Wie lassen sich die Zoonosen eindämmen?

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie (Teil 2 und Schluss)

Covid-19 hatte auch ökologische Ursachen: Klimawandel, Artenschwund und Landübernutzung. Diese Faktoren begünstigen, dass mehr Krankheitserreger von Tieren auf Menschen übergehen, während gleichzeitig weltumspannende Lieferketten, Tourismus und Migration ihre Verbreitung fördern. Die bisherigen Vorschläge, um die Gefahr durch neue Zoonosen unter Kontrolle zu bekommen, wirken hilflos.

In Teil 1 wurde beschrieben, warum Zoonosen häufiger werden. Die Ursachen sind die schrumpfende Artenvielfalt und zerbrechende Nahrungsketten, eine Vielzahl gefährlicher Kontakte zwischen den Reservoirwirten der Erreger und den Menschen und schließlich die "Globalisierung der Infektionen" durch Weltmarkt, invasive Arten, Migration und Tourismus.

Diese Zusammenhänge sind wissenschaftlich kaum umstritten, auch wenn im Detail noch vieles unklar ist. Natürlich beruht die menschliche Gesundheit auf intakten Ökosystemen. 2007 erklärten die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) "One Health" zu einem gemeinsamen Leitprinzip.

Probleme wie Zoonosen, Nahrungsmittelsicherheit oder Antibiotika-Resistenzen ließen sich nur lösen, wenn Umweltschutz, Tiermedizin und Gesundheitssystem zusammenarbeiteten. Seitdem vergeht keine internationale Konferenz mehr, ohne dass sich die Teilnehmer zum Prinzip der einen, unteilbaren Gesundheit bekennen. Aber welche Maßnahmen taugen gegen neue Infektionen?

Zoonosen entstehen stufenweise. Um sie aufzuhalten, können wir ihnen Hindernisse in den Weg legen. Auf der obersten Stufe – die epidemische Übertragung von Mensch zu Mensch – lassen sich Ansteckungen verhindern, zum Beispiel durch Hygiene, Impfungen, Kontaktbeschränkungen, Quarantäne. Mithilfe mathematischer Modelle und Überwachung lässt sich herausfinden, wann und wo solche Maßnahmen notwendig sind.

Auf der untersten Stufe – dem "viralen Plaudern" zwischen Mensch und Tier – können wir Kontakte einschränken oder das Risiko entschärfen, zum Beispiel durch ein Verbot des Wildtierhandels. Wir könnten auch der Zoonosen-Gefahr begegnen, indem wir wilden Tieren ausreichend Lebensraum lassen.

Zoonosen sind ein komplexes Problem, das gleichzeitig die Evolution von Viren, Bakterien, Parasiten und die Anpassung von Wildtieren an Kulturlandschaften berührt, aber ebenso die wirtschaftlichen Verhältnisse. Diese Komplexität ist nicht nebensächlich. Nur auf dieser Grundlage können wir beurteilen, welche Gegenmaßnahmen wirksam und angemessen sind – und welche nicht.

Von der Leyen: "Zeitalter der Pandemien"

"Die Biodiversität bricht zusammen", warnte António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, im Dezember 2020 mit Bezug auf Covid-19. "Die Natur schlägt mit zunehmender Wucht zurück." Noch drastischer drückte sich die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen aus. "Vielleicht befinden wir uns bereits am Anfang eines Zeitalters der Pandemien", sagte sie auf dem außerordentlichen Klimagipfel im Januar 2021. Kommende Seuchen könnten noch schlimmer sein als die gegenwärtige Pandemie. Gleich darauf verbreitete von der Leyen allerdings wieder Hoffnung: "Wir können etwas dagegen tun!"

Die Vorschläge der EU-Kommission setzen auf der obersten Stufe der Pandemie-Entstehung an. Die Reaktion auf Covid-19 sei zu langsam gewesen, zu wenig Schutzanzüge vorhanden, zu wenig Impfstoffe und andere Medikamente. All das soll in Zukunft eine "Europäische Behörde für die Bekämpfung von Gesundheitsnotständen", auf Englisch "European Health Emergency Response Authority" (Hera), ändern.

Ihre Aufgabe besteht darin, auf drohende biologische Gefahren hinzuweisen (inklusive neuer Infektionen), die sie mit "Trendanalyse" erkennen wird. Auf dieser Grundlage wird Hera gegebenenfalls den Bedarf an Impfungen etc. ermitteln und schließlich, in Form von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften, die Pharmaindustrie dazu bringen, entsprechende Kapazitäten bereitzuhalten.

Wie Hera zu den bereits bestehenden Behörden in diesem Bereich passt – der Europäischen Arzneimittelbehörde und dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten - steht noch nicht fest. 2023 könnte die neue Agentur die Arbeit aufnehmen.

