Generäle aus altem Eisen, die einen Putsch beschwören

Foto: Linda Holman/Unsplash

Was ist los in Frankreich? Spielt alles für Le Pen? Ein Drohbrief von zwanzig Generälen und der Trumpismus von rechts

Es gibt das "mythische Frankreich", das gekonnt vom General de Gaulle beschworen wurde. Wie schwer da Wahrheit von Dichtung zu unterscheiden ist, ist sehr anschaulich in Peter Scholl-Latours Buch "Leben mit Frankreich" nachzulesen. Wie geschickt der mythische Patriotismus von de Gaulle politisch bespielt und benutzt wurde, kann man daran ablesen, dass sich französische Politiker aus allen politischen Lagern regelmäßig auf ihn berufen. Die Berufung und das "tiefe Frankreich" spielen eine zentrale Rolle in dieser Erzählung.

Und es gibt die Popularitätserfolge unserer Tage von Trump, dessen Kommunikationsstil auf die Rechten in Frankreich, besonders auf Marine Le Pen, Chefin des Rassemblement national (zuvor: Front national), tiefen Eindruck gemacht hat.

Sie sieht augenblicklich aus wie die Siegerin eines Kommunikationsfeldzugs, der vor elf Tagen mit dem offenen Brief von Generälen begonnen hat, in dem sie mit einem "Putsch" liebäugelten oder drohten. Im Schreiben der Generäle, die allesamt zum "alten Eisen" gehören - keiner ist mehr im aktiven Dienst -, heißt es:

Wir sind bereit, eine Politik zu unterstützen, die den Schutz der Nation berücksichtigt. Andererseits, wenn nichts getan wird, wird sich die Laxheit in der Gesellschaft unaufhaltsam weiter ausbreiten und schließlich zu einer Explosion und dem Eingreifen unserer aktiven Kameraden in einer gefährlichen Mission zum Schutz unserer zivilisatorischen Werte führen.

Aus dem Brief "Für eine Wiederherstellung der Ehre unserer Regierenden"

Erschienen ist der Brief am 21. April im rechten Magazin Valeurs actuelles. Die Reserve-Generäle, die ihn verfasst haben, sind auch in einem anderen Sinn "altes Eisen": Sie werden ideologisch der extremen Rechten zugeordnet. Dafür gibt es, wie nicht nur Jean-Dominique Merchet hinweist - um einen Autor zu nennen, der absolut nicht dem linken Lager zugerechnet werden kann -, handfeste Belege.

Wichtig zu erwähnen ist: Es findet sich kein aktiver Fünf-Sterne-General unter den Unterzeichnern. Von den Generälen, die den Brief unterzeichneten, ist längst schon keiner mehr im aktiven Dienst, 19 sind noch im Reservedienst, einer war vor fünf Jahren in den Ruhestand versetzt worden, "nachdem er 2016 an einer verbotenen Kundgebung der extrem rechten Pegida-Bewegung in Calais teilgenommen hatte" (NZZ).

Die ungemütliche Frage

Der gegenwärtige Status der übrigen Generäle, der amtlich "S2" heißt, ist kein Pensions-Status. Die Reservisten-Generäle halten dadurch auch Kontakt mit den Streitkräften. Das berührt die Frage, inwieweit ihre Positionen Haltungen von aktiven Armeeführern und Militärs repräsentieren? Das ist eine ungemütliche Frage und sie ist nicht wirklich geklärt.

"Die Zahl der Unterzeichner der in Valeurs actuelles veröffentlichten Putschdrohung ist von 12.000 auf 21.000 gestiegen (...) Innerhalb einer Woche unterzeichneten 10 Prozent der französischen Armeemitglieder den Brief der Generäle", konstatierte ein Blog auf Mediapart am ersten Mai.

Auch wenn die Zahlen nicht so einfach auf die Armee zu übertragen sind, zu erkennen ist ein Unbehagen. Im zuständigen Ministerium hatte man vergangene Woche damit begonnen zu überprüfen, ob sich unter den "mehreren hundert Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften", die den Brief unterzeichnet haben, aktive Mitglieder der Armee befinden.

Begeistert vom eigenen Anspruch

Mittlerweile hat man offenbar 18 aktive Soldaten entdeckt. Ihnen droht eine Strafe, die von einem Verweis bis zu ihrer Entlassung aus dem Militär gehen kann. Die hochbetagten Generäle haben dagegen keine schmerzlichen Sanktionen zu befürchten.

Angekündigt hatte die Maßnahmen der Chef des französischen Generalstabs, François Lecointre. Er machte deutlich, dass die Publikation "inakzeptabel" sei. Es folgten dann weitere Scharmützel am Rande, bei denen offenbar erst das Selbstverständliche klargestellt werden musste, dass nämlich die Armee sich der politischen Macht unterzuordnen hat und nicht auf gleicher Augenhöhe mit der Regierung und dem Präsidenten steht.

Das Politikum an den Debatten dazu ist die Unterstützung Marine Le Pens für den Putsch-Brief der Generäle. Erst danach erfolgten offizielle Reaktionen aus der Regierung, die sich gegen das Schreiben und vor allem gegen die Einmischung von Le Pen wendeten.

Mehrere der Generäle stehen dem rechtspopulistischen Rassemblement national von Marine Le Pen nahe, die alle Unterzeichner des Briefs umgehend eingeladen hat, sich ihrer Partei anzuschließen.

