Der politische Islam im Marsch durch die Institutionen

Türkische konservative Organisationen in Deutschland und die Nähe zur AKP. Hintergründe und Kommentar zu einer Diskussion mit Minenfeldern

Langsam sickert bei den Parteien die Erkenntnis durch, dass Vertreter und Vertreterinnen des sogenannten politischen Islam, auch legalistischer Islam genannt, zunehmend in Parteien, Behörden und Wohlfahrtsverbänden vertreten sind. Experten warnen schon länger davor, dass dies problematisch ist.

Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen türkischen Nationalisten und Islamisten oft fließend sind. Es gibt keine einfachen Antworten, wie damit umzugehen ist. Die Diskussion darüber birgt viele Minenfelder. Kritikern dieser Entwicklung wird schnell antimuslimischer Rassismus oder AfD-Nähe vorgeworfen. Um nicht in dieser Schublade zu landen, werden problematische Positionen verschwiegen, verharmlost oder relativiert.

Niemand stellt mehr die Frage, für welches gesellschaftliche System, für welche Werte die Muslimbrüder, Milli Görüs, Ditib, Atib oder die Gülenisten eintreten. Man müsse mit den Gruppen oder Personen reden, auch wenn sie problematische Positionen vertreten. Sie seien Teil der Zivilgesellschaft und dürften nicht ausgegrenzt werden, heißt es bis ins linke Lager hinein. Würden sie auch so argumentieren, wenn es sich um deutsche Faschisten, Reichsbürger, Ökofaschisten oder christliche Fundamentalisten handelt?

Konservative Muslime in den Bundestag?

Bülent Güven, ein Vertrauter und Mittelsmann des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan forderte in der Zeit, die Parteien sollten Bundestagsmandate für konservative Muslime bereitstellen. Schon der Begriff "konservative Muslime" wirft die Fragen auf, wer damit gemeint ist und was mit dieser Forderung bezweckt wird? Ist es wichtig, ob ein konservativer, liberaler oder linker Bewerber für ein politisches Mandat Christ, Jude, Muslim oder Ezide ist?

Güven bewarb sich in der Hamburger SPD um ein Bundestagsmandat und scheiterte. Für ihn war dies ein Beweis, dass "gläubige Muslime" gezielt von der politischen Teilhabe ausgegrenzt werden. Womit wir mit der Person Güven beim Minenfeld der Erdogan-Anhänger in Deutschland wären und beim Minenfeld "politischer Islam". Ali Ertan Toprak, Kurde und CDU-Mitglied, schreibt in seinem Kommentar für die Zeit, dass Deutschtürken, die Sympathien für Erdogan und seine Politik hegen, von den deutschen Volksparteien zunehmend gemieden werden.

Dies stimmt allerdings nur bedingt, denn Kanzlerkandidat Armin Laschet ist z.B. bekannt dafür, dass er eine Affinität für das Erdogan-Regime hat und in seinem CDU-Umfeld auch türkeistämmige Personen mit Kontakten in nationalistisch-islamistische Kreise unterstützt werden.

Toprak hat trotzdem recht. Denn es wird in den Parteien mittlerweile genauer hingesehen, wie loyal die Bewerber und Bewerberinnen zur deutschen Demokratie stehen. "Ein wahrer deutscher Demokrat kann keinen Autokraten im Ausland unterstützen, der die Demokratie, den Rechtsstaat und die Pressefreiheit abschafft", schreibt Toprak.

Mit welchem Motiv kandidiert jemand in Deutschland in einer demokratischen Partei, wenn er wie Bülent Güven ein System unterstützt, in dem die Demokratie gerade abgeschafft wird?

Das Minenfeld der Erdogan-Anhänger

Bülent Güven ist Erdogan-Lobbyist in der Union Internationaler Demokraten (UID, bis 2018 UETD genannt). Als Vertreter der UID in Deutschland hat er für Erdogan und für die AKP eine wichtige Funktion. Er wurde persönlich vom türkischen Präsidenten empfangen und durfte, so die Zeit, neben Erdogan auf dem Stuhl Platz nehmen und nicht etwa auf dem Sofa. Der Name Union Internationaler Demokraten täuscht. Die Organisation ist weder international noch demokratisch.

