Was ist das Pöbeln auf Social Media gegen die Gründung von Social Media?

Warum wir Hass im Netz von Wut über Verhältnisse innerhalb und außerhalb des World Wide Web unterscheiden sollten. Ein Debattenbeitrag

Es gibt es Menschen, die etwa auf Twitter zwar ihre Berufsbezeichnung angeben, aber zusätzlich verkünden, sie seien "hier privat unterwegs". Dass dieses private Unterwegssein öffentlich geschieht, hat bemerkenswerterweise bisher noch niemanden sonderlich befremdet. Man möge hier doch bitte zu allen nett sein, auch zum Springer-Redakteur, der sich "privat", im Morgenmantel, auf den Marktplatz begibt, um dort seine neue Ware (Hetzartikel gegen Migranten) schreiend anzupreisen. Der Hass im Netz sei da fehl am Platze. Aber er soll da gerade fehl am Platze sein.

Wo der offiziös Statusmeldungen twitternde Prominente sich doppelt angreifbar macht, ist der Troll doppelt unangreifbar. Er ist überhaupt nur dort, um anzugreifen. Ihm gehört das Feld, weil er der Handelnde ist. Von ihm geht die Aktion aus. Der Troll kennt keine Bubble-Ethik ("Netiquette"), er ist Auftragstäter, aber auf eigene Rechnung. (...)

Die sozialen Medien wurden schon nach wenigen Jahren von Journalisten dominiert. Sie sind mitnichten ein Ort der privaten Belange, der "SMS an alle", des freundlichen Nebeneinanders verschiedenster Wertevorstellungen innerhalb eine "Netzgemeinde". Social Media ist zu einer weiteren Apparatur der offiziellen Nachrichtensphäre und ihrer Zuträger geworden, mit der gewohnten Abhängigkeit von staatlichen Einrichtungen und politischen Parteien.

Das Internet ist Medium, also Vermittlung, nicht unmittelbares. Andere Annahmen sind ein romantischer Irrealismus, der dann letztlich auf Jules Renards Satz "Man sollte gar nichts sagen, denn alles verletzt" hinausläuft, also die endgültige, konsequente Sprach- und damit Begriffslosigkeit. Das scheint überhaupt die übergeordnete Absicht der sich Empörenden – ob von links oder rechts – zu sein: jedwedes Denken und Begreifen abzustellen und durch eine Moral der Tierherde zu ersetzen.

Vorstadium einer digitalen Zivilisiertheit

Dabei ist es so weit gekommen, dass die Vermittlung heute selbst nichts mehr über ihre eigene Vermitteltheit weiß. So werden User inzwischen vor dem Absenden einer Nachricht gemahnt, noch mal in sich zu gehen und sich zu fragen, ob man das Geschriebene dem Empfänger der Nachricht (oder seiner eigenen Mutter) auch persönlich ins Gesicht sagen würde.

Man stelle sich vor, bei jeder Abgabe eines Briefes würde der Postbeschäftigte fragen, ob man denn auch wirklich keinen Drohbrief oder eine Briefbombe versende oder ob man die Formulierungen, die man fürs Finanzamt wählt, auch in der Postkarte an den Ehepartner verwenden würde.

Das Social-Media-Stadium der Menschheit erweist sich erst als Vorstadium einer noch umzusetzenden digitalen Zivilisiertheit, denn Zivilisationen haben indes gelernt, Unterscheidungen zu treffen und ungleiches nicht mit gleichem Maß zu messen.

Leute mögen von Beruf Sozialarbeiter, Erzieherin, Krankenpfleger und überhaupt grundgütige Personen und der Modus der Nettigkeit und Höflichkeit mag in ihren privaten und beruflichen Umfeldern vollkommen angemessen sein. Aber sie begehen den Fehler, diese berufsmäßigen und privaten Verhaltensgewohnheiten im Internet beizubehalten, also davon auszugehen, das Gewühl der öffentlichen Weltvollverblödung namens Social Media funktioniere nach denselben Gesetzmäßigkeiten wie die Abläufe in ihrem Berufs- oder Privatleben.

Im Zwischenmenschlichen gelten soziale Regeln, also solche der Moral. Deren Übertragung auf die sozialen Netzwerke führt dazu, dass auch politische Geschehnisse nur noch auf jener Ebene, also moralisch, persönlich beurteilt werden - und leider auch zunehmend bei Linken.

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