Schmucke Fassade vor schmutzigen Feldzügen

Garnisonkirche und Rechenzentrum wie Bau und Gegenbau. Collage: Philipp Oswalt und Steffen Schuhmann

Die Potsdamer Garnisonkirche war das religiöse Zentrum der Eroberungskriege Preußens. Die Nazis griffen den Mythos auf. Den Befürwortern des Wiederaufbaus steht die Kirche für preußische Tugenden. Kontroverse um ein Symbol

Ein rechtsradikaler Bundeswehroffizier setzte sich vor Jahrzehnten für den Wiederaufbau der zerbombten und abgerissenen Garnisonkirche in Potsdam ein. Evangelische Kirchenfunktionäre sprangen auf den Aufbauzug und möchten aus dem vormals rechten Raum einen Versöhnungsort machen. Sie unterschätzen die Traditionslinien. In unseren Tagen ist Andreas Kalbitz einer der vehementesten Verfechter des Aufbaus, der bereits im Gange ist. Welche Art von Geschichtspolitik wird heute um diesen Ort gerankt?

Fragen an den Architekten und Hochschullehrer Philipp Oswalt, der bis 2014 die Stiftung Bauhaus Dessau leitete. Oswalt wendet sich gegen den bundesweiten Trend, beachtenswerte Bestandsbauten der Nachkriegsmoderne abzureißen und stattdessen verschwundene Repräsentationsbauten der Vormoderne wieder zu errichten, die der Verklärung der Geschichte dienen.

Der Historiker Paul Nolte vom wissenschaftlichen Beirat der "Stiftung Garnisonkirche Potsdam" sprach von einem "Feeling von früher", welches der Wiederaufbau herstelle. Worauf könnte er abzielen? Auf "Rekonstruktionsarchitektur"?

Philipp Oswalt: Rekonstruktionen hat es in der Baugeschichte immer gegeben, und auch in der Nachkriegszeit, in Ost- wie Westdeutschland. Dass wir gleichwohl von einer neuen Rekonstruktionswelle seit den 1980er Jahren sprechen, ist aber berechtigt, auch wenn sich die Zahl der Rekonstruktionen nicht erhöht hat. Neu ist, dass die Rekonstruktionen nun fotorealistisch zu sein haben, also den überlieferten Fotografien der äußeren Erscheinung der verlorenen Bauten zu entsprechen haben.

Die interpretierende Aneignung eines Erbes durch die Gegenwart ist heute kaum noch gewollt. Vielmehr will man den Eindruck erwecken, als habe es die ganzen Schmerzen der Geschichte nie gegeben. Und unter dem Deckmantel einer angeblichen Objektivität sucht man an den Wertekanon vordemokratischer Zeiten anzuschließen.

Der "Tag von Potsdam" wurde am 21. März 1933 in und an der Garnisonkirche zelebriert. Mit dem Handschlag zwischen Hindenburg und Hitler wurde das Ende der Demokratie besiegelt. Wurde die Garnisonkirche zum Opfer der Usurpation der Macht durch die Nationalsozialisten?

Philipp Oswalt. Bild: Nicolas Wefers

Philipp Oswalt: Die Betreiber des Wiederaufbauprojektes haben seit 1990 ein solches Opferbild konstruiert: Die Garnisonkirche stände für christliche Werte und preußische Tugenden, aber sei zu einem Opfer von Nationalsozialismus, Bombenkrieg und SED-Regime geworden: missbraucht, geschändet und abgerissen. Dies ist eine aberwitzige Verdrehung der historischen Tatsachen.

Die politische Problematik der Militärkirche beginnt schon mit ihrer Errichtung 1735 als Verknüpfung von Staat, Kirche und Militär. Hier wurden die preußischen Angriffs- und Eroberungskriege im 18. Jahrhundert, die Bruderkriege und die Kriege gegen Frankreich im 19. Jahrhundert, und die Kolonialkriege und beide Weltkriege im 20. Jahrhundert gesegnet, bejubelt und gefeiert.

Der Völkermord an der Herero und Nama ist mit dem Ort verbunden wie auch die Niederschlagung der Revolutionen von 1848/49 und 1918/19. Ab 1919 war es der Treff- und Symbolort für die antidemokratischen und rechtsradikalen Kräfte der Weimarer Republik.