Die UID gilt als inoffizielle Auslandsorganisation der türkischen Regierungspartei AKP und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Nun ist die Erdogan-Regierung von Demokratie weiter denn je entfernt. Gleichzeitig verbreitet die UID seit Jahren Erdogans Botschaft an die türkeistämmigen Bürger und Bürgerinnen im Ausland:

"Lasst euch in den Einwanderungsländern einbürgern, dient aber eurem Herkunftsstaat Türkei!"

Der damalige Chef der rechtsextremen MHP, Alparslan Türkes, rief schon "1996 auf einem Kongress der Türkischen Föderation in der Essener Grugahalle seine Anhänger zum Eintritt in die CDU auf. Ziel war es, die CDU zu unterwandern, um die deutsche Politik im eigenen Sinn beeinflussen zu können. Ein Beispiel ist der 1979 gegründete national-konservative Verein "Hür-Türk", der sich selbst als türkische Zweigstelle der CDU/CSU bezeichnet" (Graue Wölfe in Deutschland).

Nun wurde bekannt, dass AKP-Stadtverwaltungen in den vergangenen zwei Jahren bis zu 1.000 Menschen mit sogenannten "Grauen Pässen" nach Deutschland geschmuggelt haben. Die Hannoveranische Staatsanwaltschaft ermittelt in einem Fall eine Delegation aus dem nordöstlichen Korgan im letzten Sommer. Von 53 Delegationsmitgliedern des Projektes für Umweltsensibilität kehrten nur vier Teilnehmer zurück, so der Tagesspiegel: "Es seien nur Leute nach Deutschland geschickt worden, die der Türkei zur Last gefallen wären, sagte der AKP-Bürgermeister Sabahattin Kaya aus Akacakiraz."

Das türkische Innenministerium leitete zwar Ermittlungen gegen mehrere AKP-Stadtverwaltungen ein, aber das dürfte nur eine vordergründige Nebelkerze sein. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, auf diesem Wege AKP-Angehörige nach Deutschland zu bringen, um hier Einfluss zu nehmen.

Laut einem Bericht der Jüdischen Rundschau verwies die Hannoversche Allgemeine Zeitung 2016 auf einen Screenshot des Smartphones der Vorsitzenden der regionalen SPD-Arbeitsgruppe "Religion und Vielfalt", Zeynep Dogrusöz, deren WhatsApp-Profil mit einem Zitat des türkischen Blut-und-Boden-Ideologen und Gründers der faschistischen "Grauen Wölfe" geziert war.

2017 bedankte sich der nationalistische "Türkische Jugend- und Studentenbund e.V. - Türk Öğrenci Birligi" bei Dogrusöz und dem FDP-Kommunalpolitiker Ekim Bulut für ihr Engagement türkischer Belange, als es um die Ablehnung der Benennung eines Platzes nach dem 1994 in Hannover ermordeten Kurden Halim Dener ging.

Cemile Giousouf, CDU-Mitglied und 2013-2017 Abgeordnete im Deutschen Bundestag, trat bei Veranstaltungen der fundamental-islamischen "Milli Görus" auf. Kritik begegnete sie mit dem Argument, sie hätte sich mit den IGMG-Vertretern getroffen, um Solidarität zu zeigen, da auf eine Milli-Görüs-Moschee Brandanschläge verübt wurden. Giousouf soll auch auf Veranstaltungen der von "Grauen Wölfen" gegründeten ATIB (Avrupa Türk-İslam Birligi) teilgenommen haben, berichtete die Jüdische Rundschau.

Ein anschauliches Beispiel, wie sich rechte Türken gegenüber der deutschen Öffentlichkeit modern und weltoffen präsentieren, ist die Partei Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit (BIG). In ihren deutschen Publikationen hält sie Vielfalt, Diversität und Interkulturalität hoch, auf Türkisch präsentiert sie sich antisemitisch und homophob.

Der Parteivorsitzende Haluk Yildiz warf 2019 "den Grünen nach der Wahl von Belit Onay zum Oberbürgermeister von Hannover unter anderem vor, Familienwerte zu zerstören, indem er Propaganda für Homosexualität betreibe. Onay ist verheiratet und hat zwei Kinder. Yildiz kritisierte die türkischen Wähler des liberal-muslimischen Onay scharf:

"Entweder begnügt man sich damit, prinzipienlos zu sein, oder man nimmt eine ehrenhafte Haltung ein, damit man dem Türkentum und dem Islam gerecht wird."

