Was Corona-Kritikern einleuchtet

Viele Gegner der Pandemie-Maßnahmen wollen nicht glauben, dass sich der Staat um die Volksgesundheit sorgt. Was leuchtet ihnen aber dann ein? (Teil 1)

Dass ein Virus die Systemfrage stelle, war am Anfang der Pandemie vor einem Jahr oft zu hören. Linke Hoffnungen diesbezüglich haben sich inzwischen weitgehend in die allgemeine Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Normalität eingereiht. Und das, obwohl diese Normalität die ganze Grundlage dafür abgibt, dass aus einer Infektionskrankheit eine Jahrhundertkrise hervorgehen konnte.

Die staatlichen Pandemiemaßnahmen unterbrechen eben nicht nur zwischenmenschliche Kontakte, sondern auch etliche Wertschöpfungsketten, auf denen die Reproduktion einer kapitalistischen Gesellschaft wesentlich beruht.

Wo nur produziert und gearbeitet wird, weil daran zu verdienen ist, kommt bei Wegfall oder Einschränkung dieser Bedingung vieles ins Stocken – und wird bei der Bevölkerungshälfte prekär, deren Einkommen im Normalfall bis zum Monatsende reicht.

Sie soll sich dann noch glücklich schätzen, dass sie mit ihrer geschäftsdienlichen Benutzung zur finanziellen Macht ihres Staates beigetragen hat, der damit kompensatorisch in die Krise eingreifen kann. Solche Systemfragen gehen ein Virus nichts an.

Im Pandemieverlauf hat sich eine weitere ökonomische Sicht der Dinge eingestellt, die auf ihre Weise einen Krankheitserreger als ursächlich für die gesellschaftliche Misere ausschließen will - indem sie ihm den Status eines Anlasses oder Vorwands zuweist. Wie das geht, soll an ein paar Fallbeispielen aufgezeigt werden.

Mittelstand

Der "Publizist und interventionistische Philosoph", Werner Rügemer, auch im Beirat von Attac, kam neulich auf der Suche nach den "Profiteuren der Corona-Krise" zu einem Ergebnis: "Die Gesundheits- und Solidaritätsprediger des Corona-Managements waren noch nie Vertreter der öffentlichen Gesundheit", müssen also die Anwälte einer anderen Sache sein: "Die Unternehmer-Lobby und ihr parlamentarischer Arm (…) basteln immer unverschämter an einem autoritären Unternehmer-Staat, zulasten der abhängig Beschäftigten, der Selbstständigen und des kleinen Mittelstands."

Der fragliche Artikel hierzu will sich "auf die Lage der Beschäftigten" konzentrieren. Zur Sprache kommen dabei, und das zu Recht, die vom Infektionsschutz-Gesetz ausgenommenen Unternehmen, die Fleischindustrie, ein Lockdown, der drei Viertel der Beschäftigten weiter im Betrieb lässt, der Arbeitskräfte-Nachschub aus den verarmten EU-Staaten, die abgelehnte Erhöhung des Mindestlohns und die halbe Million Altenpflegerinnen, die ungesichert schwarzarbeiten.

Aber schon hier stellt sich die Frage, ob von solchen Zuständen nicht auch "Selbstständige und der kleine Mittelstand" geschäftlich profitieren. Und es geht weiter: "Das Betriebsräte-Stärkungsgesetz wurde auf Druck der CDU/CSU verschoben." Dieses Regelwerk heißt inzwischen "Betriebsräte-Modernisierungsgesetz" und wurde Anfang April auf den Weg gebracht.

Dabei teilt Rügemer mit, dass von "insgesamt 7,8 Millionen Betrieben" "5,6 Millionen Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten" gemäß Betriebsverfassungsgesetz für einen Betriebsrat gar nicht infrage kommen. "Nach Angaben des DGB wurde bei der Betriebsrats-Wahl 2018 (…) in 26.000 Betrieben" gewählt.

Den Zahlen ist also klar zu entnehmen, dass der bürgerliche Staat seinen kleineren Mittelstand und dessen Geschäftserfolg von der Umständlichkeit einer betrieblichen Mitsprache freigehalten und dieses Instrument der sozialen Befriedung in größeren Unternehmen vorbehalten hat. Dann folgt das "Lieferkettengesetz", das die Mitverantwortung von Betrieben für ihre Zulieferer aus Billiglohn-Ländern zum Thema hat, dessen Entwurf jedoch "bis zur Wirkungslosigkeit verstümmelt" worden sei.

"Danach wären zunächst nur Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten betroffen – insgesamt nur 600 in ganz Deutschland, und das auch erst ab 2023. Ab 2024 sollen auch Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten einbezogen werden - das wären dann immerhin 2.700." Die weitgehende Rücksichtslosigkeit gegenüber den "abhängig Beschäftigten" in der Dritten Welt ist evident, die Rücksicht auf die versammelten deutschen Klein- und Mittelbetriebe aber auch.

Und so verfehlen die von Rügemer angeführten Fälle des Lieferketten- und Betriebsräte-Gesetzes eine seiner Beweisabsichten: die vom Unternehmerstaat, der den Mittelstand ruiniert.

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