Der Tag von Potsdam war mitnichten ein Bruch mit der Geschichte des Ortes, sondern reiht sich radikalisierend in diese unseligen Traditionen ein. Auch brachte die Kirche als Institution den Tag von Potsdam selbst mit auf den Weg und war an diesem auch aktiv beteiligt.

Das war deutlich. Der harte Kern der Befürworter des Aufbaus sieht hingegen die Garnisonkirche als Symbol der Vereinigung des christlichen Glaubens mit preußischen Tugenden. Wenn die Narrative derartig gegensätzlich sind, ist dann überhaupt noch ein Dialog möglich?

Philipp Oswalt: Nun, dies erfordert natürlich eine Kontroverse über das Geschichtsverständnis selbst. Wenn darüber Klarheit erlangt ist, stellt sich die Frage der Schlussfolgerungen für so ein Rekonstruktionsprojekt. Die verantwortliche "Stiftung Garnisonkirche Potsdam" ist – offenkundig unter dem Druck ihres wissenschaftlichen Beirats – von ihrer jahrzehntelang vertretenen Sichtweise kürzlich abgerückt und hat sich quasi das Geschichtsbild ihrer Kritiker zu eigen gemacht. Das war ein Kurswechsel von fast 180 Grad. Deswegen Veränderungen an dem Bauprojekt oder der Stiftungskonstruktion selbst vorzunehmen, lehnt sie bislang ab. Doch darum müsste es gehen, denn ihr früheres Geschichtsverständnis hat sich in beides tief eingeschrieben.

Der Urheber und Betreiber des Wiederaufbauprojektes war der rechtsradikale Bundeswehroffizier Max Klaar. Seine "Traditionsgemeinschaft" schenkte Potsdam 1991 den Nachbau des Glockenspiels der Kirche, um den Wiederaufbau zu promoten. Die Vorgänge um dieses Glockenspiel waren abstrus.

Philipp Oswalt: Ich würde es eher abgründig als abstrus nennen. Die politische Problematik von Max Klaar war von Anfang an bekannt. Die Stadt Potsdam meinte, mit dem Abschleifen der in die Glocken eingegossenen Karte Deutschlands in den Grenzen von 1937 und den entsprechenden Ortsnennungen wäre es getan.

Gleichzeitig machte man Klaar zum Ehrenkurator für das Stadtjubiläum und ermunterte ihn, das Wiederaufbauprojekt voranzutreiben. Und es war Klaar, der den Wiederaufbau politisch durchsetzte. Um 2001 stieg die evangelische Kirche in das Projekt ein und war jahrelang bemüht, einen Konsens mit Klaar zu finden. Daher folgt das heutige Projekt in den Grundzügen seinem Vorschlag, auch wenn er längst aus dem Projekt ausgestiegen ist. Das ist bitter. Und das ist abgründig.

Lernort ist nicht gleich Lernort

Wollte man den Kirchturm "authentisch" rekonstruieren, müsste man auch den Waffenschmuck wieder applizieren. Geht das mit dem Wiederaufbau nicht etwas zu schnell? Würden hier nicht vollendete Tatsachen geschaffen, bevor die Reflexion darüber einsetzt, welche Wunden die deutschen Vernichtungsfeldzüge bis nach China und Afrika geschlagen haben und wie das letztlich auf die Garnisonkirche selber zurückfiel?

Philipp Oswalt: Das ist doch genau das Problem: Klaar hat durchgesetzt, dass es keinen Bruch am Turm gibt, und alles originalgetreu rekonstruiert werden soll: der Waffenschmuck, die antifranzösische Wetterfahne und das Glockenspiel mit seinem antiaufklärerischen, reaktionären Liedgut.

Der Architekturkritiker Niklas Maak sieht in der Aufmöbelung und Restaurierung Potsdams eine Repräsentationsarchitektur "mit Fassaden im Classico-Dekor aus dem Nostalgiebaumarkt." Passt die Garnisonkirche in dieses Bild?