Im Frankfurter Römer, der Stadtverordnetenversammlung hat sich die BIG-Partei mit der Partei Bürger für Frankfurt (BFF) zusammengeschlossen, einer Partei, die zwischen CDU und AfD zu verorten ist. Damit bekam sie Fraktionsstatus und eine finanzielle Ausstattung von etwa 200.000 Euro pro Jahr. Die BFF tritt laut Frankfurter Rundschau bei Pegida-Veranstaltungen in Frankfurt am Main mit Kadern der NPD, Hooligans und anderen Rechtsextremen auf, die bekanntlich Migranten nicht gerade freundlich gesinnt sind.

Der Bundesvorsitzende der BIG-Partei, Haluk Yildiz, ist ein Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, den er in zahlreichen TV-Talkshows verteidigte. Wie geht das zusammen? Der Publizist Eren Güvercin meint:

"Dieses Bündnis bestätigt, dass identitär und nationalistisch denkende Menschen mehr Gemeinsamkeiten haben als Trennendes."

Ein weiteres Beispiel ist die ebenfalls von Türken gegründete Partei AD-Demokraten, Allianz Deutscher Demokraten, auch bekannt unter ADD. Sie tritt für mehr Patriotismus und Nationalstolz in einem multinationalen und multireligiösen Deutschland ein. Frauenforschung und Gleichstellung von LGBTIQ* lehnt sie als "ideologisch unterfütterte Gleichmacherei" ab.

Sie kritisiert den Sexualkundeunterricht und die Gleichstellung von Homosexuellen. Auf Parteiveranstaltungen beziehen sich die Mitglieder häufig auf ihre osmanischen Wurzeln. Von den faschistischen Grauen Wölfen grenzt sich die Partei ebenso wenig ab wie von der islamistischen Organisation Milli Görüs, berichtet der Bayerische Rundfunk.

Die Partei AD-Demokraten wurde 2017 vom Berliner UID-Mitglied Remzi Aru als Reaktion auf die Bundestags-Resolution zum Völkermord an den Armeniern gegründet. Aru organisierte mehrere Auftritte Erdogans in Deutschland. Auf Social-Media-Kanälen hetzt er gegen die Opposition in der Türkei, in Deutschland bezeichnete er den grünen Bundestagsabgeordneten und Erdogan-Kritiker Özdemir als "lufthansameilenstehlender Cannabiszüchter" und "Polit- Horrorclown", die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen nannte er "Terrormoppel".

2018 erklärte die Partei in türkischsprachigen Mitteilungen, den Syrien-Einmarsch der Türkei "bis zum Schluss" zu unterstützen. Im Gespräch mit dem NRW Landesvorsitzenden der AD-Demokraten, Selcuk Cingi unter einem ADD-Wahlplakat mit Erdogans Konterfei prophezeit der Vorsitzende Aru, sie würden in 15 Jahren die Regierungsverantwortung übernehmen Nun ja, bei den Landtagswahlen in NRW 2017 erreichten sie gerade mal 0,2 Prozent. Bundesweit spielen sie bis heute keine Rolle.

Fast alle türkischen konservativen oder muslimischen Organisationen in Deutschland haben die Nähe zur AKP gemeinsam. Die AKP-Propaganda der Türkei wird durch sie direkt nach Deutschland getragen, ob in Veranstaltungen, sozialen Projekten oder über die türkische Religionsbehörde Diyanet in Moscheen. Ganz oft gibt es auch Verbindungen zu den Grauen Wölfen, zu Salafisten und teilweise sogar zum sogenannten "Islamischen Staat".

Das macht den Umgang mit diesen Organisationen so schwierig. Ginge es nur um eine konservative Grundhaltung auf dem Boden demokratischer Werte, wäre ein konstruktiver Dialog möglich. Aber die fehlende Abgrenzung zu nationalistischem, antisemitischem und rassistischem Gedankengut einerseits und ein unterschiedlicher Diskurs gegenüber der eigenen Klientel und gegenüber der deutschen Gesellschaft verhindern eine konstruktive Auseinandersetzung.

In den eigenen Reihen wird die AKP-Politik gepredigt und gegenüber der deutschen Gesellschaft gibt man sich aufgeschlossen, divers und modern. Der fließende Übergang zwischen den AKP - Lobbyorganisationen und muslimischen Organisationen führt zum nächsten Minenfeld: zum politischen Islam.