NZZ

Das kommt nicht von ungefähr. Der Brief der Generäle sprach genau die Großthemen an, mit denen Le Pen wie auch schon ihr Vorgänger, Papa Jean-Marie Le Pen, die Patrioten-Fahne hochhält: Der "Zerfall Frankreichs", wenn denn nicht die Richtigen die Autorität bekommen und der Laxheit ein Ende bereiten, die Einwanderung und der "abendländische Kampf im Inneren" gegen die "islamischen Barbaren aus den Vorstädten".

Le Pen und das Chaos

Le Pen fungiert in ihrer Erzählung dabei als Retterin aus dem Chaos, das die Barbaren anrichten. Dass, wie sich gerade in der Corona-Krise zeigte, sehr viele für die Wirtschaft und den Alltagsbetrieb notwendige Arbeitskräfte aus den Vorstädten und der Peripherie kommen, wird gar nicht erst erwähnt, sondern systematisch ausgeblendet.

Das Thema, das Le Pen à la Trump täglich auf Twitter neu bespielt, ist der Untergang des großen Frankreichs durch das Chaos aus den Vorstädten. Siehe etwa den Untertitel eines exemplarischen Videos auf ihrem Twitter-Account: "Dies ist das Ergebnis des Zerfalls des Staates und des Aufstiegs von Barbaren, die sich der Straffreiheit sicher sind."

In französischen Medien ist Le Pen wegen ihrer knalligen Aussagen ein gefragter Gast und, so berichten Franzosen, es sei nichts Ungewöhnliches mehr, dass Nachrichtenzeilen über die Bildschirme laufen, die keine andere Botschaft haben, als dass Le Pen mal wieder "das Chaos" im Land skandiert, ohne weitere Erklärung wie in einem Film. Hollywoodfilm-Journalismus, Entertainment in Aktion.

58 Prozent Unterstützer in der Bevölkerung?

Das Wedeln der patriotischen Fahne mit der Putsch-Drohung hätte vermutlich nicht so großes Aufsehen gefunden, wenn nicht der Brief einmal punktgenau zum Jahrestag eines echten Putschversuchs in Algier, am 21. April 1961, erschienen wäre, was wahrscheinlich nur einen kleineren Teil der französischen Öffentlichkeit noch stark beschäftigt - und in der Hauptsache: Wenn es nicht die darauf folgende Umfrage gegeben hätte, wonach 58 Prozent der französischen Bevölkerung den Brief und damit dessen Forderung unterstützen.

Das machte dann auch über die Landesgrenzen hinaus Eindruck. Auch in Deutschland, die Frage lautete: Was ist los in Frankreich? Die Generäle treffen damit also eine Stimmung?

Sie versuchen es, auch mit der Erwähnung der Gelbwesten, deren bei näherem Hinsehen sehr unterschiedliche Bewegung in Erzählungen zu den Vertretern des tiefen Frankreichs geworden ist. Es gab aber auch Nachfragen und Berichtigungsversuche zur Umfrage, die im Sender LCI erschienen ist, der eine deutlich rechte Agenda hat.

Wie kann es sein, dass 58 Prozent einer repräsentativ ausgesuchten Menge von 1.613 Befragten mit dem Inhalt einverstanden sind, wenn nur 38 Prozent der Befragten den Inhalt genau kennen?

Ein Journalist des Senders macht, darauf angesprochen, keine gute Figur. Viel ist von Zeitnot die Rede, von hastigem Arbeiten und eilig zusammengestellten Umfragen, die das Thema schnell auf einen für Medien interessanten Punkt bringen. Den Widerspruch kann er nicht gut erklären.

Aber: In diesem Schlagwort-Schnellverfahren sammelt Le Pen gerade Punkte. Das ist nur ein Teil der Wirklichkeit, die mehr und mehr vom Wahlkampf bestimmt wird. Und der ist der eigentliche Kontext des Briefes.

Nestbau auf der rechten Seite

Macron baut weiter an seinem Nest auf der rechten Seite der politischen Landschaft. Seine Partei hat nun eine Vereinbarung mit den Republikanern (LR) für die kommenden Kommunalwahlen im Süden des Landes getroffen, wo es viele Rechtswähler gibt. Sein Innenminister Darmanin behauptet, dass seine Politik im Kampf gegen den Islamismus härter sei als die Le Pens. Und die kann nun reklamieren, dass sie die wahren patriotischen Teile der Armee, die für die mystische Größe Frankreichs eintreten, hinter sich hat.

Das wird sie im Wahlkampf weiter nutzen. Wie auch die Tatsache, dass sich in den letzten Tagen namhafte Journalisten öffentlich auf die Seite ihrer Partei RN geschlagen haben.

Frankreich rutscht nach rechts, das ist derzeit unübersehbar. Die Linke spielt keine Rolle, man hört nichts, außer von Mélanchon, der aber momentan nur eine Außenseiterfigur ist. Im Mittelpunkt der aufgeregten Berichterstattung steht vor allem das Duell zwischen Macron und Le Pen. Beide brauchen einander.

Aber die Französinnen und Franzosen sind immer für Überraschungen gut, wie auch der legendenverliebte General de Gaulle erlebte. Nannte er Frankreich zu Beginn seiner Memoiren noch "eine Märchenkönigin, ein Madonnenfresko", so bezeichnete er seine Landsleute später als "Kälber".1

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