Hoher Kreml-Beamter sieht "Anfang vom Ende der Ukraine"

Selenski trifft in Kiew mit Nato-Militär-Chef Peach zusammen. Foto: Büro des Präsidenten, Regierung der Ukraine

Massiver Truppenaufmarsch beiderseits der ukrainisch-russischen Grenze

Am Donnerstag kam eine Warnung aus dem Kreml, wie sie es seit der heißen Kriegsphase 2014/15 nicht mehr gegeben hatte. Wenn Kiew militärische Handlungen im großen Maßstab im Donbass beginne, dann sei das "der Anfang vom Ende" der Ukraine, erklärte Dmitri Kosak, stellvertretender Leiter der russischen Präsidialverwaltung, gegenüber der Zeitung Kommersant.

Zum Aufgabenbereich Kosaks gehören die ehemaligen sowjetischen Nachbarrepubliken. Wenn die Ukraine einen Großangriff auf die Volksrepubliken starte, dann sei das "kein Schuss ins Bein, sondern in die Schläfe". Russland wolle "kein Territorium erobern", Russland wolle an seiner Grenze einen "freundlich gesonnenen, friedlichen und stabilen Staat".

Diese harte Warnung - ja fast Drohung - eines hohen Kreml-Beamten hat damit zu tun, dass Kiew in den letzten Tagen und Monaten die militärische Konfrontation verschärft und öffentlich erklärt hat, dass das 2015 ausgehandelte Minsker Abkommen zur Lösung der Krise im Donbass für die Ukraine keinerlei Nutzen hat.

Das Minsker Abkommen sieht vor, zunächst Wahlen unter internationaler Aufsicht in den Volksrepubliken abzuhalten und dann die Kontrolle der Grenze zwischen den Volksrepubliken und Russland ukrainischen Grenzorganen zu übergeben. Kiew dagegen fordert immer stärker erst die Kontrolle über Grenze zu Russland und dann würde es Wahlen in Lugansk und Donezk geben.

Die Volksrepubliken und Russland wollen dieses Verfahren nicht akzeptieren, weil sie nach der Übernahme der Kontrolle über die Grenze durch ukrainische Organe Racheaktionen ukrainischer Militärs und nationalistischer Bataillone gegen Vertreter der Volksrepubliken und ihrer Machtorgane fürchten.

Sogar Minsk als Ort, wo seit 2015 über die Umsetzung des Minsker Abkommens verhandelt wird, will Kiew nicht mehr akzeptieren, da es dort "starken russischen Einfluss" gibt. Stattdessen schlägt Kiew Polen als Land vor, wo man verhandeln könne.

Diplomatie am Ende

Russland sei bei einem ukrainischen Großangriff gezwungen, seine Bürger zu schützen, erklärte Dmitri Kosak.

Von 3,6 Millionen Einwohnern der Volksrepubliken Donezk und Lugansk (DNR und LNR) haben bereits 600.000 einen russischen Pass. Wladimir Putin hatte im April 2019 - kurz nach der Wahl von Selenski zum Präsidenten - eine vereinfachte Ausgabe russischer Pässe für die Bürger der Volksrepubliken angeordnet.

In den letzten Tagen hatte sich der Ton der Volksrepubliken und Russlands gegenüber der Ukraine deutlich verschärft. Der Leiter der Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin, hatte am 7. April erklärt, wenn die Ukraine die Volksrepubliken angreife, würden die DNR- und LNR-Soldaten - unterstützt durch Freiwillige aus Russland - nicht nur die Volksrepubliken verteidigen, sondern weiter in die Ost-Ukraine vorstoßen.

In der Südostukraine ist ein großer Teil der Bevölkerung russischsprachig und russischstämmig. Im Südosten der Ukraine hat die Russland-freundliche "Oppositionsplattform" ihre größte Anhängerschaft. Bei den Präsidentschaftswahlen 2019 bekam die Oppositionsplattform landesweit elf Prozent der Stimmen.

