Initiative für Corona-Impfpass ohne belastbare Daten?

Viele Worte – wenig Daten? RKI-Chef Wieler und Minister Spahn. Bild: Screenshot

Vorstoß von Gesundheitsminister Spahn basierte offenbar nur auf Kurzinfo des RKI. Institut bestätigt: "Keine weiteren Untersuchungen"

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat seine Initiative für mehr Rechte für Geimpfte in der Corona-Pandemie offenbar ohne belastbare wissenschaftliche Daten ergriffen. Ein entsprechender Vorstoß, den Spahn in der Bild am Sonntag öffentlich gemacht hat, basiert nach Recherchen von Telepolis offenbar lediglich auf einer Kurzinformation des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, vom 31. März. Das Dokument führt keine belastbaren Daten oder gar neuen Erkenntnisse an.

In dem zweiseitigen Schreiben vertritt Wieler die These, das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, sei "spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen". Der folgende Verweis auf eine ausführliche Studie behandelt jedoch ein anderes Thema, nämlich die Verlässlichkeit von Schnelltests für den Nachweis von Sars-CoV-2-Infektionen.

Nachdem sich das RKI geweigert hatte, das Dokument publik zu machen, wie Heise Online am Dienstag berichtete, veröffentlichte die Open Knowledge Foundation Deutschland das Schreiben Mitte dieser Woche auf seiner Plattform fragdenstaat.de. Auf Telepolis-Anfrage bestätigte das RKI am Mittwoch zunächst die "Korrektheit" des Dokuments, das unter anderem dem Bund, den Ländern und dem Bundestag zugegangen war. Auf weitere Nachfrage schrieb das RKI: "Wir gehen davon aus, dass sich Herr Spahn auf dieses Schreiben beruft. Es gibt keine weiteren Untersuchungen des RKI in dem Kontext."

Rechtlich nicht umsetzbar

Diese Bestätigung und der Inhalt des Schreibens sind beachtlich: Denn zum einen ist eine Privilegierung von Geimpften auch nach Abklingen der dritten Infektionswelle, wie es Spahn in Aussicht gestellt hatte, rechtlich nur schwer umsetzbar, solange die Bundesregierung es nicht schafft, Vakzine für eine Bevölkerungsmehrheit zu organisieren. Dies war etwa im Vorbildstaat Israel schon frühzeitig der Fall.

Zum anderen erhärtet sich mit der Publikation des Schreibens und der Bestätigung des RKI der Verdacht, dass Bundesgesundheitsminister Spahn eine einschneidende und umstrittene Maßnahme – die Privilegierung einer kleinen Minderheit – auf Basis unbestätigter Aussagen anstrebt. Dies dürfte die mögliche Einführung eines Corona- oder Immunitätsnachweises erheblich erschweren.

Tatsächlich dient das Schreiben von RKI-Chef Wieler kaum als solide Basis für eine Maßnahme, wie sie Minister Spahn in der Bild am Sonntag angekündigt hat. Zwar schreibt Wieler, wie zitiert, von einer geringeren Virusübertragung durch Geimpfte. Allerdings relativiert er diese Aussage mehrfach, etwa mit dem Verweis auf den "gegenwärtigen Kenntnisstand" oder die "derzeitige Datenlage". Eine Virusübertragung durch Geimpfte "erscheint" reduziert, heißt es weiter.

An anderer Stelle des Schreibens verweist Wieler in zwei identischen Links auf eine zwölfseitige Studie aus Israel, die eine verminderte Viruslast bei Geimpften feststellt. Die Autoren hatten sich bei ihrer Untersuchung allerdings auf das Vakzin BTN162b2 von Biontech und Pfizer beschränkt, zudem handelt es sich um ein noch nicht gegengeprüftes sogenanntes Preprint. Valide wissenschaftliche Erkenntnis sieht anders aus anders.

Die Ankündigung von Spahn, deren Datengrundlage und Belastbarkeit medial kaum hinterfragt wurde, dürfte sich daher als Rohrkrepierer erweisen. Zumal der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags schon Ende Januar auf das Hauptproblem verwiesen hatte: die fehlenden Impfstoffe. Kritik kam auch vom Deutschen Ethikrat.

Der Maßstab für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von Geimpften gegenüber Ungeimpften ist von der Auswirkung der jeweiligen infektionsschutzrechtlichen Maßnahme abhängig. An die Rechtfertigung einer Differenzierung bzgl. Maßnahmen, die die Freiheitsrechte der Ungeimpften erheblich beeinträchtigen, sind hohe Anforderungen zu stellen. Dies gilt insbesondere solange, wie der Zugang zum Impfstoff reglementiert wird und nicht allen Impfwilligen zur Verfügung steht.:Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Fragen zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen von geimpften gegenüber ungeimpften Personen, WD 3 - 3000 - 001/21, 25. Januar 2021