Während die EU mit Hera auf biomedizinische Eindämmung setzt, investiert die WHO in Früherkennung. Von der Bundesrepublik mit 30 Millionen bezuschusst gründet sie ein Hub für pandemische und epidemische Information. "Viren bewegen sich schnell, aber Daten sind noch schneller", erklärte Tedros Adhanom Ghebreyesus, der WHO-Generalsekretär, Anfang Mai. "Zu diesem Zweck müssen wir das Potenzial fortschrittlicher Technologien wie der Künstlichen Intelligenz nutzen, verschiedene Datenquellen zusammenführen und interdisziplinär zusammenarbeiten."

Die neue Stelle ist Teil des WHO-Programms Gesundheitsnotstände. Auf der Grundlage von Maschinenlernen sollen die Mitarbeiter neue Analysetools entwickelt werden, um gefährliche Ausbrüche schneller zu erkennen und sie dann eventuell sogar im Keim zu ersticken.

Lassen sich Zoonosen vorhersehen?

Solche Versprechen verfangen bei Regierungen und internationalen Organisationen. Denn wenn sich vorhersagen ließe, wo und wann eine Epidemie beginnt, dann könnten in der betroffenen Region Tiere und Menschen geimpft, Vektoren bekämpft und die lokale Bevölkerung untersucht und behandelt werden. Notfalls könnte man die Region abriegeln, bevor der Erreger sich weiter ausbreitet.

Unser Land hat kein zentralisiertes System für die Krankheitsvorhersage, es gibt keine Entsprechung zum Nationalen Wetterdienst. Aber genau das braucht unser Land.

So heißt es in einem Artikel im einflussreichen US-Magazin Foreign Affairs, erschienen im Sommer 2020, geschrieben von der Epidemiologin Caitlin Rivers, ehemals bei der US-Armee, und dem Vizepräsidenten von In-Q-Tel Dylan George. So wie ein meteorologisches Institut vor Unwetter warnt, müsse eine nationale Stelle bei entstehenden Epidemien alarmieren.

Im Januar kündigte die US-Regierung tatsächlich an, eine solche Behörde zu gründen. Das "National Centre for Epidemic Forecasting and Outbreak Analytics" werde "das Frühwarn- und Alarmsystem modernisieren, um entstehende biologische Gefahren zu verhüten, zu entdecken, abzuwehren und sie abzumildern".

Manche Wissenschaftler behaupten tatsächlich, sie könnten vorhersagen, wo das Epizentrum der nächsten Pandemie liegen wird. Geht das? Der Vergleich mit der Meteorologie hinkt. Wettervorhersagen beruhen auf Modellen, die jeden Tag praktisch überprüft werden, und auf einer stetig wachsenden Datengrundlage.

Für Zoonosen gibt es weder das eine, noch das andere. Wir verfügen lediglich über eine Handvoll Erfahrungswerte. Grundlegende Fragen sind ungeklärt: Sind Zoonosen von Affen gefährlicher, weil sie mit uns eng verwandt sind, oder Zoonosen von Ratten, weil sie dieselben Städte bewohnen wie wir? Viele zoonotischen Viren weisen eine Virenhülle auf - wird das auch für die zukünftigen gelten?

Viele zoonotische Erreger verfügen bereits über ein breites Reservoir mit vielen Gattungen, bevor sie auch auf Menschen übergehen – sollen sie bevorzugt überwacht werden? Welche Einflüsse führen überhaupt dazu, dass Viren eine Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch ausbilden? Aus den bisherigen Epidemien lassen sich höchstens Risikofaktoren ableiten. Vorhersagen auf dieser Grundlage sind wenig aussagekräftig, um "Pandemien zu verhüten" taugen sie jedenfalls kaum.

Das entstehende WHO Hub in Berlin und das neue US-Zentrum werden eine Vielzahl von Signalen nutzen: Offizielle Meldungen der Gesundheits- und Veterinärbehörden - tödliche Tierseuchen sind häufig ein Warnsignal! - Medienberichte, wissenschaftliche Veröffentlichungen und anderes mehr. Aber trotz statistischer Kunststücke, KI-Algorithmen und großen Datenmengen sind Vorhersagen höchstens so gut wie die Daten, mit denen die Systeme gefüttert werden - und gerade an hochwertigen Daten fehlt es. Eine Zusammenfassung europäischer Wissenschaftler von 2018 betont:

Die klinischen Merkmale neu entstehender Infektionskrankheiten sind selten ungewöhnlich. Der dauernde finanzielle Druck auf die Haushalte der Gesundheitswesen zwingt die Kliniker und Laboratorien dazu, sich vor allem um die üblichen und behandelbaren Krankheiten zu kümmern. Unerklärte Krankheitszeichen werden selten untersucht, daher werden neue Infektionen oft nur spät erkannt. Besorgniserregend ist, dass die letzten Ebola- und MERS-Epidemien viele Opfer unter medizinischen Angestellten gefordert haben, die infiziert wurden, weil sie ahnungslos äußerst tödlichen Infektionen ausgesetzt waren.

Pandemien können nur in der Breite bekämpft werden - auf der Grundlage einer funktionierenden Krankenversorgung vor Ort und internationaler Zusammenarbeit. Konkret bedeutet das, dass Krankheiten mit unbekannten Symptomen erst einmal erkannt werden müssen. Besonders Menschen, die an der zoonotischen Front leben und arbeiten (etwa die Beschäftigten in der Krankenversorgung, in der Viehzucht und Landarbeit) müssen regelmäßig untersucht werden.

