Bundestagsgutachten stützt Kritik an geplanter Änderung des Infektionsschutzgesetzes

Parlamentsexperten verweisen auf einschlägige Gerichtsentscheide. Einschränkung von Grundrechten kann nicht nur mit Inzidenzwert begründet werden

Ein neues Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags stärkt Kritikern eines Kabinettsentwurfs zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes den Rücken. Das siebenseitige Papier, das Telepolis exklusiv vorliegt und das diesem Artikel zum Download anhängt, verweist auf mehrere Gerichtsentscheide, die teils erhebliche Zweifel an der alleinigen Begründung von Grundrechtseinschränkungen durch einen Inzidenzwert äußern, auch wenn damit die Virusverbreitung gehemmt werden soll.

"In der Rechtsprechung wurde das alleinige Abstellen auf Inzidenzwerte als Voraussetzung von Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie bereits öfter kritisiert", heißt es in dem Gutachten, das unmittelbar vor der geplanten Novelle des Infektionsschutzgesetzes verfasst worden war. Gerichte hätten vor allem Zweifel an der Verhältnismäßigkeit von Schutzmaßnahmen in größeren Gebieten wie Kreisen geäußert, sofern dies allein mit dem Inzidenzwert in diesem Gesamtgebiet begründet werde.

Entsprechende Beschlüsse haben Gerichte in München, Münster und Lüneburg gefasst. In der Fachliteratur äußerte unter anderem der Würzburger Jurist Henrik Eibenstein Kritik am Inzidenzwert als alleinigem Maßstab für eine Beschneidung von Grundrechten im Zuge der Corona-Maßnahmen (COVuR 2020, 688).

Ungeachtet dieser Einwände hatte das Bundeskabinett am Dienstag den Entwurf für eine erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorgelegt. Vorgesehen sind darin unter anderem Ausgangsbeschränkungen zwischen 21 Uhr und fünf Uhr morgens, wenn binnen drei aufeinanderfolgender Tage 100 Neuinfektionen mit dem neuartigen Corona-Virus Sars-CoV-2 oder seiner Varianten pro 100.000 Einwohner verzeichnet werden. Ab einem Inzidenzwert von 200 Neuinfektionen sollen auch Schulen wieder geschlossen werden.

Diese und weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sollen laut der Gesetzesnovelle in ganzen Landkreisen gelten. Damit nimmt die Bundesregierung trotz bekannter juristischer Einwände in Kauf, dass auch die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern beschnitten werden, an deren Wohnort die Infektionszahlen unter einer kritischen Grenze liegen.

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