"Härter als Le Pen"

Bild (Mai 2020): Ligner 13, Jacques Paquier/CC BY 2.0

Corona-Krise und Wahlkampf: Was die französische Rechtspartei RN von der AfD unterscheidet und warum sich das Regierungslager als konsequenteren Vollstrecker rechter Wünsche darstellt

Was folgt in Frankreich politisch auf die Corona-Krise? Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit - auch wenn das Auftauchen diverser Mutanten und das derzeitige Impfchaos westlich des Rheins möglicherweise noch einige Unsicherheit auftauchen lassen -, dass die derzeitige Pandemie vorbei sein wird, wenn Frankreich in ziemlich genau einem Jahr sein nächstes Staatsoberhaupt wählt. Die kommende Präsidentschaftswahl muss zwischen dem 08. und 23. April 2022 (Datum des ersten Wahlgangs, die Stichwahl dann vierzehn Tage später) stattfinden.

Ob Amtsinhaber Emmanuel Macron dann noch antreten kann oder ob er bis dahin unter anderem durch seine in vieler Augen erratisch erscheinende Krisenverwaltung zu diskreditiert ist, das ist derzeit eine offene Frage.

Nicht ausgeschlossen wird unterdessen vielfach, dass sein früherer Premierminister (von Mai 2017 bis Juli 2020) Edouard Philippe an seiner statt antritt, falls Macron sich nicht um eine Wiederwahl bewirbt. Dieser läuft sich jedenfalls bereits erkenntlich warm für eine eventuelle Kandidatur, obwohl er laut eigenem Bekunden nur antreten möchte, falls Macron darauf verzichtet.

Allerdings ist jedenfalls bislang zu beobachten, dass Philippe zwar eine gewisse Popularität als Krisenmanager des vergangenen Jahres aufweist, jedoch seine Umfragewerte im Hinblick auf eine mögliche Präsidentschaftskandidatur schwächeln.

Unterschiedliche Auswirkungen für deutsche AfD und französischen RN

Auch in Deutschland bezahlen die etablierten politischen Parteien und ihre Repräsentanten für ihre Verfehlungen, Kompetenzmängel oder mitunter peinlichen Profilierungsversuche - etwa im Hick-Hack von Bund und Ländern - im Verlauf der Corona-Krise. Östlich des Rheins scheinen jedenfalls bislang die Grünen zu den objektiven Krisengewinnern zu zählen - und sei es, weil sie seit längerem (2005) nicht auf Bundesebene mitregieren und deswegen in den Augen vieler Wahlberechtigten relativ "unverbraucht" erscheinen.

Hinzu kommt, dass sie in den letzten Jahren in alle Himmelsrichtungen "koalitionsfähig" wurden, von "Rot-Rot-Grün" im Berliner Senat bis zu "Schwarz-Grün" in Baden-Württemberg, und deswegen wie ein Schwamm die mit anderen Parteien Unzufriedenen von quasi überall her aufsaugen können. Jüngste Umfragen sehen die frühere "Ökopartei", die in ihrer Praxis längst "Mitregieren" über Inhalte stellt, jedenfalls durch die Bank bundesweit über der Zwanzig-Prozent-Marke rangieren.

Nicht auszahlen wollte sich die Corona-Krise hingegen bislang für in Teilen rechtsextreme AfD. Bei der jüngsten Landtagswahl in Baden-Württemberg fiel die völkisch veranlagte Partei jedenfalls von zuvor 15,1 Prozent der abgegebenen Stimmen (2016) auf nun noch 9,7 Prozent zurück.

Neben der Diskussion über eine Verfassungsschutzbeobachtung von Teilen der AfD oder der Partei in Gänze, die eventuell schwankende Wählerinnen und Wähler beeinflusst haben mag, könnte auch die Positionierung der AfD in der Corona-Krise einen Beitrag dazu geleistet haben.

Unterstützten doch eine Reihe ihrer Protagonisten die teils egomanisch ausgerichteten, teils verschwörungstheoretisch grundierten, teils rechtslibertären, teils religiös oder esoterisch unterlegten (solche Merkmale schließen einander nicht gegenseitig aus) Proteste gegen Maskentragen und Anti-Pandemie-Maßnahmen. Was wohl wiederum einen Teil auch der konservativ-autoritären Wählerschaft, die vielleicht eher stärkere Staatshörigkeit goutieren würde oder einen solchen Protest schlicht als verantwortungslos empfindet, abzuschrecken vermochte.

Anders stellt sich da die Situation für die französische extreme Rechte dar, jedenfalls für ihre Hauptpartei, den neofaschistisch beeinflussten Rassemblement National (RN, "Nationale Sammlung", bis zum 1. Juni 2018 noch: Front National). Zwar ist die Situation derzeit nicht für alle Bestandteile der extremen Rechten in Frankreich optimal, denn eine ihrer außerparlamentarischen Erscheinungsformen - die so genannte identitäre Bewegung, oder jedenfalls eine ihrer Varianten - wurde Anfang März dieses Jahres mit einem Organisationsverbot belegt.

