Dann kann man doch auch gleich jemand wie den Andi Scheuer nehmen, der nach Jahren des Dieselbetrugs der deutschen Automobilindustrie meint, diese habe nur mit Innovationen eine Zukunft, aber nicht mit strengeren Abgasnormen. Vielleicht kann ihm ja mal jemand erklären, dass der Sinn der Abgasnormen kein industriepolitischer, sondern der Schutz der Menschen, vor allem der Kinder und Alten in den Städten sowie zumindest ein klein bisschen Klimaschutz ist.

Aber man kann von Andy Scheuer auch etwas lernen. Wenn man sich nicht festlegen und möglich lange am alten Überkommenen festhalten will, dann heißt das "Technologieoffenheit".

Andere Länder wie China oder die Niederlande planen mittelfristig keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen, aber in Deutschland will man statt den Umbau der Industrie voranzutreiben unbedingt an der überkommenen Technologie festhalten.

Das Zauberwort heißt alternative Kraftstoffe. Gemeint sind Biokraftstoffe wie Ethanol oder Rapsöl, das eine energie- und flächenintensiver als das andere, oder auch Wasserstoff.

Dieser am besten noch hergestellt mit Strom aus Holz, das in Großkraftwerken verbrannt wird, wie es deutschen Kraftwerksbetreibern vorschwebt. Das ist wegen der enormen hohen Umwandlungsverluste in etwa so intelligent wie das Öffnen eines Frühstückseis mit einer Dampfwalze.