Auch Seuchen bei Wildtieren müssen überwacht und Infektionen bei Nutztieren gemeldet werden. Aber immer noch werden Ausbrüche vertuscht, um wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden. Was nutzen internationale Hightech-Überwachungszentren in Washington oder Berlin, wenn das Meldewesen auf der nationalen Ebene nicht funktioniert?

Ein globaler Viren-Katalog

Seit der Jahrtausendwende beschäftigt sich ein Gutteil der Zoonosen-Forschung mit der Frage, wie Epidemien schneller erkannt und bekämpft werden könnten (und dafür wird auch ein Gutteil des Geldes ausgegeben). Unter dem Eindruck der Influenza A-H1N1 ("Vogelgrippe") startete die US-Entwicklungshilfe im Jahr 2009 ein Forschungsprogramm mit dem sprechenden Namen Predict.

Die Wissenschaftler erstellten Weltkarten mit eingezeichneten besonders gefährdeten Gebieten und untersuchten wichtige Reservoir-Tiere wie Fledermäuse, Nagetiere und Affen. Nach eigenen Aussagen sammelten sie mehr als 140.000 Blutproben von Wildtieren. Deren Viren und Bakterien wurden genetisch entschlüsselt und katalogisiert.

Dabei konzentrierten sich die Predict-Mitarbeiter auf "riskante Kontaktflächen" in Afrika, Mittelamerika und Südostasien (vor allem Vietnam), definiert als Regionen mit hoher Biodiversität, wachsender Bevölkerung und engen Kontakten zwischen Tier und Mensch. Die Feldforschung wurde maßgeblich von der EcoHeath-Alliance organisiert, einem US-Naturschutzverband, der sich laut Selbstdarstellung für die "Pandemie-Prävention" engagiert.

Die Forscher bestimmten darüber hinaus Erreger-Wirt-Systeme, wo mutmaßlich Zoonosen zirkulieren (oder demnächst zirkulieren werden), ohne bisher einen Spillover ausgelöst zu haben. An diesen "fehlenden Zoonosen" sollte sich die weitere Forschung orientieren, forderten sie:

Mit unseren wirtsspezifischen Analysen und Schätzungen der fehlenden Zoonosen können wir die Tiergattungen und Regionen identifizieren, die bevorzugt untersucht werden sollten ... Unser System der viralen Eigenschaften macht es möglich, die wichtigen neu entdeckten Wildtier-Viren detailliert zu charakterisieren, … um ihr Bedrohungspotential für die menschliche Gesundheit zu beurteilen.

Dennoch stellte die US-Regierung 2019 die finanzielle Förderung von Predict ein. Seitdem werben Funktionäre der EcoHealth Alliance wie der Direktor Dennis Carroll, Peter Daszak und Kevin Olival dafür, das Sequenzieren von Viren im Feld fortzusetzen. Zu diesem Zweck schlagen sie einen Nachfolger vor mit dem Namen "Global Virome Project".

Das Projekt hat wahrhaft planetare Ausmaße. Mindestens 70 Prozent der Viren, die Säugetieren besiedeln, sollen in einem "weltweiten Atlas zoonotischer Viren" erfasst werden. Nicht-Wirbeltiere und Pflanzen werden ausgeschlossen, weil von ihnen (angeblich) weniger Gefahr für den Menschen ausgeht. Geschätzte Dauer zehn Jahre, geschätzte Kosten etwa 3,5 Milliarden US-Dollar.

Die Finanzierung steht bisher noch nicht, und viele Wissenschaftler bezweifeln Sinn und Zweck dieser gewaltigen Datensammlung. Schätzungen besagen, dass etwa 1,67 Millionen verschiedene Viren existieren (und täglich kommen neue dazu). Bisher kennen wir etwa 4.000 davon, einen winzigen Bruchteil.

Beispielsweise sind lediglich etwa 0,025 Prozent der (erwiesenermaßen gefährlichen) Coronaviren bekannt. Aber selbst eine einigermaßen vollständige Sammlung sei von begrenztem Nutzen, argumentieren die Gegner des Projektes. Ohne Feldforschung und Labor- und Tierversuche ließe sich gar nicht beurteilen, welche Viren künftig auf menschliche Zellen übergehen werden und welche nicht. Das Global Virome Project sei letztlich Geldverschwendung: "Investiert in die Überwachung, nicht in die Vorhersage!"

So ähnlich sieht es auch der Biologe Colin Carlson. Er weist darauf hin, dass Predict trotz einer Förderung mit 207 Millionen US-Dollar zwar Hunderte von möglichen Zoonosen gefunden hat, aber eben eine tatsächliche (nämlich das Bas-Congo-Virus).

Bis jetzt ist der einzige Weg, die potenziell zoonotischen Säugetier-Viren von solchen mit geringem Risiko zu unterscheiden, eine Infektion bei Menschen zu beobachten.

Colin Carlson