Dabei handelte es sich allerdings auch eher lediglich um einen Versuch der Regierenden, das rechtsextreme Potenzial in der Gesellschaft zu kanalisieren und in institutionelle Schranken zu weisen, als es wirklich an einer politischen Entfaltung zu hindern.

Wertet das Regierungslager die extreme Rechte mit auf?

Dies auch vor dem Hintergrund, dass mindestens ein Teil der Regierung, etwa Innenminister Gérald Darmanin, die legalistisch auftretende extreme Rechte in den letzten Monaten bei manchen Auftritten eher hofiert, denn abgrundtief verdammt hat.

Präsident Emmanuel Macron selbst gab kurz vor Weihnachten 2020 dem konservativ-(wirtschafts)liberalen Wochenmagazin L’Express ein Interview, in welchem er unter anderem die historischen Leitfiguren Charles Maurras von der Action française - den er bereits im Februar 2020 in einer Rede zur Inneren Sicherheit indirekt zitiert hatte - und Philippe Pétain, welchen er im November 2018 als "großen Militär" bezeichnete, erneut in Teilaspekten rehabilitierte.

Dafür hat es viel fundierte Kritik gegeben. Etwa vom Vorsitzenden des jüdischen Zentralverbands in Frankreich, des CRIF, Francis Kalifat, aber auch seitens der Nichtregierungsorganisation SOS Racisme.

Ein Kommentar im Blogbereich der linken Interzeitung Mediapart sah Macron daraufhin "im Lager der Aufklärungsfeinde".

Den Kontext dieser Äußerungen bildet wohl das Bestreben, bei der kommenden Präsidentschaftswahl im April und Mai 2022 erneut eine Konstellation herbeizuführen wie bei der letzten im Frühjahr 2017, bei welcher sich der Wirtschaftsliberale Emmanuel Macron und die Neofaschistin Marine Le Pen als einzige Alternativoptionen gegenüberstehen.

Beide bilden für das jeweilige Gegenüber den Wunschgegner, gegen den sich die eigene Anhängerschaft und Teile der benachbarten politischen Lager am besten zusammenschweißen lassen.

Kalkül auf beiden Seiten

Dies hängt damit zusammen, dass Marine Le Pen zwar versucht, sich zur "ersten Opponentin gegen Emmanuel Macron" aufzuschwingen, gleichzeitig aber die schwelende politische Krise - vor dem Hintergrund des realen Vertrauensverlusts in die Regierenden, auch im Kontext der Pandemie - nicht kurzfristig so weiterzutreiben versucht, dass es zu einer ernsten Regierungskrise kommt.

Deswegen unternimmt ihre Partei auch keine Anstalten, etwa auf die Straße zu gehen. Denn falls die Chancen Emmanuel Macrons und seines Anhangs bei der in zwölf Monaten anstehenden Präsidentschaftswahl gegen null schrumpfen würden, sähe die rechtsextreme Politikerin selbst einen strategischen Vorteil für sich schwinden.

Läuft ihre Strategie doch darauf hinaus, ganz auf die Polarisierungslinie "Patrioten gegen Globalisten" zu setzen, die laut ihrem jetzigen Diskurs - aber auch einer bereits 1995 übernommenen Position des FN zufolge - "das völlig überkommene Links-Rechts-Schema abgelöst" hat.

Auch wenn diese Positionierung innerparteilich stets umstritten blieb, beansprucht die Parteispitze doch seit einem Vierteljahrhundert und in wiederholten Anläufen, keine Rechtspartei zu bilden, sondern "jenseits von links und rechts" zu stehen.

Den besten Repräsentanten der von ihr bezeichneten "Globalisten" stellt dabei jedoch in ihren Augen Emmanuel Macron dar. Dessen jüngere Vergangenheit als Investmentbanker - u.a. bei seinem früheren zeitweiligen Arbeitgeber, der Bank Rothschild, wie aus diversen Kreisen immer wieder und oft mit erkennbar antisemitischen Untertönen angemerkt wird -, die überaus schwache soziale Basis der regierenden Retortenpartei La République en marche (LREM, "Die Republik in Bewegung") fließen dabei in ihr Kalkül ein. Und wohl auch der im Vergleich zu seinen Amtsvorgängern außerordentlich ausgeprägte persönliche Hass auf Macron in unterschiedlichen sozialen Milieus: Dieser wuchs seit den "Gelbwesten"protesten erheblich.

Gegen Macron rechnet Le Pen sich jedenfalls höhere Wahlchancen aus als gegen einen Konservativen, den in einer Stichwahl gegen die RN-Chefin wohl auch manche Teile der Linken unterstützen würden oder gegen eine Linkskandidatur mit irgendwie geartetem sozialem Anspruch. Bis im April 2022 dürfte sich die bereits begonnene Wirtschaftskrise spürbar verschärft haben.