Wie ein spanischer Pflichtverteidiger Goldman Sachs besiegte

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US-Investmentbank musste auf die Privatisierung von 3.000 Sozialwohnungen verzichten

Der Pflichtverteidiger César Pinto verteidigt seit 20 Jahren "kleine Leute" in der spanischen Hauptstadt Madrid, die aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt werden sollen, Einwanderer ohne gültige Papiere oder Menschen wie Rachid Bouikou. Der 41-jährige Familienvater mit marokkanischen Wurzeln wollte es vor acht Jahren nicht hinnehmen, dass die Miete seiner Sozialwohnung in Navalcarnero plötzlich um 140 Euro erhöht werden sollte.

Er beschloss deshalb, den Verkauf von knapp 3.000 Sozialwohnungen anzufechten. Unternommen hatte den die rechte Regionalregierung der Hauptstadtregion Madrid, die die Wohnungen an einen "Encasa Cibeles" verkaufte - das ist ein sogenannter "Geierfonds", der zu 97 Prozent der US-Investmentbank Goldman Sachs gehört.

Dem Bauarbeiter Bouikou, der sich selbst als stur bezeichnet, fiel als Verteidiger der ebenfalls sture Anwalt Pinto zu, der sich mit Herz und Seele auch diesem Verfahren gewidmet hat. Gerichte hatte ihm immer wieder erklärt, seine Klage sei "aussichtslos". Ebenfalls betroffene Nachbarn von Bouikou machten sich derweil über den Bauarbeiter lustig. Denn viele gingen davon aus, dass gegen die Rechtsabteilung eines Giganten wie Goldman Sachs und die Anwälte der Regionalregierung nichts auszurichten sei.

Doch die Geschichte von "Rachid gegen Goliath", wie der Fall auch genannt wird, nahm auch für Goldmann Sachs einen unerwarteten Ausgang. Es gelang dem sturen Gespann Pinto-Bouikou nicht nur, den Verkauf von 2.935 Wohnungen an Encasa Cibeles rückgängig zu machen, sondern der Fall hat nach Urteilen, Widersprüchen und neuen Urteilen schließlich Rechtsgeschichte am Obersten Gerichtshof des Landes geschrieben.

Der Weg war lang und steinig. Auf der Strecke blieben dabei etliche Nachbarn, die die Mieterhöhungen nicht bezahlen konnten, ausgezogen sind oder per Zwangsräumung aus ihren Wohnungen geworfen wurden. Andere wurden von Käufern über Abfindungen aus den Wohnungen gedrängt, denn Encasa Cibeles hatte zwischenzeitlich mit dem Verkauf der Wohnungen begonnen. Der Mieteraktivist José Castro schätzt, dass dadurch etwa ein Drittel der betroffenen Familien aus ihren Sozialwohnungen vertrieben wurden.

Bouikou ließ sich aber nicht unterkriegen, er zahlte die Mieterhöhungen nicht, trotzte Räumungsandrohungen und ging juristisch vor. Im November 2017, so erklärt sein Anwalt im Interview, fiel am Obersten Gerichtshof nach vier Jahren die erste wichtige Entscheidung für den Bauarbeiter. Der Gerichtshof erkannte sein Recht an, den Verkauf anfechten zu können. Das hatten ihm untergeordnete Instanzen zuvor abgesprochen.

Seither hat sich das Blatt zunächst für Bouikou und schließlich für alle Betroffenen immer deutlicher gewendet. Im Jahr darauf annullierte der Oberste Gerichtshof auch die Mieterhöhung und urteilte, dass die Wohnung des Bauarbeiters weiter der Madrider Regionalregierung gehört. Stellvertretend für alle Mieter kämpfte das Gespann weiter. Es erreichte schließlich im Frühjahr, dass der Gerichtshof die Entscheidung allgemeinverbindlich erklärte, womit sich seither wieder alle Wohnungen in der öffentlichen Hand befinden.

Das ist aber nicht deren Wille. Wie der Anwalt Pinto erklärt, hat die rechte Regionalregierung unter Isabel Ayuso ein weiteres Verfahren angestrengt, um zu versuchen, die Auswirkungen des Urteils zu begrenzen. Denn etliche Nachbarn, die sich auch geweigert haben, Mieterhöhungen zu zahlen, sind weiter enormen Geldforderungen von bis zu 10.000 Euro ausgesetzt.

Sie hoffen nun, dass auch die gestrichen werden. Die Rechtsabteilung von Goldman Sachs hat derweil die 3000 Wohnungen definitiv abgeschrieben. Sie hat nun deshalb die Madrider Regierung auf einen Schadensersatz in der Höhe von fast 200 Millionen Euro verklagt.

Für den Anwalt Pinto ist entscheidend, dass nun eine Doktrin geschaffen wurde, die Mietern beim Verkauf von Sozialwohnungen das Recht einräumt, gegen den Verkauf zu klagen. Das gilt nicht nur für Madrid, sondern für das gesamte Land. Damit wird es nach Ansicht des Anwalts in Zukunft viel schwieriger, Lücken oder angebliche Lücken im Haushalt über den Verkauf von Sozialwohnungen zu stopfen.

Als der Gerichtshof den Verkauf annullierte, stellte er fest, dass die Regionalregierung in keiner Weise begründet hatte, dass diese Sozialwohnungen "unnötig" seien. Für den Anwalt war das ein Unding, schließlich erfüllten Sozialwohnungen eine soziale Funktion. Die Garantie einer bezahlbaren Miete entfalle, wenn sie in private Hände geraten. In einigen Fällen hatten sich die Mieten zum Teil deshalb sogar mehr als vervierfacht.