Erst "Fake News" - dann traurige Wahrheit

In der Volksrepublik Donezk stehen vor einem Haus im Gebiet Jasinowata, nicht weit von der "Kontaktlinie" zur Zentralukraine, ältere Frauen. Eine von ihnen ruft einem russischen Fernsehkorrespondenten mit verzweifelten Gesicht zu, "die sollen endlich mit dem Beschuss aufhören".

Derweil decken Dachdecker das Dach des mehrgeschossigen Hauses, in dem die Frauen wohnen. Es ist nicht das erste Mal, dass das Dach neu gedeckt wird. An der Frontlinie werden seit 2014 häufig Häuser neu gedeckt und Fenster neu eingesetzt.

Es sind vor allem Zivilisten die in diesem Krieg sterben. Am 2. April wurden dem fünfjährigen Wladislaw Dmitrijew im Dorf Aleksandrowskoje (russische Schreibweise) nicht weit von der Stadt Enakijewo durch einen von einer ukrainischen Drohne abgeworfenen Sprengsatz beide Beine abgerissen. Derartige Angriffe kleiner Drohnen gehören zum Terror der ukrainischen Armee gegen die Zivilbevölkerung.

Die ukrainischen Medien bezeichneten die Meldung von dem getöteten Jungen aus Aleksandrowskoje als Fake News. Auch der von Gasprom finanzierte liberale Radio-Sender Echo Moskau zweifelte an, dass der fünfjährige Wladislaw von einer ukrainischen Drohne getötet wurde.

Am 7. April wurde im Programm "60 Minuten" des russischen Fernsehkanals Rossija 24 gezeigt (ab Minute 13:22), wie OSZE-Beobachter den Hof vor dem Haus, in dem der Junge wohnte, untersuchten und Explosionsspuren ausmaßen. Das Ergebnis der Untersuchung konnte man im OSZE-Bericht vom 6. April nachlesen. Demnach war im Dorf Aleksandrowskoje "ein Kind durch Splitter- und Explosionsverletzungen gestorben". Wodurch die Explosion hervorgerufen wurde, schreibt die OSZE nicht.

Schon seit 2016 setzt die ukrainische Armee kleine bewaffnete Drohnen gegen die Zivilbevölkerung ein. Es ist ein kleiner, stiller Krieg, denn die Opfer, die diese Drohnen verursachen, tauchen nicht in den Schlagzeilen westlicher Medien auf. Hier ein Video von einer im September 2016 von der Lugansker Volkspolizei abgefangenen bewaffneten ukrainischen Drohne (ab Minute 1:25).

Über 100 Kinder sind in den Volksrepubliken durch Kriegshandlungen seit 2014 gestorben. Im Schors-Park der Stadt Lugansk gibt es sogar ein Denkmal aus kleinen Engeln für die getöteten Kinder und junge Bäume, die zum Andenken an die Getöteten gepflanzt wurden.

Truppenaufmarsch beiderseits der russisch-ukrainischen Grenze

Seit Tagen findet man in dem bei Russen populären Messaging-Dienst "Telegramm" Videos, welche die Verlegung von russischen Panzern und Schützenpanzern (hier und hier) und Flugabwehrgeschützen via Eisenbahn Richtung ukrainischer Grenze belegen sollen.

Auf den Videos fehlen allerdings Angaben über Ort und Datum der Aufnahmen. Auf einigen Videos sind aber russische Autokennzeichen und Schriftzeichen zu sehen. Die Bäume auf den Videos sind kahl, was darauf hindeutet, dass die Aufnahmen aktuell sind. Ein Video zeigt auch die Verlegung von russischen Panzern auf der Brücke Richtung Krim. Ein stichhaltiger Beweis, dass Russland die Ukraine überfallen will, sind diese undatierten Video-Schnipsel nicht.

Es gibt auch Aufnahmen von der Verlegung ukrainischer Militärtechnik Richtung Donbass. Hier ein Video, das angeblich aus der ostukrainischen Stadt Charkow stammt. Und hier ein Video von einem Aufmarschplatz, angeblich in der Ost-Ukraine, mit Hunderten von gepanzerten ukrainischen Militär-Fahrzeugen und sehr langen Reihen von Soldaten, die für irgendetwas anstehen.