Philipp Oswalt: Absolut. Mit all den Abriss- und Rekonstruktionsprojekten versucht man, die Innenstadt von Potsdam von allen Spuren der DDR-Zeit zu bereinigen und ein idealisiertes preußisches Arkadien zu inszenieren. Das dahinter stehende Geschichtsverständnis ist reaktionär, und ein erheblicher Teil der Stadtbevölkerung kritisiert dieses Vorgehen, doch bislang haben die Eliten die Kritik übergangen und zwei chancenreiche Bürgerbegehren formal ausgehebelt.

Die barocke Garnisonkirche (1730-1735) auf einem Gemälde von 1827

Der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sprach sich gegen den Abriss des unmittelbar an die Grundfläche des Kirchturms grenzenden Rechenzentrums aus, einem Bau der DDR-Moderne, der heute Kreative und Start-ups beherbergt. Schubert schlug einen vermittelnden Bau zwischen Kirche und Rechenzentrum vor. Wie ist der Stand, was sind Ihre Perspektiven?

Philipp Oswalt: Ganz so klar hat sich der Oberbürgermeister noch nicht positioniert, aber immerhin hat er den bereits beschlossenen Abriss des Rechenzentrums hinterfragt und nochmals hierzu (und der damit verbundenen Frage des Kirchenschiffs der Garnisonkirche) einen Diskussions- und Entscheidungsprozess initiiert, der binnen zwei Jahren auch in einer solchen Entscheidung münden kann. Erste Ergebnisse sind nach einem Design-Thinking-Prozess bis Ende Juli dieses Jahres zu erwarten.

Die "Stiftung Garnisonkirche Potsdam", in der auch Bundespolitiker vertreten sind, hat sich mit ihrem jüngsten Vorschlag eines Lern- und Erinnerungsortes zur geschichtlichen Rolle der Garnisonkirche an die Position Ihrer Initiative angenähert. Kann man nun die Akten schließen, oder gibt es noch für die Zukunft etwas zu tun?

Philipp Oswalt: Leider ist dieser Lernort einstweilen nur ein Feigenblatt, 230 Quadratmeter im 3. Obergeschoss abseits der Hauptbewegungsströme der Besucher. Wer nur Kapelle, Café und Shop im Erdgeschoss und die Aussichtsterrasse im Turm besucht, bleibt von kritischen Inhalten verschont und kann ungebrochen in Preußen-, Militär- und Kirchennostalgie schwelgen. Sicherlich ist es bemerkenswert, dass die Stiftung jetzt Positionen ihrer Kritiker übernimmt, die sie dafür früher als Kirchenhasser und Ulbrichts Enkel bezichtigte.

Aber so lange sonst alles beim Alten bleibt, hat das wenig Relevanz. Die vorgesehene Ausstellung ist reversibel und kann in zwei Jahrzehnten auch umgestaltet werden. Was bleibt, ist die Architektur und die institutionelle Struktur. Solange es hier zu keinen substanziellen Änderungen kommt, transportiert das Projekt nach wie vor Ideen seines rechtsradikalen Initiators Max Klaar. Und dies unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, überwiegend finanziert mit über 30 Millionen Euro öffentlicher Mittel.

Zurück auf Anfang: Seit dreieinhalb Jahrzehnten werden wechselnde Leitbilder und Konzepte aufgetischt und wieder weggewischt. Was sagen Sie zu dem Zitat: "Warum muss man die Garnisonkirche wieder errichten, um die Ideologie und Wirkungsgeschichte, die sie repräsentiert, zu widerlegen?"

Philipp Oswalt: Die Aufbaubefürworter versuchen manchmal, die Kontroverse um das Projekt als Beweis zu nehmen, wie sinnvoll dieses als Lernort deutscher Geschichte sei. Aber ein Lernort braucht keine maßstabsgerechte Rekonstruktion (und auch keine Kapelle oder Aussichtsplattform).

Um es extrem zu sagen: Wir müssen weder KZs noch das Gestapo-Hauptquartier oder die Reichskanzlei nachbauen, um uns damit zu befassen. Drei Jahrzehnte wurde das Projekt als Identifikationsort propagiert und vorangetrieben, mit dem expliziten Bemühen, Kontinuitäten wieder herzustellen. Preußen hat auch tolle Seiten, aber dieser Ort steht wie kaum ein anderer für seine dunklen, abgründigen Seiten.